Die geteilte Seele. Iris Zachenhofer
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Als ich seine SMS noch einmal las, hätte ich vor Wut am liebsten auch gleich mein Handy gekillt. Nur würde nach den vielen neuen Kleidern mit der nächsten Kreditkartenabrechnung mein ohnehin überzogenes Bankkonto wieder eine Weile gesperrt sein. Jetzt auch noch ein Handy kaufen zu müssen wäre sicher nicht gerade optimal gewesen.
Das Krankenhaus, vor dem ich jetzt aus dem Bus stieg, war mir im Moment auch kein großer Trost. Eben noch war ich Neurochirurgin gewesen, ein Job mit Strapazen, die jede Art von Spaß und Glamour im Keim erstickten. Dazu war es auch noch eine Männerwelt, in der ich jeden Tag aufs Neue gegen deren Tendenz, mich als überambitionierte Krankenschwester abzustempeln, kämpfen musste.
Da hatte sich die Psychiatrie mit ihren neuen Herausforderungen als Zufluchtsstätte angeboten. Ein bisschen mit Patienten über das Leben reden, statt nächtelang Schädel aufsägen und Gehirne operieren, bei Besprechungen im Kreise verständnisvoller Psychiater-Kollegen sitzen, nicht mehr unter karrieregeilen Machos. Das hatte sich doch gut angehört.
Erst vier Wochen nach meinem Wechsel hatte ich darüber nachzudenken angefangen, was ich hier eigentlich sollte. Während meines Studiums war die Psychiatrie kein Thema für mich gewesen, außer wenn ich mit Studienkollegen darüber gescherzt hatte, dass dort die Patienten kaum von den Ärzten zu unterscheiden waren, und dass der Durchgeknallteste von allen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Chef war.
Nun musste ich auch erkennen, dass der Job keineswegs so gemütlich wie erwartet war. Die Patienten forderten Aufmerksamkeit, die Diagnosen verlangten Verantwortungsbewusstsein und die Materie war komplex und bot weniger eindeutige Symptome als zum Beispiel ein Blutgerinnsel im Gehirn.
Immerhin gefährdete ich nicht gleich das Leben eines Menschen, wenn ich einmal unausgeschlafen zur Arbeit kam, und außerdem war ja nichts fix. Ich konnte auch wieder etwas Neues anfangen. Das hatte ich oft genug getan. Vieles interessierte mich. Ich hatte die Möglichkeiten noch nicht sondiert, aber mir war klar, was ich wollte: möglichst jeden Tag etwas Spannendes und Neues erleben.
Als ich die Ambulanz betrat, der ich seit einigen Tagen zugeteilt war, hätte ich mich am liebsten leise wieder davongeschlichen. Denn der Wartesaal war bereits knallvoll und das Pflegepersonal war von meiner knappen Stunde Verspätung ziemlich genervt.
Ersatz hatten sie zwischenzeitlich natürlich keinen gefunden. Schließlich hatten sie mich ja auch wegen Personalmangels in die Ambulanz versetzt, nach dem Motto: besser eine Anfängerin dort als gar kein Arzt. An und für sich wäre ich der Bettenstation zugeteilt gewesen, wo es ruhiger zuging. Bloß half mir das jetzt auch nichts.
Obwohl schon dicke Luft herrschte, brauchte ich zunächst noch eine Stärkung, um einigermaßen in die Gänge zu kommen. Auf die paar Minuten würde es nun auch nicht mehr ankommen, fand ich. Einer der Pfleger rettete mich mit einer Tasse Zimt-Kardamom-Kaffee, den er mit einer italienischen Espressomaschine auf der Herdplatte in der Ambulanzküche braute, und der selbst Tote zum Leben erweckt hätte. Angeblich hatten wegen dieses Kaffees schon Studenten überlegt, sich an unserer Abteilung zu bewerben.
Als ich mit meinen brandneuen Stiefeletten und den dazu passenden neuen Craft Jeans, einem echten Schnäppchen, mein Ambulanzzimmer erreichte, fand ich auf dem Tisch kaum noch Platz für die Tasse. Das Geschirr der vergangenen Tage türmte sich dort in mehreren Reihen zwischen Stapeln alter Blutbefunde, gelesenen, aber nicht eingeordneten neuropsychologischen Befunden, Schulungsunterlagen und Ankündigungen von Vorträgen und Tagungen, die mich gar nicht interessierten.
Ich schob das Chaos etwas beiseite und rief meinen Patienten auf. Als die Tür aufging, hob ich den Blick: »Was kann ich für Sie tun?«
Als ich drei Stunden später zwischen zwei Patienten rasch meine E-Mails checkte, las ich mit Entsetzen, dass eine Pariser Firma meinen Parka, den ich dort bestellt hatte, statt zu mir nach Wien nach Saudi-Arabien geschickt hatte. Ich war schlagartig den Tränen nahe und wunderte mich nicht einmal darüber. Ich kannte mich so schon seit einigen Tagen.
Denn, auch wenn ich das meinen Freundinnen so nicht gestanden hatte, waren die vergangenen Wochen für mich doch einigermaßen deprimierend gewesen. Wieder hatte mich eine Beziehung enttäuscht. Wieder musste ich mich von einem Freund trennen. Wieder musste ich von neuem nach der großen Liebe suchen. Das lastete vielleicht sogar schwerer auf meinem Gemüt, als ich es mir selbst eingestehen wollte.
Diese kleinen Belohnungen aus dem Internet waren da Balsam für die Seele, und umso bitterer fühlte es sich an, wenn ich unversehens auch dabei eine Enttäuschung erlitt. Doch wie es aussah, hatte ich bei der Bestellung des Parkas vor ein paar Tagen im Bus statt »Autriche« irrtümlich »Arabe Saudie« angeklickt.
Ich hatte allerdings keine Zeit, deshalb in Tränen auszubrechen, denn das Telefon läutete. Die koordinierende Krankenschwester informierte mich, dass draußen mehr als zwanzig Patientinnen und Patienten warteten. Ich ahnte, dass ich zum Teil selbst schuld daran war. Ich hatte wohl wieder einmal Termine, die ich per SMS ausgemacht hatte, nicht in meinen Kalender eingetragen, weshalb jetzt mehrere Patienten zur gleichen Uhrzeit bestellt waren. Optimal war das natürlich nicht.
Jetzt steckte auch noch eine übergenaue Fachärztin namens Therese ihren Kopf zur Tür herein. Therese beschwerte sich, dass meine weißen Mäntel und meine Bücher quer über die Abteilung verteilt herumlagen und forderte mich auf, endlich Ordnung in meine Sachen zu bringen. Therese ging auf mich los, seit ich hier war, doch heute schien es diese übergenaue Spinnerin ganz besonders auf mich abgesehen zu haben. Hatte die nichts Besseres zu tun, als harmlose Quereinsteigerinnen mit kleinkariertem Quatsch zu quälen?
Meine nächste Patientin war eine junge, depressive Frau, die ihre Probleme seit geraumer Zeit im Alkohol ertränkte. Sie erzählte mir lang und breit, dass sie an nichts mehr Freude habe, und wie trost- und sinnlos ihr Leben wäre.
Ich hatte Schwierigkeiten, ihr zu folgen, denn sie redete leise und monoton, sodass meine Gedanken immer wieder abdrifteten. Mir fielen Dinge ein, die ich noch erledigen musste. Was ich heute zum Essen einkaufen könnte und wie gut es mir im Großen und Ganzen dann doch gelang, meine eigene düstere Stimmung mit Onlineshopping zu bekämpfen.
Inzwischen erzählte die Frau, dass sie früher Sport gemacht hatte und sich nun nicht mehr dazu aufraffen konnte. Mir fiel ein, dass ich aus dem gleichen Grund meinen letzten Surfkurs geschmissen hatte. Vielleicht sollte ich einen neuen buchen. Würde sie es merken, wenn ich rasch die aktuellen Angebote der Surfschule checkte?
Am Ende des Gesprächs wusste ich nicht genau, wie ich mit ihr umgehen sollte. Brauchte sie Medikamente? Das war immerhin eine weitreichende Entscheidung für sie. Ich schickte sie ins Wartezimmer zurück und rief Shird, den Ambulanzoberarzt, an, um zur Sicherheit seine Meinung dazu einzuholen.
Während ich auf Shird wartete, checkte ich die Surfkurse und bekam mit, dass meine E-Mail wegen meines Parkas zurückgekommen war, und dass inzwischen DHL dessen Auslieferung in Saudi-Arabien übernommen hatte, an welche Adresse auch immer. Während ein besonders ungeduldiger Patient schon an die Tür der Ambulanz klopfte, kam von der anderen Seite Shird herein, doch ehe ich ihm für sein rasches Auftauchen danken konnte, läutete mein Telefon. »Ich hebe besser ab, vielleicht ist es wichtig«, sagte ich hektisch.
Shird machte es sich auf dem Patientensessel bequem, während mir der Schweiß ausbrach. »Kindergarten Laudongasse«, flötete die freundliche Stimme, »die kleine Franzi wartet darauf, abgeholt zu werden. Ihre Mama sagte mir, Sie würden heute kommen.«
»Oh du meine Güte«, sagte ich, »ist das heute? Das kann unmöglich heute sein.«
Gleichzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich meiner Schwester versprochen