Kämpf um deine Daten. Max Schrems

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Kämpf um deine Daten - Max Schrems

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gnadenhalber erlauben, ihre Produkte zu kaufen, um dann wie Halbgötter gefeiert zu werden. Trotzdem muss ich zuallererst klarstellen, dass die digitale Revolution ohne Frage unser Leben unglaublich erleichtert und befreit.

      Es ist leider ratsam, diese positive Seite als Datenschützer immer erst mal festzuhalten. Personen, die sich mit Datenschutz beschäftigen, dürfen ja nach der Vorstellung vieler nur aus der Schublade jener Spielverderber rauskriechen, die unsere Freude an Innovationen und funkelnden Produkten verderben. Dass Menschen gleichzeitig Spaß an neuen Technologien haben können und trotzdem ihre Bedenken äußern, bringt leider immer noch das Weltbild von vielen durcheinander. Man kann ja, nach dem Glauben mancher, nur für oder gegen etwas sein. Blanke Ablehnung wäre natürlich relativ sinnlos. Es geht daher nie darum, »böse« Technologie zu bekämpfen, sondern tolle Entwicklungen gemeinsam in eine für die Allgemeinheit sinnvolle Richtung zu lenken.

      Für mich hat sich also nie die Frage gestellt, ob diese Dinge an sich gut oder böse sind, sondern wie wir sie gestalten. Daher war für mich auch klar, dass ich Facebook, Twitter oder Google weiter nutze, auch wenn das regelmäßig für massive Verwirrung bei Journalisten gesorgt hat. Aber die Situation ist eben etwas zu vielschichtig für eine einfache Schwarz-Weiß-Geschichte.

      Natürlich ist es überhaupt keine neue Erkenntnis, dass wir Neuerungen nicht verhindern, sondern lenken sollten. Bei jeder größeren Veränderung mussten wir als Gesellschaft neu festlegen, unter welchen Bedingungen wir Innovationen haben wollten. Nach der Industrialisierung haben wir festgestellt, dass beispielsweise Arbeitnehmerschutz unumgänglich ist, damit die Gesellschaft auch mit einer damals neuen Arbeiterklasse weiter funktioniert. Immer massivere Eingriffe in die Natur machten irgendwann klar, dass wir Umweltschutz brauchen, um zumindest die extremsten Auswüchse einzudämmen. Kaum gab es Autos, mussten wir uns überlegen, wie wir den Verkehr regeln, damit nicht nur jeder ein Auto hat, sondern damit auch möglichst sicher und schnell ans Ziel kommt. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Sobald ersichtlich wurde, dass neue Entwicklungen einen echten Mehrwert bringen, ging es also nie um das ob, sondern immer um das wie.

      Wenn nun die Digitalisierung jeden Teil unseres Lebens durchdringt und diese Technologie eindeutig viel mehr kann als sie vielleicht soll, so wird klar, dass auch hier Regelungsbedarf besteht. Nicht weil man diese Entwicklung verhindern müsste, sondern weil wir sie zum Nutzen aller gestalten sollten. Es geht um Vertrauen, um Fairness und die Balance von Interessen. Wie weit lassen wir uns von Technologien, Konzernen und Innovationen verändern, und wie weit ordnen wir uns diesen unter? Wer bekommt wie viel vom neu entstehenden Kuchen? Stupides Ablehnen oder Verherrlichen von Innovationen ist zwar viel einfacher als eine echte differenzierte Auseinandersetzung damit, so leicht können wir es uns aber nicht machen. Wir müssen vielmehr die Konflikte erkennen und sie nach Möglichkeit im Interesse aller lösen.

      Da Sie aber kein Buch über die Großartigkeit diverser Innovationen gekauft haben, darf ich im Weiteren auf die Selbstinszenierungen der Konzerne verweisen. Die können das auch viel besser. Ich empfehle überhaupt, nach jedem Kapitel dieses Buches ein Werbevideo für das neueste Handy oder einen neuen Online-Dienst anzusehen, um nicht ganz die positiven Seiten auszublenden. Ich kann Ihnen jedoch nicht garantieren, dass Sie nicht einen gewissen Zynismus verspüren, wenn Sie diesen Rat befolgen sollten. Die neueste Selbstinszenierung eines IT-Konzerns mag nach einem Kapitel über die Vorgänge hinter den Kulissen wie ein mit Antibiotika verseuchtes Käfighuhn nach einem Tierschutzfilm schmecken. Trotzdem Mahlzeit!

      Nachdem ich mich also (hoffentlich erfolgreich) von jedem Verdacht der Verweigerungshaltung reingewaschen habe, würde ich nun gerne die Frage »Neue Technologie: Ja oder Nein« verlassen und in das »Ja, aber wie?« eintauchen, denn genau diese Diskussion ist wirklich spannend.

      Warum Privatsphäre?

      Ich gehe mal davon aus, dass ich Sie als Leser dieses Buches nicht überzeugen muss, dass Privatsphäre doch etwas wert ist. Wenn sie Ihnen nichts wert wäre, würden Sie jetzt vermutlich eher einen Krimi oder eine Liebesgeschichte lesen. Ich hoffe, wir können uns daher lange Ausschweifungen über den prinzipiellen Wert der Privatheit sparen. Gemeinsam offene Türen einzurennen ist ja für uns beide vermutlich eher minder spannend. Trotzdem gibt es einige Elemente, Hintergründe und Gedanken, die auch für bereits Überzeugte interessant sein könnten.

      4. Nazis oder Kommunisten?

      »Hallo? Ist da Europa gegen Facebook?«

      »Ja, hallo!«

      »Großartig. Ich bin von der New York Times und würde gerne über euch schreiben. Haben Sie ein paar Minuten?«

      »Sicher, gerne. Wie kann ich Ihnen helfen?«

      »Also, zu Beginn wollte ich fragen, warum in Europa Privatsphäre so wichtig ist. Ähm, … ist das wegen der Nazis oder wegen der Kommunisten?«

      So ähnlich fing zirka jedes zweite Interview zu unserem Facebook-Verfahren mit Journalisten aus den USA an. Warum sind diese Europäer so paranoid? Gut, dass die Überwachung durch den Staat eingedämmt werden muss, das kann man als Amerikaner ja noch verstehen: Der Staat ist böse. Aber private Unternehmen sind ja schlussendlich dafür da, möglichst aus allem Profit zu schlagen. Was haben diese Europäer also mit ihrem komischen Datenschutz?

      Nun kann man Journalisten bei derartigen Fragen Ignoranz, Blödheit oder amerikanischen Imperialismus vorwerfen. Ich sehe das neutraler. Man muss zugeben, dass Privatsphäre ein höchst unerklärliches, teilweise absurdes und stark kulturelles Konstrukt ist. Es gibt meistens keinen logischen Grund, warum wir gewisse Dinge im Geheimen machen wollen und andere in der Öffentlichkeit.

      Als ich in China in einem Busbahnhof aufs Klo musste, trennte mich von meinem Nachbarn nur eine hüfthohe Wand. Stuhlgang wie bei den Römern, als gemeinschaftliches Erlebnis. Ich musste zum Glück nur klein. In Japan saßen wir wenige Wochen später auf Toiletten, die auf Knopfdruck Geräusche und Melodien spielten, damit draußen nur ja keine unschönen Körperlaute zu hören waren. Zwei Stunden Flugzeit trennen diese hüfthohen Abtrennungen von einer Kultur, die ganz natürliche Geräusche nicht ertragen kann und diese lieber mit Soundmodulen übertönt.

      Wer in den USA durch eine Vorstadt fährt, findet keinen Zaun, keine Hecke und meistens auch keine Vorhänge. Jeder kann direkt von der Straße ins Wohnzimmer sehen. Wenn ein Bäumchen an der Grundgrenze gepflanzt wird, dann nur um klarzustellen, wie weit man seinen Rasen mähen muss. Der Front Yard ist die Visitenkarte des Hauses, im Hinterhof liegen nicht selten der Dreck, eine Hundehütte und ein altes Trampolin. In Zentraleuropa sind wir hingegen Meister der Mauern, Hecken, Zäune und Vorhänge. Meine Mutter arbeitet seit Jahren daran, eine möglichst hohe und dichte Hecke zur Straße hin zu haben. Strategisches Schneiden soll dabei höchste Bedeutung haben, sagt sie. Als wir einen alten österreichischen Freund der Familie besuchten, der nun in den USA lebt, war sofort klar wo er wohnte, als wir in seine Straße einbogen: in dem einzigen Haus mit einer dichten Hecke. Ein kleines Stück österreichische Privatheit in einem Vorort von New York.

      Im Jahr 1928 hatte der US-Supreme-Court zu entscheiden, ob die US-Verfassung die Telefonüberwachung irgendwie einschränkt. Das Gericht entschied, dass es keine Privatsphäre bei Telefongesprächen gibt, denn die »Telefonleitungen sind ebensowenig Teil des Hauses oder des Büros wie die Highways, entlang derer sie gespannt sind.« Ein Telefonat ist also nicht privat. Punkt. Erst 1967 änderte das Höchstgericht seine Ansicht, und die Telefonleitungen wurden dann über Nacht doch Teil des Hauses oder Büros oder zumindest so etwas ähnliches Privates.

      In den USA ist juristisch gesehen überhaupt nur das privat, bei dem Bürger eine »vernünftige Erwartung« haben können, dass es privat ist (»reasonable expectation of privacy«). Wenn es um vernünftige Erwartungen

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