Klingen, um in sich zu wohnen 1. Udo Baer
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„Ich glaube, interessiert und mir zugewandt, warmherzig.“
Manchmal reicht der sorgfältig und bewusst vorgenommene Vergleich schon aus, damit das Erleben der alten Szene in den Hintergrund treten und sich das aktuelle Erleben und Handeln verändern kann. Oft aber bedarf es noch des einen oder anderen Schrittes zusätzlich, bedarf es einer Veränderung der Szene. Wie diese Veränderung erfolgen kann, ist sehr unterschiedlich. Drei weitere Hauptwege der Veränderung einer Szene möchten wir am Beispiel der beschriebenen Seminarsituation skizzieren. Sie könnten so oder so ähnlich abgelaufen sein.
In der ersten Variante könnte diese Szene folgendermaßen weitergehen: Der Seminarleiter fragt: „Was brauchst du, damit du sicher sein kannst, dass es jetzt anders ist als damals? Was brauchst du, damit du spielen kannst?“
Der Teilnehmerin fällt ein, dass sie einige der anderen fragen kann, ob sie Interesse an ihr haben. Sie fragt und erhält positive Antworten.
„Jetzt geht es mir schon besser.“ Sie lächelt – und sie zögert.
„Fehlt noch etwas?“
„Ja, ich komme mir noch so allein vor.“
„Wie kannst du das ändern?“
„Ich traue mich kaum – aber könnte sich jemand neben mich stellen?“
Sie fragt eine andere Teilnehmerin. Diese kommt nach vorne und stellt sich neben sie. Nun ist die Szene so verändert, dass die erste Teilnehmerin ihr Musikstück spielen kann.
Die zweite Variante würde mit einer anderen Frage des Seminarleiters beginnen: „Was hättest du damals gebraucht oder was wäre gut gewesen zu tun, um damals nicht zu erstarren und anders aus der Situation herauszukommen?“
Die Teilnehmerin überlegt, dann stößt sie hervor:
„Ich hätte etwas sagen müssen! So etwas wie: ‚Hören Sie mir überhaupt zu?!’“
„Sagen Sie es.“
Die Teilnehmerin spricht es aus. Erst leise, dann immer lauter werdend: „Hört mir zu! Nehmt mich ernst!“
Danach ist die Luft gereinigt, die Starre verflogen. Die Teilnehmerin kann spielen.
In der dritten Variante könnte der Seminarleiter die Teilnehmerin fragen, wie alt sie in der alten Szene war.
„Zweiundzwanzig.“
„Wenn du dir heute die Szene mit der 22-Jährigen anschaust wie in einem Videofilm – was könntest du heute, als Beobachterin und gleichzeitig als Helferin in der Not, für die 22-Jährige tun?“
Die Teilnehmerin überlegt und antwortet dann:
„Ich würde ihr sagen, dass sie diese Leute, die vor ihr sitzen, nicht so ernst nehmen soll. Sie selbst soll entscheiden, wer es wert ist, auf ihre Musik eine Rückmeldung zu geben. Sie braucht keine Rückmeldung von Idioten und Ignoranten, sondern von Leuten, die sie schätzt. Sie braucht Rückmeldungen, die es wert sind von ihr beachtet zu werden. Diese Leute sind es offenkundig nicht. Also, ich würde ihr sagen: ‚Atme gut durch und spiel für dich!’“
Sie atmet durch und spielt …
Sowohl im anfangs vorgenommenen Vergleich der alten mit der neuen Szene als auch in allen drei Varianten erfolgt eine Veränderung der Szene. Um eine solche Veränderung geht es in der Therapie, da sie ein verändertes Erleben und damit ein anderes Verhalten ermöglicht.
2.7 Wie man musizieren gelernt hat
Wenn KlientInnen in der Therapie zu einem Musikinstrument greifen oder zu singen beginnen, ist dies sicher nicht ihre erste Erfahrung mit dem Musizieren. Viele KlientInnen haben zu Hause Lieder gesungen und sind dem Musizieren in der Schule begegnet, manche haben Musikunterricht gehabt und versucht, ein Instrument oder den Gesang zu erlernen. Diese Vorerfahrungen können, wenn in der Therapie ein wie auch immer geartetes Musizieren ansteht, wieder in den Vordergrund treten.
Häufig, leider allzu häufig, hören TherapeutInnen dann Sätze wie: „Mein Musikunterricht war Dressur“, „Wenn ich am Klavier zweimal den gleichen Fehler gemacht habe, bekam ich einen Schlag auf die Hände“, „In der Schule haben sie mir die Freude an der Musik ausgetrieben“, „Immer ging es in der Musikschule nur um Richtig und Falsch – dass Musik Freude machen kann, habe ich erst Jahre später erfahren.“
Es ist sehr bedauernswert, wie autoritär, abwertend und freudlos in vielen Fällen Musik unterrichtet wurde. Für viele wurde das Erlernen von Noten bzw. das Spielen eines Instrumentes so zum Gräuel. Sicher, wenn man ein Instrument lernt, gibt es richtig und falsch, bedarf es der Disziplin und der Übung. Doch das „Wie“ ist entscheidend: Ob die Freude und das Interesse geweckt oder unterdrückt bzw. vernichtet werden. Und es ist eine Schande, dass immer wieder KlientInnen in ihrem Einzelunterricht traumatische Erfahrungen gemacht haben. Da offenbart sich in der Therapie, dass das „richtige Atmen“, die „richtige Haltung“ gepaart war mit – sozusagen beiläufigen – sexuellen Übergriffen, so dass sich Musizieren mit Erstarrung, Angst, Ekel, Scham und anderen Folgen von Missbrauch verbindet.
Manchmal reicht es, wenn in der therapeutischen Situation von diesen Erfahrungen erzählt werden kann, wenn sie „heraus“ dürfen, damit sich die KlientInnen von ihnen frei machen und sich den neuen Erfahrungen des Musizierens in der Therapie öffnen können. Manchmal bedarf es lediglich klärender Worte der TherapeutInnen, dass sich das Musizieren in der therapeutischen Situation fundamental von dem unterscheidet, was diese KlientInnen kennen: „Hier geht es nicht um Richtig oder Falsch. Hier geht es nicht darum, etwas zu können, sondern darum, sich im Musizieren zu erleben.“ Und manchmal, vor allem wenn über negative, ja traumatische Erfahrungen des Musiklernens weitere Traumata lebendig werden, muss (musiktherapeutische) Traumaarbeit geleistet werden.
Es gibt allerdings nicht nur negative Erfahrungen, die KlientInnen damit gemacht haben, ein Instrument zu erlernen. Manche erzählen auch, wie gut ihnen das getan hat. Für viele hat sich mit dem Musizieren eine neue Welt erschlossen, für andere war das Lernen ein Halt, gab das Üben eine Struktur, manche hat es „gerettet“, das psychische Überleben gesichert.
2.8 Die soziale Dimension der musikalischen Biografie
Die bislang angeführten Beispiele für die Wirkungsmöglichkeiten der musikalischen Biografie haben sicherlich schon gezeigt, dass die musikalische Biografie immer auch eine soziale Dimension hat. Unter sozialer Dimension verstehen wir den Bezug zu anderen Menschen, z. B. ihre Anwesenheit und Bedeutung in der Szene des Vorspielens. Auch die Abwesenheit anderer Menschen („Nie hat mir jemand zugehört.“) kann als soziale Dimension wirken. Wie unterschiedlich und zum Teil gravierend die soziale Dimension der musikalischen Biografie deren Bedeutung bestimmen kann, möchten wir an drei kurzen Beispielen illustrieren:
Eine Frau erzählt, dass sie sich selbst das Spielen von Musikinstrumenten beigebracht hat. Um Unterricht nehmen zu können, reichte das Geld nicht, aber es gab einige Instrumente im Haushalt. Also probierte sie und probierte und brachte sich das Spielen selbst bei. Dafür gab es Wertschätzung, die einzige, an die sie sich erinnern kann. Mit dem Musizieren gelang es ihr, eine Oase in der Wüste