transformers. Группа авторов

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wenn keine Körperlichkeit mehr involviert ist?

      Wir sind noch ganz am Anfang einer fundierten Auseinandersetzung mit dem Digitalen. Aber irgendwann – und hoffentlich bald – werden wir auch dieses Themenfeld öffnen, in die Intersektionalität überführen und in einer kritischen Reflexion betrachten müssen, wie genau wir die Digitalisierung unserer Branche und unserer Kunst eigentlich umsetzen wollen. Dann sprechen wir vielleicht darüber, wie digitale Methoden im Betrieb eingesetzt werden können, um Hierarchien zu verflachen. Oder wie Automatisierung von Prozessen dabei helfen kann, die am Theater arbeitenden Menschen vor Burnout zu schützen. Oder warum wir eigentlich einer umfassenden Open-Access-Strategie verpflichtet sein müssten. Und wie man Digitalisierung eigentlich nachhaltig gestalten kann, angefangen von den verbrauchten Kilowattstunden und der Herkunft unseres Stroms, bis hin zu den unerträglichen Ausbeutungsszenarien, die wir in der gesamten Herstellungs- und Verwertungskette unserer modernen Elektronik sehen, vom Lithium-Raubbau bis zur Entsorgung unseres Elektroschrotts zum Beispiel in Ghana. Auch die Frage, wie Software und deren Nutzung nachhaltig, offen und nachnutzbar gestaltet werden kann, gehört hier dazu. Hier einzusteigen in eine differenzierte Debatte, die vielleicht keine Patentlösungen für diese globale Problematik mitbringt, in der aber ein klarer Wille der Theaterbranche erkennbar wird, hier bewusste Entscheidungen zu treffen, wünsche ich mir für 2022.

      Die Spielzeit 21/22 am Staatstheater Augsburg trägt unter anderem auch deshalb das Motto „endlich.“. Der Begriff steht dabei sowohl für den Stoßseufzer, mit dem wir die Öffnung unserer physikalischen Spielorte wieder herbeisehnen, als auch für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, die Endlichkeit des Zeitfensters, in dem wir uns gegen den immer unaufhaltsamer werdenden Klimawandel stemmen können, für die Endlichkeit unserer Kräfte, und letztlich auch für die Endlichkeit eines Theaters, in dem die Verschwendung der Kunst in allen Facetten propagiert wird, ohne Rücksicht auf Verluste. In einer Auseinandersetzung mit der Endlichkeit von Ressourcen in der Welt können wir nicht ausblenden, dass ein Theaterbetrieb derzeit nicht sonderlich nachhaltig agiert. Am plakativsten sehen wir das derzeit vielleicht daran, wie Theater mit Arbeitskraft umgeht.

      Es gab mal ein spannendes Interview in Theater der Zeit mit einem Coach zum Thema Machtmissbrauch an Theatern, in dem er berichtete, dass Theater in ihrer Personaldecke mitunter einen exorbitant hohen Krankenstand hätten. Er wertete das als Zeichen dafür, dass hier Mitarbeitende möglicherweise „verschlissen“ würden und eine gewisse Flucht anträten.13 Auch Hubert Eckart, Vorsitzender der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft DTHG, beschreibt in seinem FAZ-Interview von 2019 ähnliche Zustände: „Vorne verkünden wir die Menschenrechte, hinten wirst du angeschnauzt.“14

      Die Digitalisierung kann Machtmissbrauch an Theatern nicht verhindern, kann nicht dafür sorgen, dass ein respektvoller Umgang miteinander herrscht und dass die Leute, die dort arbeiten, weniger angeschnauzt werden, um bei Hubert Eckart zu bleiben. Aber kluge Automatisierung könnte helfen, die Kraftressourcen von Mitarbeitenden zu schonen und in Gebiete zu verlagern, in denen wir Menschen den Maschinen noch haushoch überlegen sind: in das Bearbeiten komplexer, vielschichtiger Felder, die Empathie und Miteinander verlangen. Im 21. Jahrhundert müsste niemand mehr Tabellen abtippen, Social Media Posts anhand von Premierendaten anlegen, eine Monatsdispo von Hand entwerfen oder Tickets auf Sicht kontrollieren. Alleine die Stunden, die ich am Theater schon mit stupider, repetitiver Handarbeit verbracht habe, würden ganze Monatsabrechnungen füllen – wir alle, die wir am Theater arbeiten, egal, in welcher Funktion, haben diese Tätigkeiten, die eigentlich Maschinen machen könnten. Wir werfen derzeit menschliches Personal auf sämtliche Arbeiten am Theater und wundern uns dann, dass wir zum einen keine guten Leute mehr finden und zum anderen, dass die, die da sind, sich irgendwann mit Burn-out in das innere Bienenzüchten abmelden.

      Die vielbeschworene Gefahr, dass Automatisierung Arbeitsplätze abschafft, besteht dabei gerade am Theater nicht. Der Kern von Theater ist seine Menschlichkeit und nur, weil unsere administrativen Prozesse irgendwann vielleicht nicht mehr so handgemacht sind wie unsere Schuhe, Kostüme und alles, was die Cacheur*innen mit Styropor zaubern, heißt das nicht, dass wir die Menschen damit aus der Gleichung nähmen. Im Gegenteil: Vorderhaus-Mitarbeitende beispielsweise, die nicht mehr nur zur reinen Ticketkontrolle an den Eingangstüren stehen, sondern die im Gegenteil diesen Aspekt einer Maschine überlassen, könnten sich stattdessen auf ihr eigentliches Kerngeschäft – Hospitality – konzentrieren, da sind Roboter nämlich notorisch miserabel drin. Ein Künstlerisches Betriebsbüro, das seine Disposition nicht händisch mit quergelegten Worddateien, Excel, Papier und Stift oder einer Software mit dem Look und Feel einer überteuerten 90er-Jahre-Industrieanwendung erstellen muss, hätte wieder die Konzentration, um die zentrale Anlaufstelle für alle logistischen und organisatorischen Belange, also das Herz, eines Theaterbetriebs zu sein. Die Übersetzung von Bauproben ins Digitale, wie sie auch jetzt schon pandemiebedingt an einigen Häusern vonstattengeht, würde uns auch langfristig erlauben, künstlerisches Personal nicht extra von weit weg für diesen Termin einzufliegen. Das spart nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch CO2.

      Natürlich kann Automatisierung keine zentrale Debatte über Nachhaltigkeit, die Schonung und den sinnstiftenden Einsatz von Mitarbeitenden ersetzen. Man kann soziale Probleme letztendlich nicht mit Technik lösen. Aber Digitalisierung kann einen Anstoß geben und einen Baustein bilden in einem nachhaltigeren und achtsameren Betrieb. Das sind die Baustellen, die uns erwarten, wenn wir aus dem Pandemiechaos wieder in eine Form der Normalität gehen, die hoffentlich nie wieder so wird, wie sie vorher war. Ab hier kann es nur besser werden.

       1 https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=9414:ueber-livestreaming-und-das-theater-als-router-ein-appell&catid=101:debatte&Itemid=84

       2 https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=8249:das-cyberleiber-festival-am-schauspieldortmund&catid=53:profile&Itemid=83

       3 https://12.re-publica.de/panel/theater-inter-action/index.html

       4 https://www.buehnenverein.de/de/downloads/pressemappe-jhv-2012.html?cmsDL=617685133442687a3e70a95dee1eb722

       5 https://www.thalia-theater.de/uploads/Theatercamp,%20Social%20Media%20und%20Theater.pdf

       6 https://www.boell.de/de/theater-und-netz

       7 https://www.tagesspiegel.de/kultur/effi-briest-2-0-am-gorki-gefaellt-mir-fontane-als-facebook-theater/6052758.html

       8 https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=19128:werther-live-freies-digitales-theater-eine-gruppe-junger-theatermacher-innen-um-die-regisseurin-cosmea-spelleken-strickt-aus-goethes-briefroman-packendes-social-media-theater&catid=38&Itemid=40

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