Harzhunde. Roland Lange
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Harzhunde - Roland Lange страница 11
In Gedanken an den vermissten Dr. Dreyling versunken, hockte Blume nach vorn gebeugt auf der Bank und starrte auf die Zigarette in seiner Hand, von deren glühender Spitze ein dünner Rauchfaden aufstieg. Die Person, die sich ihm näherte, bemerkte er nicht.
„Guten Morgen! Na, schon munter?“
Blume fuhr erschrocken hoch, blickte zur Seite. Neben ihm stand Clemens Ritter, der vermeintliche Feriengast, und strahlte ihn an.
„Herrliches Wetter heute, nicht wahr?“
„Hm ...“, knurrte Blume und musterte den Mann abweisend.
„Ah ... so eine kleine Wanderung durch den Harz am frühen Morgen ist doch das Schönste, was man sich vorstellen kann“, fuhr Clemens Ritter unbeirrt fort. „Diese Kühle, der Tau auf Gräsern und Blättern, der würzige Duft! Und wenn dann die Sonne über den Baumwipfeln aufgeht ... herrlich! Einfach nur schön! Darf ich?“ Ohne die Antwort abzuwarten, setzte sich der Mann zu ihm auf die Bank. „Mein Name ist Ritter. Clemens Ritter.“ Er streckte ihm seine Hand hin, doch Blume ignorierte sie. Stattdessen beugte er sich wieder nach unten, drückte die Kippe auf den Pflastersteinen aus und warf den Stummel in den kleinen Aschebehälter neben der Bank.
„Und Sie? Wie ist Ihr Name?“, fragte Ritter unbeeindruckt.
„Stefan Blume“, presste er hervor.
„Auch Feriengast?“
„Nein. Ich mache keine Ferien. Ich bin hier zu Hause. Habe oben eine Mietwohnung.“ Er deutete mit dem Daumen zum Dachgeschoss über sich. Was sollte das Gerede? Der Mann hatte doch garantiert schon das Klingelbrett mit seinem Namen darauf entdeckt.
„Ah, ja? Dann arbeiten Sie wohl in der Gegend. Rentner sind sie nicht, wenn ich Sie so ansehe. Oder doch?“
Blume drehte sich vollends zu Clemens Ritter hin, sah ihm direkt ins Gesicht, versuchte, in dessen Augen zu lesen, die Neugier zu deuten. Was wollte der Mann von ihm? War seine Fragerei nur das belanglose Quatschen eines gelangweilten Urlaubers?
„Nein, Herr ... Ritter. Rentner bin ich nicht. Da haben Sie recht. Ich arbeite unten im Saloon. Im Büro. Mache die Buchhaltung für Frau Ortlepp.“
Ritter zog die Augenbrauen hoch. „Oh, Sie sind Buchhalter. Abwechslungsreiche Arbeit, kann ich mir vorstellen.“
Abwechslungsreich? Wollte der Mann ihn verscheißern? Was Langweiligeres gab es nicht! Und das wusste dieser Clemens Ritter garantiert!
„Bankkaufmann.“
„Was?“
„Ich bin gelernter Bankkaufmann“, wiederholte Blume. „Kein Buchhalter.“
„Ah, verstehe.“
„Und Sie? Was machen Sie beruflich?“ Blume ahnte, dass er den Mann nicht so schnell loswerden würde. Da konnte er ebenfalls ein wenig nachbohren.
„Augenoptiker. In Duisburg. Wenn Sie mal eine Brille haben müssen ...“ Er lachte auf.
„... dann wende ich mich an Sie, na klar“, vollendete Blume den Satz und fuhr fort: „Sie sind allein hier? Was ist mit Ihrer Familie? Brauchten Sie von der auch mal Urlaub?“ Ein Schuss ins Blaue.
„Ich bin verwitwet“, entgegnete Ritter. „Meine Frau ist vor zwei Jahren verstorben. Leukämie. Und mein Sohn ist erwachsen. Hat seine eigene Familie.“
„Oh, das tut mir leid“, antwortete Blume. „Das mit Ihrer Frau, meine ich.“
Ritter nickte. Stieß einen tiefen Seufzer aus. Etwas zu theatralisch, fand Blume. Er traute dem Mann nicht. Stimmte es, was er ihm erzählte? Oder war es nur eine gut gestrickte Legende?
Mein Gott, hör auf mit deinem verdammten Misstrauen!, wies er sich innerlich zurecht. Es waren Katjas Worte und ihre Stimme in seinem Kopf. Was ist denn so verdächtig an dem, was er dir erzählt? Blume hätte es nicht sagen können. Nur ein Gefühl.
„Manchmal meint es das Schicksal nicht gut mit einem“, nahm Clemens Ritter nach einer kleinen Pause das Gespräch wieder auf und betrachtete dabei Blumes Gesicht. „Sie scheinen auch schon einiges hinter sich zu haben“, stellte er fest.
„Was meinen Sie?“, fragte Blume und fuhr sich dabei unbewusst mit den Fingern durch den grauen Vollbart.
„Ihr ... na ja, Ihre Mimik wirkt so ... starr. Das ist doch sicher kein Geburtsfehler.“ Als er merkte, dass Blume tief einatmete, entschuldigte er sich hastig. „Tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“
„Nein, nein, schon gut“, wehrte Blume ab. „Ich hatte einen schweren Unfall“, log er. „Es war auf einer Urlaubsreise. Tja, der Verkehr und die Sicherheit im Ausland ... Mein Gesicht war ein einziger zerfetzter Klumpen aus Fleisch und Knochen. Ein Wunder, dass die mich damals überhaupt wieder so hinbekommen haben.“
Ritter nickte. „Ja, was die Gesichtschirurgie leistet, ist schon erstaunlich. Wer so etwas durchmacht wie Sie, wird kaum verstehen, dass sich Menschen ohne Not kosmetischen Operationen unterziehen, oder? Sollte doch jeder froh sein, wenn er mit heiler Haut durchs Leben kommt, was denken Sie?“
Blume zuckte innerlich zusammen. Hatte er da eben etwas zwischen den Zeilen gehört? Waren die Fragen des Mannes eine Falle? Er musste auf der Hut sein. Seine eigenen Worte mit Bedacht wählen. „Da kann ich Ihnen nicht widersprechen“, entgegnete er lapidar und versuchte ein Grinsen, was ihm vermutlich misslang. Wie immer. Er stand von der Bank auf. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Ritter, aber es wird Zeit, dass ich ins Büro komme. Bevor meine Chefin mich vermisst.“
Ritter erhob sich ebenfalls. „Aber ich bitte Sie!“, sagte er. „Ich muss mich entschuldigen, dass ich Sie von der Arbeit abgehalten habe. Das war nicht meine Absicht. Trotzdem, es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern. Also dann, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“
Wieder reichte er Blume die Hand. Dieses Mal griff er zu, schüttelte sie.
Clemens Ritter drehte sich um und steuerte ohne einen Blick zurück mit energischen Schritten auf das Haus gegenüber zu. Blume sah ihm einen Moment hinterher. Dann wandte er sich ab und ging hinunter zum Saloon.
Was bist du bloß für ein neurotischer Idiot, beschimpfte er sich stumm und forcierte wütend sein Tempo. Katja hatte recht – wenn er nicht aufpasste, rutschte er wieder in seine alten Muster. Das wäre der Anfang vom Ende seines neuen, friedlichen Lebens. Dieser Clemens Ritter war ein normaler Urlaubsgast. Jemand, der Kontakt suchte, Ablenkung, um nicht andauernd an seine tote Frau denken zu müssen. Ein einsamer Mensch, dem etwas Zerstreuung guttat. Nichts an Ritters Verhalten war verdächtig. Gar nichts! Es gab keinen Grund, ihm mit Misstrauen zu begegnen.
7. Kapitel
Gegen elf Uhr trat Blume durch die Eingangstür des Stadthauses in der Bochumer Straße in Nordhausen. Das mehrgeschossige, westlich der nahen Innenstadt gelegene Eckgebäude gehörte zu den Ensembles, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut worden waren. Auf das Ende der DDR und die Wiedervereinigung war eine Renovierungswelle gefolgt, der die Stadt und das Haus, in das Blume hineingegangen war, ihr heutiges schmuckes Gesicht verdankten.