Reise um die Erde in 80 Tagen. Jules Verne
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Daher sind auch das Aussehen, die Sitten und ethnographischen Einteilungen der Halbinsel in einer stetigen Umbildung begriffen. Sonst machte man dort mit allen uralten Transportmitteln seine Reise, zu Fuß und zu Roß, im Karren, im Schuhwagen, auf den Schultern eines Mannes, im Tragsessel, in der Kutsche etc. Jetzt fahren Dampfboote mit größter Schnelligkeit auf dem Indus und Ganges, und eine Eisenbahn, welche Indien der ganzen Breite nach durchzieht und seitlich abzweigt, verbindet Bombay mit Kalkutta innerhalb von nur drei Tagen. Diese Eisenbahn zieht nicht in gerader Linie durch Indien. Die direkte Entfernung beträgt nur 1.000 bis 1.100 Meilen und die Züge würden bei einer mittleren Geschwindigkeit nur drei Tage brauchen, um diese Strecke zu überbrücken; aber diese Entfernung wird mindestens um ein Drittel durch die Krümmung vergrößert, welche die Bahn durch eine Richtungsänderung bis Allahabad im Norden der Halbinsel beschreibt.
Die große vorderindische Eisenbahn nimmt in ihren Hauptpunkten folgende Richtung: Nach der Insel Bombay läuft sie über Salsette, setzt vor Tannah auf den Kontinent über, durchschneidet die Kette der West-Gates, zieht dann nordöstlich bis Burhampur und von da durch das fast unabhängige Gebiet des Bundelkund, steigt dann aufwärts bis Allahabad, biegt östlich ab, stößt bei Benares auf den Ganges, entfernt sich ein wenig von demselben und läuft dann wieder südostwärts über Burdivan und die französische Stadt Chandernagor bis nach Kalkutta, wo die Linie endet.
Um halb fünf Uhr abends waren die Passagiere der Mongolia in Bombay gelandet und genau um acht Uhr ging der Zug nach Kalkutta ab. Herr Fogg verabschiedete sich also von seinen Spielgenossen, verließ das Dampfboot, gab seinem Diener den Auftrag, einige Einkäufe zu tätigen, empfahl ihm ausdrücklich, sich vor acht Uhr am Bahnhof einzufinden und ging dann seinen regelmäßigen Schritt, der gleich dem Pendel einer astronomischen Uhr die Sekunde schlug, geradenwegs auf das Passbüro.
Als Phileas Fogg wieder aus dem Passbüro kam, begab er sich ruhig zum Bahnhof und ließ ein Diner auftragen. Der Wirt glaubte ihm unter anderen Gerichten ein Frikassee vom Kaninchen empfehlen zu sollen und rühmte es außerordentlich. Phileas Fogg ließ es auftragen, kostete es sorgfältig, fand es aber trotz seiner pikanten Sauce abscheulich. Er läutete nach dem Gastwirt.
»Mein Herr«, sagte er und sah ihm dabei scharf ins Gesicht. »Das soll Kaninchen sein?«
»Ja, Mylord«, erwiderte der Schelm frech. »Kaninchen von den Schilfwiesen.«
»Und dieses Kaninchen hat nicht gemiaut, als man es totschlug?«
»Gemiaut? Oh, Mylord! Ein Kaninchen! Ich schwöre ...«
»Herr Wirt«, versetzte Herr Fogg kühl. »Schwören Sie nicht und erinnern Sie sich, was ich Ihnen sage: Vor Zeiten hat man in Indien die Katzen als heilige Tiere angesehen. Das war eine bessere Zeit.«
»Für die Katzen, Mylord?«
»Und vielleicht auch für die Reisenden!«
Nach dieser Bemerkung fuhr er ruhig fort zu speisen. Einige Minuten nach Herrn Fogg war Agent Fix ebenfalls ausgestiegen und zu dem Polizeidirektor von Bombay geeilt. Er gab seine Eigenschaft als Detektiv zu erkennen, den ihm erteilten Auftrag, seine Lage gegenüber dem vermutlichen Vorgang des Diebstahls. Hatte man von London einen Haftbefehl erhalten? ... Es war nichts angekommen. Und es konnte auch ein Haftbefehl, der später als Fogg abging, noch nicht eingetroffen sein. Nun war Fix in großer Verlegenheit. Er wünschte vom Direktor dennoch einen Haftbefehl gegen Herrn Fogg zu erhalten. Derselbe schlug es ab. Die Sache gehörte vor die Verwaltung der Hauptstadt und diese konnte allein einen gesetzlichen Haftbefehl ausstellen. Diese Strenge der Prinzipien, diese Strenge in der Beachtung gesetzlicher Vorschriften ist anhand der englischen Sitten völlig nachvollziehbar, welche hinsichtlich der persönlichen Freiheit durchaus keine Willkür gestatten. Fix bestand nicht weiter darauf und begriff, dass er sich damit abfinden müsse, den Haftbefehl abzuwarten. Aber er beschloss, seinen unerforschbaren Schurken während der ganzen Zeit seines Aufenthaltes in Bombay nicht aus den Augen zu lassen. Er zweifelte nicht, dass Phileas Fogg dort bleiben werde – und wir wissen, dass auch Passepartout dieser Meinung war – sodass mittlerweile der Haftbefehl anlangen könnte. Aber seit den letzten Aufträgen, welche Passepartout beim Verlassen der Mongolia von seinem Herrn erhalten hatte, war diesem wohl begreiflich geworden, dass es in Bombay ebenso wie in Suez und Paris gehen, dass die Reise hier nicht ein Ende haben und wenigstens bis Kalkutta fortgesetzt werde und vielleicht noch weiter. Und er fing an, sich die Frage zu stellen, ob diese Wette des Herrn Fogg nicht doch ernst gemeint sei und ob ihn nicht sein Verhängnis, während er in Ruhe leben wollte, dazu fortriss, in achtzig Tagen eine Reise um die Erde herum zu machen!
Unterdessen, nachdem er einige Hemden und Strümpfe gekauft hatte, ging er in den Straßen von Bombay spazieren. Gerade wurde ein Fest von den Parsi oder Gebern gefeiert, direkten Abkömmlingen der Anhänger Zoroasters, welche die fleißigsten im Gewerbe, zivilisiertesten, intelligentesten Hindus von strengster Lebensweise darstellen, wozu gegenwärtig die reichen eingeborenen Kaufleute Bombays gehören. Das Fest, welches sie an diesem Tage feierten, war eine Art religiösen Karnevals mit Prozessionen und öffentlichen Lustbarkeiten, wobei Bajaderen in rosenfarbener, mit Gold und Silber durchwirkter Gazebekleidung tanzten, welche, von Violen und lärmenden Tam-Tams begleitet, wunderhübsche Tänze, übrigens mit allem Anstand, aufführten. Dass Passepartout diesen merkwürdigen Festgebräuchen zuschaute, dass er dabei Augen und Ohren über die Maßen aufriss, dass er dabei aussah und eine Miene hatte, wie der unerfahrenste Bauerntölpel, den man sich denken kann, brauche ich nicht besonders hervorzuheben. Zum Unglück für ihn und seinen Herrn, dessen Reisezwecke er dadurch in Gefahr brachte, ließ er sich durch seine Neugierde weiter mitreißen, als es sinnvoll war. Passepartout war, nachdem er diesem parsischen Karneval zugesehen hatte, auf dem Wege zum Bahnhof begriffen, als er im Vorübergehen vor der bewundernswerten Pagode Malebar-Hill auf den unglückseligen Gedanken kam, ihr Inneres zu besichtigen. Er wusste nicht, erstens, dass den Christen der Eintritt in manche Pagoden der Hindu förmlich untersagt ist; zweitens, dass selbst die Gläubigen nicht eintreten dürfen, ohne ihre Fußbekleidung vor der Türe zu lassen. Ich muss hier bemerken, dass die englische Regierung aus Gründen richtiger Politik die Religionsausübungen des Landes nicht nur selbst in den geringsten Details respektiert, sondern ihnen auch Respekt verschafft, daher jede Verletzung ihrer Gebräuche mit strengen Strafen ahndet.
Passepartout trat, ohne etwas Schlimmes zu ahnen, wie ein bloßer Tourist hinein, bewunderte im Innern von Malebar-Hill das blendende Flitterwerk der brahmanischen Verzierungen, als er plötzlich auf den Boden des Heiligtums niedergeworfen wurde. Drei Priester fielen mit wütenden Blicken über ihn her, rissen ihm Schuhe und Strümpfe herunter und fingen an, ihn mit wildem Geschrei durchzuprügeln. Der kräftige und gewandte Franzose sprang rasch wieder auf die Beine, warf mit Faustschlägen und Fußtritten zwei seiner Gegner, die in ihre langen Gewänder eingewickelt waren, nieder, stürzte, so rasch ihn seine Beine trugen, aus der Pagode hinaus und entrann bald dem dritten Hindu, welcher, das Volk aufhetzend, ihm nachgeeilt war. So kam Passepartout fünf Minuten vor acht Uhr, einige Minuten vor der Abfahrt des Zuges barfuß und barhäuptig und ohne den Packen mit seinen Einkäufen, welchen er im Getümmel verloren hatte, auf dem Bahnhofe an.
Fix befand sich daselbst gerade beim Einsteigen. Er hatte gemerkt, dass Herr Fogg, dem er auf den Bahnhof nachgefolgt war, Bombay verlassen würde, und war sogleich entschlossen, ihn bis Kalkutta, und nötigenfalls noch weiter, zu begleiten. Passepartout bemerkte Fix, der sich im Dunkeln verborgen hielt, nicht; aber dieser hörte die Erzählung seiner Abenteuer, welche er seinem Herrn in aller Kürze wiedergab.
»Ich hoffe, das wird Ihnen nicht mehr passieren«,