Staatsfeinde. Hansjörg Anderegg

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Staatsfeinde - Hansjörg Anderegg

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was er nicht für möglich gehalten hätte. Sein Gegenüber rettete sich mit einem Satz rückwärts außer Reichweite.

      »Kotzen Sie mir bloß nicht auf die Stiefel, junger Mann!«

      Phil riss den Blick endlich los vom Toten. Mit Mühe gelang es ihm, das Würgen zu unterdrücken und den Herrn in der Lederkluft anzusehen. Grau meliertes Haar, Boxernase, mindestens einmal gebrochen, stand der Typ da und blickte durch ihn hindurch, als interessierte er sich nicht im Mindesten für den Tatort oder seine Antworten. Er hatte sich als Kriminalhauptkommissar Tom Fischer, LKA NRW, vorgestellt.

      »Sie sind Phil Schuster? Sie haben die Leiche entdeckt?«, wiederholte er, sichtlich besorgt um seine Stiefel.

      Phil nickte. Eine Beamtin brachte ihm ein Glas Wasser. Es gab Leute beim LKA Düsseldorf, die Gedanken lesen konnten. Der Rechtsmediziner verrichtete seine Arbeit, und die Kriminaltechniker begannen wie ein Schwarm Außerirdischer, die Spuren zu sichern.

      »Erzählen Sie!«, forderte Kommissar Fischer ihn auf.

      Dabei streifte ihn ein süßsaurer Hauch aus dem Mund des Polizisten, dass das Würgen augenblicklich wieder einsetzte. Das Wasser verhinderte Schlimmeres.

      »Ich muss hier raus«, murmelte er mit erstickter Stimme.

      Fischer nickte stumm. In sicherem Abstand folgte er ihm auf die Straße. Es war eine warme Sommernacht, für einmal trocken und Freitag. Halb Aachen hatte sich in den Kneipen und auf der Pontstraße versammelt. Angeheiterte Schaulustige versuchten immer wieder, die Absperrung vor dem Antiquariat zu durchbrechen. Fischers Miene verfinsterte sich. Auch das hätte er nicht für möglich gehalten. Der Mann war zudem bewaffnet. Phil traute ihm nicht. Rasch begann er zu berichten, um ihn abzulenken.

      »Ich wohne gegenüber im zweiten Stock. Gegen acht kam ich von der Arbeit nach Hause. Mir ist gleich aufgefallen, dass noch Licht brannte in Jakobs Laden, und die Haustür stand halb offen. Jakob schließt sonst pünktlich um fünf.«

      Fischers Augenbrauen hoben sich drohend.

      »Woher wollen Sie das wissen, wenn sie bis spät abends arbeiten?«

      »Ich weiß es eben. Hören Sie, ich kenne Jakob Rosenblatt seit mehr als zehn Jahren, habe das halbe Studium in seinem Antiquariat verbracht. Wir sind – waren gute Freunde.«

      »Auch gute Freunde …«

      Weiter kam er nicht. Der Rechtsmediziner unterbrach ihn:

      »Fertig.«

      »Wurde auch Zeit.«

      »Sie mich auch. Wollen Sie lieber auf meinen schriftlichen Befund warten?«

      »Erzählen Sie schon, verdammt noch mal. Diesen Radau hier hält ja keine Sau aus.«

      Phil gab vor, sich nicht für den Bericht des Mediziners zu interessieren und spitzte die Ohren.

      »Der Mann ist aus nächster Nähe im Stehen erschossen worden. Ein Schuss genau zwischen die Augen.«

      »Kaliber .45, HK45 vielleicht«, unterbrach eine Technikerin, den Plastikbeutel mit einem Projektil in der Hand. »Es steckte auf Augenhöhe im Büchergestell hinter der Leiche.«

      »Todeszeitpunkt?«

      »Vermutlich heute Abend zwischen sechs und sieben«, antwortete der Rechtsmediziner. »Genaueres nach der Obduktion.«

      »Kampfspuren?«

      Mediziner und Technikerin schüttelten den Kopf. Die Beamtin, die Gedanken lesen konnte, trat herbei.

      »Die Tür zum Hausflur stand offen. Herr Rosenblatt muss den Täter oder die Täterin hereingelassen haben, ohne Verdacht zu schöpfen.«

      Der Mediziner verabschiedete sich mit angedeutetem Kopfnicken, ohne von jemandem beachtet zu werden.

      »Er muss sofort tot gewesen sein, nicht wahr?«, fragte Phil leise.

      Fischer zuckte nur die Achseln. Seine Partnerin zeigte mehr Mitgefühl.

      »Davon ist auszugehen«, stimmte sie mit besorgtem Blick zu. »Besser?«

      »Geht so. Wenigstens musste er nicht auch noch leiden, der arme Jakob. Wer tut so etwas?«

      »Wo waren sie zwischen sechs und sieben Uhr heute Abend?«, fragte Fischer ungerührt.

      Der Mann nervte. Phil war versucht, ihm einfach den Rücken zu kehren und sich in der nächsten Kneipe volllaufen zu lassen.

      »Sie fragen mich jetzt nicht ernsthaft nach einem Alibi«, zischte er wütend. »Ich habe die Polizei alarmiert, schon vergessen?«

      Fischer blickte stur durch ihn hindurch und wiederholte die Frage.

      »Ich war bei der Arbeit wie gesagt. PR-Agentur Stein in Köln.«

      Fischers Augenbrauen schossen bis zum Anschlag in die Höhe.

      »Ist das verboten?«, fragte Phil provozierend.

      Verblüfft stellte er fest, wie sich Fischers Lippen zu einem spöttischen Lächeln verformten.

      »Sie arbeiten also für den guten John Stein im Kölnturm.« Mit einem Seitenblick auf seine Partnerin fügte er hinzu: »Überprüfen!«

      »Ob John Stein gut ist, ist Ansichtssache.«

      Er hatte genug von Fischers Show, aber der Kommissar war noch nicht fertig.

      »Steckt der liebe John hinter der neusten Hetzkampagne im Netz, die das halbe LKA auf Trab hält? Ihre PR-Agentur ist doch auf Müll wie Facebook und Twitter spezialisiert. Stimmt’s oder habe ich recht?«

      »Was hat das jetzt wieder mit Jakobs Tod zu tun?«, brauste er auf. »Im Übrigen beschäftige ich mich nicht mit Steins Kampagnen. Ich bin für die Softwareentwicklung zuständig. War›s das?«

      Fischers Partnerin konnte nicht nur Gedanken lesen, sie arbeitete auch schnell.

      »Das Alibi ist bestätigt«, stellte sie fest.

      Fischer nahm es widerwillig zur Kenntnis und herrschte ihn an:

      »Morgen um zehn im LKA Düsseldorf fürs Protokoll.«

      »Als hätte ich nichts Besseres zu tun«, brummte er und ging über die Straße zu seinem Haus. Dessen Nummer kannte er immerhin auswendig. Die Kneipe war keine Option mehr. Die Bemerkung des Kommissars über die Hetzkampagne im Netz ließ ihm keine Ruhe. Er stieg zur Wohnung hinauf und setzte sich an den Computer. Eher widerwillig loggte er sich in seinen Twitter-Account ein. Die unsozialen Netzwerke, wie er sie nannte, interessierten ihn nur aus der Sicht des Ethnologen. Wie der Völkerkundler das Verhalten eines unbekannten Stammes erforscht, beobachtete er die Reaktion der Benutzer auf gezielt gestreute Reize. Das Netz mit seiner Milliarde Nutzer war hervorragend geeignet, mehr über die menschliche Psyche zu erfahren. Er schmunzelte beim scheinbaren Widerspruch, ausgerechnet die Spielwiese voller Falschmeldungen und abstruser Verschwörungstheorien zur Analyse des menschlichen Geistes zu verwenden. Die Methode schien zu funktionieren – und wie!

      Nach

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