Das Schuljahr nach Corona (E-Book). Armin Himmelrath

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Das Schuljahr nach Corona (E-Book) - Armin Himmelrath

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Diese zu bewältigen, bedarf eines konzertierten Vorgehens, um alte und neue Probleme des deutschen Schulsystems unter Zeitdruck lösen zu können.

      2.1Die Steuerung des Schulsystems bedarfssensibel gestalten

      Es ist unübersehbar, dass unterschiedliche krisenrelevante Ebenen im Bildungssystem existieren. Hierbei zeichnet sich die oben beschriebene Situation ab, in der die ohnehin undurchsichtigen Steuerungsstrukturen nicht funktioniert haben und eine nahezu vollständige Lähmung des Schulbetriebs eingetreten ist. Noch wird in der Öffentlichkeit keine transparente Diskussion darüber geführt, aber für einen Großteil der Bevölkerung zerplatzt die Illusion einer verantwortungsvollen Schule.

      Das Etikett Homeschooling ist in diesem Zusammenhang fatal. Trotz der rhetorischen Abwehr trifft es die Situation. Dagegen zeigen viele Beispiele anderer Länder, dass Fern- und digitaler Unterricht gut funktionieren können. Die sozialisationstheoretische Perspektive, auf die wir uns hier beziehen, weist auf unterschiedlichen Ebenen eines solchen Prozesses hin. Dieser verbindet die genannten Defizite mit der Aussicht auf Reformchancen.

      Folgendes Szenario wäre wünschenswert: Es werden regionale und überregionale Gremien eingerichtet, in denen erfahrene Expertinnen und Experten für den gesamten Bildungsbereich zusammenarbeiten. Die Situation, die mit dem ungewollten Bildungsmoratorium der vergangenen Wochen verbunden war, wird genau analysiert und zur Grundlage der weiteren Planung.

      Es wird evaluiert, wo Versorgungs- und Lernlücken entstanden sind und welche Gruppen Unterstützung benötigen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Schulstress ohne Schule entstanden ist und in allen Familien besondere Belastungen erfahren werden. Im öffentlichen Schulsystem wird darum die unflexible Delegationsbeziehung zwischen Schulträgern, Bezirksregierungen, Land und Bund unterbrochen. Kooperationen zwischen Schulen werden gestärkt, klare Vorgaben gemacht und Unterstützungsmöglichkeiten geschaffen. Die Schulträger nehmen ihre Verantwortung wahr und bringen in Bildungskonzilen die dringendsten Bedarfe in die Agenda der Kommunal-, Bezirks- und Landesverantwortlichen ein. Zentral ist, dass prozessorientiert gedacht wird und sehr spezifische Lösungen gefunden werden, die bundeslandspezifische Herausforderungen berücksichtigen, vor allem aber an regionale und schulstandortspezifische Bedarfe angepasst sind.

      2.2Digitales und analoges Lernen koordinieren

      Wir haben dargestellt, warum sich die Abstände zwischen den Leistungsgruppen durch die schulische Latenzphase vergrößert haben. Kurzfristige Lösungen wie die Reduzierung von Unterricht auf die Hauptfächer folgen einer fehlgeleiteten Logik des Aufholens, die die besondere psychosoziale Situation von Schülerinnen und Schülern, aber natürlich auch von Lehrkräften und Eltern zu wenig berücksichtigt. Auch Lösungen wie die der Kleingruppenarbeit sind nicht die einzige Möglichkeit, durch die jetzt neue oder kompensatorische Lernangebote geschaffen werden können.

      Vielmehr sollten jetzt alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um digitales und analoges Lernen zu koordinieren und damit einen Qualitätssprung bei den Bildungsergebnissen zu erreichen. Dazu gehören Angebote des Bildungsfernsehens und die Auslagerung von Unterricht an Orte, die ausreichend physische Distanz zulassen. Starke Schulen werden als Vorbild herangezogen, Lehrkräfte nehmen Fortbildungen in Anspruch, die digitale Skills betreffen, Geräte werden zur Verfügung gestellt, für Schülerinnen und Schüler und selbstverständlich auch für Lehrkräfte.

      Dass während der Krise einzelne Schulen und Lehrkräfte den digitalen Unterricht boykottierten, hatte viele unterschiedliche Gründe. Was daran schnell zu ändern ist, ist die Unklarheit, ob der Datenschutzbestimmungen und die rasche Adressierung von Lehrkräften, die auf digitale Unterrichtsformate noch nicht vorbereitet sind. Hier werden die Kollegien gemeinsam anpacken, fortbilden, nachschulen und kollegial beraten. Die Sommerpause ist noch nicht zu einer verlorenen Zeit geworden, Fortbildungen werden in dieser Zeit freiwillig, im Extremfall als Dienstaufgabe in Anspruch genommen. Viel Kredit ist verspielt worden, weil Lehrkräfte als Beamte im öffentlichen Dienst zumeist nicht betroffen sind von den Krisenauswirkungen, sich aber sehr zurückhaltend im Einsatz digitaler Medien verhalten. Diese ungünstige Situation wird durch das besondere Engagement nach Prinzipien der gemischten Lernformate jetzt bereinigt.

      2.3Neue Formen der Förderung von benachteiligten Schülern erproben

      Es gab schon vor der Krise exzellente Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben und mit differenzierten Förderkonzepten arbeiten. Von diesen ist zu lernen, was in der Forschung das Prinzip des proportionalen Universalismus genannt wird und was jetzt dringlicher denn je ist: Alle Schülerinnen und Schüler erhalten zusätzliche Unterstützung, aber einige – proportional zu ihrem höheren Bedarf – erhalten sie besonders intensiv. Die Schulen schaffen die behutsame Annäherung an überlastete Familien und Milieus, machen besondere Förderangebote vor allem an solche Gruppen, die jetzt schulentwöhnt sind.

      Es geht also um ein zielgruppenspezifisches Vorgehen, das alle Schulen erproben können. Kiez- und Brennpunktschulen wissen darum seit vielen Jahren, sie erhalten jetzt mehr Möglichkeiten dazu, ihre Erfahrungen weiterzugeben. An Gymnasien und Gesamtschulen erhalten Schülerinnen und Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf Möglichkeiten aufzuholen, ohne diesen Aufwand zu privatisieren. Internationale Klassen werden besonders in den Blick genommen und es wird berücksichtigt, dass die Förderung sich an Gruppen wendet, die besonderen Bedarf haben. Aus der Kommstruktur der Schule wird zumindest partiell eine Gehstruktur, um die negativen Auswirkungen gerade für benachteiligte und exkludierte Gruppen abzufedern.

      Fazit

      Schule in der Pandemiezeit offenbart alte und neue Herausforderungen. Dass so schnell ein Rückfall auf die Familie als Bildungsagentur erfolgt, ist ein Anachronismus und das Nachleben jahrzehntelanger schlechter Praxis. Die deutsche Bildungslandschaft ist bisher fantasielos und starrsinnig an den Herausforderungen der Corona-Krise vorbeigesegelt. Was bereits im März 2020 vorbereitet hätte werden können, liegt noch heute unerledigt in den Schubladen. Die Gefahr, dass diese unerledigten Aufgaben in die Sommerpause getragen werden, wächst immens. Impulsgeber wie die Ad-hoc-Stellungnahmen der Leopoldina sind unspezifisch und fachlich nicht ausreichend begleitet, die Entscheidungen der KMK bieten allenfalls einen rechtlichen Rahmen.

      Was also tun? Dringend tätig werden, lautet der Weckruf. Kein Modell kann ein schnelles Ende der Einschränkungen voraussagen. Das Ende des Schuljahres ist erreicht, aber eine Verlängerung der Maßnahmen nicht unmöglich. Wie soll dann Lernen aussehen? Wenn hier Einzelschulen, Bezirks- und Landesbehörden nicht mit voller Geschwindigkeit tätig werden, schichten sich die Probleme weiter auf – und dies auf mehreren Ebenen. Natürlich kann eine Debatte, die gute Praxis unterstützen will, gar nicht ausreichend davor warnen, die vielen pädagogischen Fachkräfte auch noch zu kritisieren, die kreativ und professionell ihrer Tätigkeit in Krisenzeiten nachgehen. So wenig aber ein kollektives Verurteilen erfolgen darf, können Fehleranalyse und Reflexion auf die Situation der vergangenen Monate übergangen werden.

      Eine systemisch orientierte Diagnose muss darum ein großflächiges Versagen der vorhandenen Strukturen auf den Punkt bringen. Auch wenn dabei Probleme zur Ausprägung kommen, die vorher schon existierten, wird die jetzige Situation dadurch nicht einfacher. Dies zeigt vielmehr, dass der Handlungsdruck nicht abnehmen wird.

      ” Vulnerable Gruppen sind besonders hart von den veränderten Lebensbedingungen in der Pandemiezeit betroffen.

      Der psychosozialen Gesundheit korrespondieren Belastungen, die vor allem von Eltern mit Kindern empfunden werden. Das «COVID-19 Snapshot Monitoring» (COSMO 2020) zeichnet dies sehr umfangreich auf. Diese Situation muss sich dringend ändern. Von einem Krisenerleidensmodus muss zu einem Krisenbearbeitungsmodus gewechselt werden (als wichtiger Beginn hierzu FES 2020). Der Bildungsbereich ist jeder Hinsicht relevant, vor allem natürlich mit Blick auf die Lebensbedingungen von Familien, Chancenstrukturen und Lernoptionen.

      Eine sozialisationstheoretische

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