Die geteilte Seele. Iris Zachenhofer

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Die geteilte Seele - Iris Zachenhofer

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Persönlichkeiten in Einklang bringt, damit ich nie wieder Patienten gleichzeitig bestelle und immer pünktlich bin, wenn ich mit meiner Nichte in den Zirkus will?«

      »Du brauchst keinen Psychiater«, sagte Shird. »Das Schöne an der Sache ist, dass die vier Teile unserer Seele beziehungsweise die Verhältnisse zwischen ihnen unser Leben lang wandelbar bleiben. Wir haben jederzeit die Möglichkeit, schwächere Anteile zu stärken und dominante etwas in den Hintergrund zu drängen, und wir können das selbst.«

      »Ich bin also kein hoffnungsloser Fall?«

      Als ich Shird lächeln sah, fragte ich mich, wie oft er diese Geschichte wohl schon Patienten erzählt hatte. Aber egal, dachte ich. War ich eben die mit dem unterentwickelten Christopher.

      »Du bist weder ein hoffnungsloser noch ein schlimmer Fall«, sagte er.

      Während Shird für uns Apfelstrudel und zwei Espressi holte, fiel mir ein, dass auch ich einen ziemlich lupenreinen Christopher kannte. Ich hatte ihn vor einigen Monaten kennengelernt, nachdem mir ein Freund, angesichts des Chaos in meinen Finanzen, den Steuerberater seines Vertrauens empfohlen hatte. In dessen Kanzlei war ich mit einer Reisetasche voller Ordner und Zettel aufgekreuzt.

      Als in seinem Besprechungszimmer mit den säuberlich geordneten Büchern und Ordnern der Inhalt meiner Tasche auf einen großen, leeren Glastisch gequollen war, war mir mein Chaos richtig peinlich gewesen. Um die Peinlichkeit noch zu steigern, begleiteten ein paar Federn, Tannenzapfen und Gräser vom letzten Waldspaziergang mit Franzi, meiner jüngsten Tochter und meinem Hund die Unterlagen.

      Ich kam mir erbärmlich wie eine Obdachlose vor, die bei einer Polizeikontrolle ihr Hab und Gut auf dem Gehsteig ausbreiten muss. Der Steuerberater schenkte mir ein Lächeln, in dem kein Vorwurf lag, sondern nur ehrlich empfundenes Mitleid, und nach anderthalb Stunden mit ihm hatte ich die beruhigende Gewissheit, dass selbst mein Chaos zu bändigen war.

      Er gab mir das Gefühl, dass ich, wenn ich nur wollte, wie eine dieser Frauen aus amerikanischen Fernsehserien werden konnte, die in einem schlichten Kleid und mit perfekter Frisur an einem Schreibtisch saßen, auf dem nur drei gespitzte Bleistifte lagen, nicht wie auf meinem eine undurchdringliche Dokumentation der Vielfalt des Lebens. Die daheim einen Schrank voller nach Farben geschlichteter und nach Lavendel duftender Wäsche hatten, nicht wie ich einen immerzu voll behängten Wäscheständer, den auch noch ständig mein für die Wohnung viel zu großer Hund umwarf. Die sich Anfang der Woche überlegten, was sie kochen würden, die nicht wie ich regelmäßig hungrig zum Supermarkt liefen, um sich Baguette, Ziegenkäse und Rotwein zu holen.

      Bloß, wollte ich so sein? Nein. Und jetzt fragte ich mich auch, was diesen Frauen aus den amerikanischen Serien oder meinem Steuerberater dafür wohl fehlte. Spontane Besäufnisse mit Freunden gab es in ihrem Leben wohl eher nicht, womit ihnen meiner Meinung nach etwas sehr Wesentliches fehlte.

      Beim Nachtisch sprachen Shird und ich weiter über die geteilte Seele. Riemann hatte in den 1960er-Jahren offenbar viel Aufmerksamkeit für seine Forschung erhalten, dennoch fanden wir beide, dass die Psychologie das Thema stiefmütterlich behandelte und es im öffentlichen Bewusstsein zu wenig präsent war.

      »Vielleicht liegt es an den wissenschaftlichen Bezeichnungen der vier Persönlichkeiten, die wir in uns vereinen«, sagte Shird. »Neben der zwanghaften gibt es noch die schizoide, die depressive und die hysteriforme. Damit kann sich niemand identifizieren.«

      »Es klingt tatsächlich nicht besonders sexy«, sagte ich. »Es klingt, als hätten die vier Persönlichkeiten in uns nur schlechte Seiten, was ja nicht der Fall zu sein scheint.«

      Shird nickte. »Ich tue mir bei meinen Patienten immer leichter, wenn ich von dem Christopher in ihnen statt von ihren zwanghaften Persönlichkeitsanteilen spreche«, sagte er.

      Wusste ich es doch. Plötzlich Patientin. Aber egal. »Hast du für die anderen drei auch neue Namen gefunden?«, fragte ich.

      »Ich arbeite daran. Es sollten neutrale Namen wie eben ,Christopher‘ sein.«

      Es war tatsächlich ziemlich unfair von Riemann und Konsorten gewesen, den vier Persönlichkeiten, die miteinander unser Wesen ausmachten, so abschreckende Namen zu geben. Denn jede davon hatte definitiv auch positive Seiten.

      Der Typ Christopher konnte nicht nur ein fantastischer Steuerberater sein. Mit ihm war zum Beispiel auch das Reisen angenehm. Er kümmerte sich um Planung, Flugzeiten und Buchungen. Er fertigte dabei auch gleich Kopien von Reisepässen, Kredit- und Bankomatkarten sowie den Kontaktdaten an.

      Wer auf einem Flug mit einem Begleiter des Typs Christopher ein Gepäckstück verlor, konnte sicher sein, dass sich Christopher bis zum Zuständigen der betreffenden Fluglinie vorkämpfen und das Gepäckstück auch noch in die versteckteste Bambushütte auf der entlegensten Insel nachliefern lassen würde.

      Christopher steht für Ordnung, Genauigkeit, Planung.

      Hartnäckigkeit war überhaupt eine Stärke des Typs Christopher. Ich musste sie sogar meiner ungeliebten Kollegin Therese zubilligen. »Ich habe jetzt einen Termin beim Chef«, hatte ich sie einmal zu einer Krankenschwester sagen gehört, »und ich werde erst vom Sessel aufstehen, wenn ich alles erreicht habe, das ich erreichen will. Soll es meinetwegen zwei Stunden oder noch länger dauern. Das ist dann sein Pech.«

      Die Schattenseiten, die der Typ Christopher neben dem Hang zur Pedanterie hat, sind allerdings auch bemerkenswert. So kann sein Bedürfnis, Projekte abzuschließen, zu einer regelrechten Verbissenheit führen. Für ihn ist es unbegreiflich, wie jemand lesen, dösen oder Musik hören kann, wenn noch Dinge zu erledigen oder zu ordnen wären. Er bringt Arbeiten zu Ende, gnadenlos, egal um welche Uhrzeit und wie es seinen Mitmenschen dabei geht.

      Ich kannte das von Theo, meinem Ex-Freund, der eindeutig einen starken inneren Christopher hatte. Er wollte auch dann noch die Vorhangstange montieren, wenn ich nach einem Nachtdienst vor Müdigkeit schon doppelt sah und fast von der Leiter fiel.

      Dabei läuft der Typ Christopher auch noch ständig Gefahr, sich in unwichtigen Details zu verlieren und sich in Nebenschauplätze zu verbeißen. Es ist dann, als stünde er direkt vor einem großen impressionistischen Gemälde und als starre er immer nur einen einzigen Punkt an, statt ein paar Meter zurückzutreten und entspannt das ganze Bild zu betrachten.

      Jetzt fiel mir eine ganze Reihe von Menschen mit ausgeprägtem inneren Christopher ein. Eine Oberärztin an der Neurochirurgie zum Beispiel, eine frühere Kollegin von mir. Sie war für das Erstellen der Dienstpläne verantwortlich. Dabei verrannte sie sich regelmäßig mit ihrem Perfektionswahn und saß nächtelang an Korrekturen und Verbesserungen. Ihre Dienstpläne waren immer voller überflüssiger Details in rot, blau, grün und gelb.

      Oder eine andere Ärztin, mit einem ebenfalls stark ausgeprägten inneren Christopher. Eine Krankenschwester rief sie einmal wegen eines Notfalls an, wegen eines epileptischen Anfalls. Die Ärztin meinte, sie könne nicht gleich kommen, denn sie müsse erst noch die Laborbefunde fertig ordnen. Zum Glück war gerade ein anderer Arzt vor Ort und konnte sich um den Patienten kümmern. Die Ärztin kreuzte erst auf, als der epileptische Anfall längst vorbei war.

      Auch das Bedürfnis des Typs Christopher, alles genau zu planen, kann sich zu einer Schattenseite entwickeln. Mein Theo, zum Beispiel, wäre niemals zu einer Straßenbahnhaltestelle gegangen, ohne die nächsten fünf Abfahrtszeiten zu kennen. Wollte ich unterwegs dahin bei einem Straßenmusiker oder vor einem Schaufenster stehenbleiben, löste das bei ihm ein geradezu körperliches Unbehagen aus, so wie ihn überhaupt Dinge, die nicht nach seinen Plänen liefen, ungemein stressten.

      Der Typ Christopher versucht

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