Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz. Markus Mäurer

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Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz - Markus Mäurer hep praxis

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Beispiel aus seinem früheren Beruf –, kann eine Verkürzung seiner zweiten Berufslehre beantragen (→ Abschnitt 5.4).

      Wichtig waren immer schon kürzere Ausbildungen, die zu einem zwar nicht staatlich anerkannten, aber doch arbeitsmarktrelevanten Abschluss führen; diese Art von Ausbildung wird in Abschnitt 5.5 beschrieben.

      3.1.3 Wiedereinstieg

      Berufsbildung für Erwachsene wird immer dann zum Thema, wenn ein konjunkturelles Hoch oder eine Begrenzung der Einwanderung einen Fachkräftemangel zur Folge hat – und in solchen Phasen erinnert man sich stets auch an die Frauen, die im Zusammenhang mit einer Familienphase ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben haben. Um sie dem Arbeitsmarkt wieder zuzuführen, entstanden im dritten Drittel des letzten Jahrhunderts die Wiedereinstiegkurse. Anfänglich ging es dabei vor allem um das Auffrischen beruflicher Fertigkeiten, zum Beispiel im Umgang mit Schreibsystemen, später mit Computern für Kauffrauen, um neue Pflegekonzepte und Gerätschaften bei Pflegerinnen. Bei anderen Programmen geht es eher um die Vertiefung von sozialen Kompetenzen und oft gleichzeitig auch um einen Berufswechsel, beispielsweise von einer kaufmännischen Tätigkeit in die Betreuung (→ Abschnitt 5.8).

      3.1.4 Förderung von «Gastarbeitern»

      Arbeitskräftemangel führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Zustrom wenig qualifizierter Arbeitnehmer aus Südeuropa und später aus den Balkanstaaten und der Türkei. Gewerkschaften aus Italien, später in Zusammenarbeit mit Schweizer Arbeitnehmerorganisationen, nahmen sich ab 1970 der beruflichen Förderung dieser Personen an und boten Kurse in Allgemeinbildung (terza media) und Deutsch an, lange auch berufsspezifische Ausbildungskurse als Vorbereitung auf Abschlüsse des italienischen, in geringerem Ausmass auch des schweizerischen Berufsbildungssystems (vgl. Bozzolini, 2015).

      3.1.5 Kompetenzbilanzen und Validierungsverfahren

      Das Validierungsverfahren (→ Abschnitt 5.2), erstmals geregelt im Bundesgesetz aus dem Jahr 2002, geht zum einen auf die Initiative von Frauenverbänden zurück und hatte ursprünglich die Förderung der Gleichberechtigung durch Anerkennung von informell, insbesondere in der Familienphase erworbenen Kompetenzen zum Ziel (Költzsch Ruch, 1997). 1994 verlangte die Luzerner Nationalrätin Judith Stamm, Präsidentin des Bundes Schweizerischer Frauenorganisationen, in einer Motion die «Schaffung eines Berufsbildungsbuchs, das laufend erbrachte, gezielte Bildungsleistungen […] bestätigt und anerkennt» (Calonder Gerster, 2000).

      Anderseits entstanden in Genf zur gleichen Zeit – in Anlehnung an französische Modelle – centres de bilan, die bilans de compétences ausarbeiteten (Kadishi et al., 1998, S. 25–28; Morand-Aymon, 2004). Im Kanton Wallis wurden ab 1995 erste (kantonal) anerkannte Ausweise abgegeben, basierend auf Kompetenzbilanzen und Arbeitsproben, aber ohne Abschlussprüfung (Kadishi et al., 1998, S. 29–33).

      Angeregt unter anderem durch die bereits erwähnte Motion Stamm, die auch «ein durchlässiges Aus- und Weiterbildungssystem» verlangt hatte, schrieb das Biga ein Programm zur Entwicklung und Erprobung von «Baukastensystemen» aus, in dessen Rahmen von 1995 bis 1999 zahlreiche Pilotprojekte durchgeführt und die Systeme weiterentwickelt wurden (Widmer et al., 1999). Auch die Anerkennung nichtformal erworbener Kompetenzen war Thema des Programms. Ab 1995 fanden in verschiedenen Kantonen Pilotversuche mit dem Validierungsverfahren statt, deren Resultate (Wolf, Wilhelm & Zuberbühler, 2009b) Grundlage eines 2010 erlassenen Leitfadens des Bundes waren (BBT, 2010a). Die Stellen für Berufs- und Laufbahnplanung engagierten sich im Bereich der Kompetenzbilanzen und schufen in fast allen Kantonen spezielle «Eingangsportale» für interessierte Erwachsene.

      3.1.6 Armutsbekämpfung und Integration als Ziel der Berufsbildung für Erwachsene

      Bereits 1928 stellte der Bundesrat fest, dass im Zusammenhang mit Rationalisierungsbestrebungen «Hilfsarbeiter und Handlanger entbehrlich» würden und dass somit das Fehlen eines Berufsabschlusses ein grosses Risiko darstelle (Schweizerischer Bundesrat, 1928, S. 732). 1931 fanden erste Kurse zur Heranbildung von Maurern und Konfektionsschneiderinnen statt. 1935 wurden die sogenannten Berufslager initiiert, um Arbeitslosen eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen (Wettstein, 1987, S. 55f). Bei der Revision der Arbeitsmarktmassnahmen wurden 1982 verschiedene Möglichkeiten zur Qualifizierung von Stellenlosen vorgesehen und in der Folge bedeutende Mittel für Qualifizierungsmassnahmen gesprochen, von denen vor allem die «Ausbildungszuschüsse» für Personen über 30 (in der Praxis über 25) zur nachhaltigen Qualifizierung beitrugen. Eine neue Initiative in diesem Zusammenhang stellt das 2013 lancierte «Nationale Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut» dar (EDI, 2013).

      «Nach einem Lehrabbruch und mehreren Jahren Sozialhilfeabhängigkeit begann ich eine vierjährige Ausbildung im geschützten Rahmen als Informatiker, Fachrichtung Systemtechnik. Im Sommer 2010 erhielt ich mein EFZ mit sehr guten Noten und fand unmittelbar nach der Ausbildung eine Festanstellung im ersten Arbeitsmarkt.»

      C. S.

      Auch die Bedeutung der beruflichen Nachqualifizierung für Asylbewerberinnen und Asylbewerber ist heute erkannt, wobei die Schaffung von praktikablen Verfahren und Gefässen erst am Anfang steht. 2012 startete das Staatssekretariat für Migration das bis 2018 laufende Pilotprojekt «Potenziale nutzen – Nachholbildung».

      Wie in Kapitel 1 dargelegt, gehen wir in diesem Buch aber nicht auf die Massnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt ein. Sonst wären auch Institutionen und Massnahmen aufzuzählen, die ihren Ursprung im frühen 20. Jahrhundert haben, beispielsweise die WWB Basel, gegründet als «Milchsuppe» im Jahr 1935.[7]

      Diese kurze Darstellung der Entwicklung zeigt bereits auf, welche Ziele die Berufsbildung für Erwachsene verfolgt und welche Kräfte sie gefördert haben bzw. heute fördern.

      3.2.1 Fachkräftebedarf decken

      Das erste Ziel der Berufsbildung war und ist die Versorgung der Wirtschaft und anderer Bereiche der Arbeitswelt mit bedarfsgerecht qualifizierten Arbeitskräften. Gemäss den Medien werden vor allem hochqualifizierte Arbeitskräften gesucht, worunter wohl Personen mit einer Ausbildung auf Tertiärstufe verstanden werden. Hier ist zu differenzieren:

      •Untersuchungen zeigen, dass seit Jahren «Facharbeitende» (insbesondere Köche, Bäcker, Metzger, Mechaniker und Elektriker) die Liste der zehn meistgesuchten Berufe in der Schweiz anführen (Manpower, 2015).

      •Viele gewerbliche Betriebe leiden unter einem Mangel an Kadernachwuchs und an Fachpersonen, die mit Kunden verhandeln können.

      •Werden geringqualifizierte Personen um eine Stufe gefördert, so werden dort wiederum Fachleute frei, die anspruchsvollere Aufgaben übernehmen können.

      •Fachkräftebedarf decken heisst zuerst, die eigenen Fachkräfte zu halten. Dazu trägt eine förderorientierte Haltung Wesentliches bei.

      •Fachkräftebedarf decken verlangt, dass vorhandene Reservoire genutzt werden. Dazu dienen die Wiedereinstiegskurse, aber auch Massnahmen zur Wiedereingliederung

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