Marken für Menschen. Thomas Harder
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«It’s all plug and play, with markedly different cars coming from the same Lego set.» (Übersetzung siehe Quellenverzeichnis) Diese Aussage macht Bob Lutz, Verantwortlicher für die globale strategische Unternehmens- und Produktentwicklung bei General Motors, anlässlich eines Vortrags in Zürich. Er stellt dort den sogenannten Touchpoint-Ansatz von General Motors für die Differenzierung zwischen den vielen Marken im Konzern vor. Er erläutert, dass die Teile und Komponenten, mit denen die Kunden nicht in Berührung kommen, vereinheitlicht und damit Kosten gespart werden. Die Ausprägung der Marken werde durch Unterschiedlichkeit an den Touchpoints hergestellt. Als Paradebeispiel für den Ansatz präsentiert Lutz, wie die Marke Invicta an die Mittelklasse-Plattform mit Chevrolet, Saab, Opel/Vauxhall angeschlossen wird.
Auf eine Frage aus dem Publikum, ob diese Vereinheitlichung Marken mit echtem Profil wie Saab nicht schwäche, antwortet Bob Lutz: «Wenn man es nicht weiss, ist die gleiche Herkunft der Autos schwer festzustellen.»
Saab und Invicta sind fünf Jahre später vom Markt verschwunden. General Motors meldet im Jahre 2011 nach mehreren Geschäftsjahren mit Milliardenverlusten Insolvenz an und muss durch eine staatliche Finanzierung wiederbelebt werden. Die Rolle als weltweit grösste Automobilhersteller übernehmen Toyota und VW.
Schauplatz 3
Aus einem in «Die Zeit» als redaktioneller Artikel veröffentlichten Manifest: «Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer ‹Image City› unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: das Bild von der ‹pulsierenden Metropole›, die ‹ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur› bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild der ‹Marke Hamburg› in die Medien eingespeist wird. (…)
Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen. Wir sagen: Aua, es tut weh. (…) Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. (…)
Wir denken an andere Sachen. An über eine Million leer stehende Büroquadratmeter zum Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen lasst mit Premium-Glaszähnen. Wir stellen fest, dass es in der westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WG-Zimmer unter 450 Euro gibt, kaum mehr Wohnungen unter 10 Euro pro Quadratmeter. (…)
Wir glauben: Eure ‹wachsende Stadt› ist in Wahrheit die segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen ausserhalb. Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die ‹Marke Hamburg›.»
Schauplatz 4
Anfang 2008 übernimmt der Schweizer Lebensversicherer Swiss Life den deutschen Finanzdienstleister AWD mit der Absicht, für die eigenen Versicherungsprodukte Zugang zum deutschen und österreichischen Markt zu erhalten. Zentrales Verkaufsversprechen von AWD ist bis zu jenem Zeitpunkt die unabhängige Beratung.
Marktzugang für die Swiss Life Produkte und Unabhängigkeit der AWD-Beratung stehen in direktem Widerspruch. Entweder erreichen die Swiss Life Produkte ohnehin diese Märkte, weil sie die strengen AWD-Kriterien erfüllen und entsprechend empfohlen werden oder AWD gibt seine die Unabhängigkeit der Beratung sichernden Aufnahmekriterien auf.
Lange versuchen die beiden Unternehmen, diesen Widerspruch schönzureden. In den Märkten bleibt er jedoch hartnäckig an AWD hängen und wirkt sich negativ aufs Geschäft aus. 2009 schliesslich verbietet ein Gerichtsurteil AWD die Nutzung der Bezeichnung «Unabhängige Beratung».
Im Jahre 2012 muss Swiss Life bei der AWD-Beteiligung eine Abschreibung von über 600 Millionen Franken vornehmen. Die missglückte Akquisition führt auch zu einem Wechsel an der Spitze von Swiss Life.
Das Marken-Missverständnis
Die geschilderten Fälle stehen für eine Vielzahl von Ereignissen und Entwicklungen gleicher Art. Alle resultieren aus Überlegungen und Entscheidungen führender Akteure, welche auf diesem Weg Unternehmen und Institutionen zu Gewinn und Erfolg zu führen meinen. Wie ist diese Verirrung möglich?
Wir orten hinter diesen Entwicklungen ein fundamentales Missverständnis, wie Marken entstehen und funktionieren. Wir nennen es das Marken-Missverständnis. Das Marken-Missverständnis trennt Leistungserstellung und Marke – trennt Innen und Aussen:
Für das Aussen, «die Markenbildung», sind die Kommunikations-, Marketing- und andere aussenorientierte Aktivitäten wie das Mitarbeiterverhalten am Verkaufspunkt verantwortlich. Ein eigenständiges Instrumentarium, basierend auf Markenwerten und -botschaften, dient als Grundlage und ist darauf ausgerichtet, ein Markenimage oder -bild in den Köpfen der Menschen zu erzeugen. Für die Markenführung ist eine Person oder Abteilung unterhalb der Geschäftsführung verantwortlich, ihr Wirken ist aussenorientiert. Sie befasst sich mit Logos, Kommunikation, Events und Ähnlichem. In operative Themen ist sie nur am Rande involviert.
Das Innen, die Entwicklung und Führung der dahinterstehenden Unternehmen oder Institutionen, ist eine andere Disziplin. In den Führungs- und Entwicklungsinstrumenten kommt das Thema Marke vielleicht als separates Kapitel mit dem oben beschriebenen Fokus vor. Davon losgelöst werden aber strategische Pläne entwickelt und Entscheidungen getroffen, wird operativ gehandelt und gemessen. Bei Einkauf, Innovationsstrategie, Preispolitik, Controlling, Kostensenkungsprogrammen oder Mitarbeiterauswahl spielen Markenüberlegungen ebenso wenig eine wesentliche Rolle.
Diese Trennung ist ein Missverständnis, weil sich Marke sowohl durch das Innen als auch das Aussen bildet. Die eingangs beschriebenen Ereignisse führen dies stellvertretend vor Augen:
BP ist durch Werbung und PR in der Aussenwahrnehmung für eine gewisse Zeit zum Ökokonzern geworden, ohne dass im Innern adäquate Handlungen mit der notwendigen Konsequenz folgten. Der Deepwater Horizon Vorfall zerstörte das Bild eines ökologischen Unternehmens über Nacht. Mehr noch, die grosse Diskrepanz zwischen kommuniziertem Aussen und gelebtem Innen wird die Glaubwürdigkeit von BP noch lange belasten. Erst mittels überzeugender Taten während vieler Jahre – Arbeit am Innen also – kann sich BP in den Köpfen der Menschen rehabilitieren und wieder mit Ökologie in Verbindung bringen.
Bei General Motors wird deutlich, dass die Produktoberfläche und Touchpoints nicht zur Ausbildung einer tragfähigen Marke genügen. Erst wenn sich die Leistungen von Produkt oder Dienstleistung bis ins Innere unterscheiden – bei einem Fahrzeug zum Beispiel Qualität und Art des Motors, Sicherheit, Zuverlässigkeit oder Verbrauch – passiert dies.
In Hamburg erkennen engagierte Bürger, wie Marketinganspruch und Alltagswirklichkeit auseinanderklaffen. Ja, ihre Beobachtungen führen sie zum Schluss, dass das Marketing und seine Folgen das soziale Gefüge der Stadt destabilisieren.
Bei der Akquisition von AWD durch Swiss Life schliesslich werden strategische Entscheidungen isoliert und ohne Markengesamtsicht gefällt. Den von AWD durch jahrelanges Verhalten erarbeiteten Ruf als unabhängiger Vermögensverwalter untergräbt Swiss Life direkt und mit weitreichenden Folgen für beide Unternehmen, indem sie die AWD-Vertriebskanäle zur Erschliessung des deutschen Markts für die Swiss Life Produkte nutzt.
Das Marken-Missverständnis hat in den letzten Jahren weite Kreise gezogen, weil das Thema Marke beziehungsweise Branding hohe Beachtung gefunden und in fast allen Unternehmen und Institutionen Einzug gehalten hat – keine Universität ohne Markenprofessur, kein Lehrgang in Kultur-, Standort- oder Unternehmensmanagement ohne Markenblock, kein Strategie- oder Entwicklungsprozess ohne Markensequenz. Überall wird dem oberflächlichen, trennenden Verständnis von Marke gefolgt.