Kämpf um deine Daten. Max Schrems
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Nun können Sie natürlich alle Zelte abbrechen, Einsiedler, Nonne oder Träger eines Stanniol-Huts werden (der soll laut eingefleischten Paranoikern gegen die imaginären Überwachungsstrahlen der NSA helfen), aber realistisch betrachtet werden Sie nicht entkommen. Genauer gesagt sollten wir gar keinen Grund haben, dem zu entkommen. Sie sollten eigentlich unbehelligt leben können, auch wenn Sie moderne Technologie nutzen.
Wir müssen aber dringend realisieren, wie viele Daten wir heute schon täglich absondern, dass es immer mehr werden, dass diese Daten immer tiefer in unser Privatleben vordringen und wir zum größten Teil weder genau wissen, noch genau steuern können, was im Hintergrund mit diesen Daten passiert.
Können Sie auf einem Zettel Papier aufschreiben, was genau, wie, wo und warum alles über Sie gespeichert wird? Ich kann trotz gut drei Jahren intensiver Beschäftigung mit Facebook nicht einmal genau sagen, was dieses einzelne Unternehmen im Detail über mich speichert und vor allem, was es mit meinen Daten macht. Dabei ist das nur ein sehr kleiner Teil meines persönlichen Datenhaufens.
Wir »datifizieren« also immer mehr Bereiche unseres Lebens. Das Speichern von Milliarden von Informationen über jeden Menschen ist relativ billig geworden. Als ich vor gut zehn Jahren Programmieren lernte, wurden wir noch gedrillt, möglichst sparsam mit Speicherplatz zu sein. Wenn man bei einer Berechnung eine kleine Zahl erwartete, legte man im Computerprogramm eine Integer-Variable an. In solchen Variablen konnte man zwar nur Zahlen bis 32.767 speichern, dafür blockierten sie weniger Speicherplatz. Erhöhte sich die Zahl auf 32.768, dann konnte der Computer die Daten nicht mehr speichern, es gab eine Fehlermeldung. Das nahm man aber in Kauf, um ein paar Bytes zu sparen. Das fertige Programm speicherte man auf (schon damals altmodischen) Disketten, weil es USB-Sticks noch nicht wirklich gab und CD-ROMs zu brennen unpraktisch war. Süß, oder?
Heute sieht es anders aus: Die Menge der weltweit vorhandenen Daten soll sich zirka alle 2 Jahre verdoppeln. Es heißt, wir haben bis 2003 in unserer gesamten Menschheitsgeschichte insgesamt so viele Daten festgehalten, wie wir heute alle paar Tage fabrizieren. Das muss man sich mal vorstellen: Alle Bücher, Videobänder, Filme, Bibliotheken, Archive, Serveranlagen und Niederschriften von tausenden Jahren sind im Umfang geringer als die Daten, die wir heute in ein paar Tagen ausstoßen. Natürlich ist das nur eine quantitative Betrachtung. Vieles davon ist einfach Datenmüll. Das Problem ist nur, dass das Löschen dieser Datenmassen oft komplizierter und sogar teurer ist, als einfach alles zu behalten. Wo früher die Festplatte voll war und mühevoll alte Daten aussortiert wurden, wird heute eine größere Festplatte reingesteckt oder für ein paar Cent weitere Giga-oder Terabytes Cloud-Speicher dazugekauft. Problem gelöst.
Wenn das allgemeine Daten über den Verkehrsfluss, das Wetter, technische, wissenschaftliche oder administrative Informationen sind, ist das für den Menschen normalerweise unproblematisch oder sogar extrem hilfreich. Viele der erfassten Daten lassen jedoch direkte Rückschlüsse auf uns zu, auf unser Verhalten, unsere Persönlichkeit und unsere Gedanken. Diese personenbezogenen Daten können ein Problem werden. Sie explodieren heute ebenso exponentiell wie der Rest. Diese Daten erlauben gleichzeitig immer tiefere Einblicke in unser Leben und unsere Gedanken.
Allein der Umfang von Informationen, die über jede einzelne Person gesammelt werden, ist erdrückend. Nicht mal Ihr persönlicher Datenhaufen ist heute noch von Ihnen überblickbar. Schon gar nicht überblickbar sind die Datenhaufen von Milliarden Menschen, die bei Millionen Unternehmen und Stellen verarbeitet werden. Jedes Jahr wird das noch mehr. Selbst Experten können Ihnen auf die meisten Fragen zu den Datenflüssen und den Details dieser Sammelwut keine konkreten Antworten geben. Die Datenwirtschaft ist heute selbst für die hellsten Köpfe unter uns zu komplex und weitläufig.
Leider ist der Umfang der Datifizierung für 99% unserer Mitbürger noch nicht real greifbar. Sie geschieht abstrakt, unsichtbar und schleichend. Es hat sich zwar herumgesprochen, dass der elektrische Strom nicht von der Hauswand abgesondert wird und dass ein Klo auch kein Loch zum Nirwana ist, sondern dass alles irgendwo herkommt und wieder irgendwo hingeht. Was aber mit unseren Daten hinter den Displays passiert, die wir so gern ansehen (oder auch liebevoll streicheln), hinterfragen nur wenige. Das eine Prozent von uns, das genauer darüber nachdenkt, was hinter den glänzenden Oberflächen so passiert, ist dann meistens entweder paranoid geworden oder wurde zum Datenschützer, manchmal auch beides.
7. Analysieren, Verknüpfen und »Big Data«
Die heutigen, unglaublich umfangreichen Sammeltätigkeiten sind schon sehr beeindruckend. Noch spannender ist jedoch, was mit diesen Daten dann noch alles passieren kann. Wenn meine persönlichen Informationen irgendwo im Keller vergammeln würden, wären meine Sorgen eher gering. Natürlich passiert aber genau das Gegenteil: Auch die Verwertung unserer Daten wird immer umfangreicher. Auch hier wird täglich tiefer in unser Leben eingedrungen.
Leistungsfähigere Computer können auch bei großen Datenmengen tiefgreifende und detaillierte Analysen auf Knopfdruck zaubern. Aus tausenden Informationen und Faktoren wird schnell ein Wert, eine Entscheidung oder eine Aussage errechnet. Aus hunderten Artikeln, die Sie auf Amazon angesehen und den paar, die Sie gekauft haben, wird in wenigen Millisekunden errechnet, was Sie vielleicht auch noch interessieren könnte. Aus tausenden Suchabfragen der letzten Jahre errechnet Google, gemeinsam mit anderen Faktoren, ob Sie beim Suchwort »Ägypten« auf der ersten Seite Urlaubsinformationen oder eher Informationen zur derzeitigen politischen Lage bekommen. Facebook errechnet auf Knopfdruck aus tausenden Meldungen jene relevanten Informationen, die Sie auf der ersten Seite angezeigt bekommen. Die passende Werbung wird auch gleich mitberechnet. Dafür werden jeweils Millionen Informationen verarbeitet und verknüpft. Alter, Interaktionshäufigkeit, Freundschaften, Klickverhalten, angegebene und errechnete Interessen, Reaktionen von Freunden und hunderte weitere Informationen werden bemüht, um für Sie ein paar Meldungen auszuwählen.
Wenn ein Dienst das gut macht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Sie etwas kaufen, was Sie eigentlich nie wollten, weiter auf der Seite bleiben und weiterklicken. Die Nachteile solcher Analysen sind heute noch halbwegs überschaubar. Im schlimmsten Fall landen wir regelmäßig in einer sogenannten »Filter Bubble«: Damit beschreibt man das Phänomen, dass automatische Analysen den größten Teil der Informationen wegfiltern und damit bestimmen, was wir sehen oder eben auch nicht sehen. Der Informationsreichtum des Netzes wird dadurch beschnitten, ohne dass wir auswählen können, was wegkommt. Die Informationen werden immer weiter auf unsere Interessen eingeschränkt. Das bedeutet auch, dass wir in unserem eigenen informationellen Saft immer weiter einkochen. Wie bei einer Tageszeitung schneiden die Algorithmen jene Seiten weg, die Sie selten lesen. Politik? Weg damit! Sie blättern eh immer nur drüber. Dafür gibt es jetzt 25 Seiten Sport und Chronik. Wenn Sie glauben, jeder bekommt die gleichen Ergebnisse bei Google, die gleichen Updates bei Facebook oder die gleichen Vorschläge bei Amazon, dann liegen Sie falsch. Es wird alles anhand Ihrer Daten gefiltert und angepasst. In den USA geht das so weit, dass Republikaner tendenziell nur die Meinung von Republikanern und Demokraten nur demokratische Meinungen sehen. Andere Meinungen und neue Dinge, für die wir uns bis dato nicht interessiert haben, werden weggefiltert. Demokratiepolitisch ein Wahnsinn.
Aber im Vergleich mit anderen Möglichkeiten ist diese Filter-Problematik eher ein Kindergeburtstag. Mit ein paar Daten und einer guten Analyse kann man beispielsweise in Ihre Gebärmutter sehen – kein Scherz. Target, ein US-Supermarkt, machte Schlagzeilen, weil ein Verantwortlicher erklärte, dass der Supermarkt einen »Schwangerschaftsindex« für seine Kunden anlegt. Dafür haben die Analytiker von Target in Millionen Datensätzen Verbindungen gesucht.