Harzhunde. Roland Lange
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Daniel schüttelte den Kopf. „Nicht mehr. Hab mich selbstständig gemacht. Kleines Ein-Mann-Büro nur, aber einträglich. Und die Hauptsache, ich bin unabhängig.“
„Verheiratet?“
„Jepp. Seit knapp einem Jahr. Mit Julia. Geborene Wüstefeld.“
„Wüstefeld ... Wüstefeld ...“ Maria zupfte sich am Ohr, überlegte kurz. „Doch nicht etwa ... Baustoffhandel Wüstefeld?“
„Exakt.“ Daniel lachte auf.
„Na, dann hast du ja ausgesorgt, mein Freund.“ Sie setzte die Flasche an den Mund, gönnte sich einen kräftigen Schluck.
Er betrachtete sie, wie sie trank. Immer noch die selbstbewusste kleine Frau, die jede Aufgabe meisterte, mit der sie konfrontiert wurde. Das drückte sie sogar mit ihrer Art, Bier zu trinken, aus.
„Und wie ist er so, dein Schwiegerpapa?“, fragte sie und wischte sich mit dem Ärmel ihres Flanellhemdes über den Mund.
Daniel blickte sie irritiert an, verstand nicht sofort.
„Ich meine, man hört nicht überall das Beste von ihm“, schob sie hinterher. „Soll ein ziemlicher Stinkstiefel sein, der alte Herr.“
„Man muss ihn nur zu nehmen wissen“, entgegnete Daniel leicht pikiert und nicht ganz wahrheitsgemäß.
„Sorry, ich wollte nicht beleidigend sein“, ruderte Maria sofort zurück.
Daniel winkte ab. „Schon gut. Du hast ja recht. Er ist ein knorriger Kerl. Etwas schwierig im Umgang. Aber jetzt mal zu dir: Du beschäftigst dich immer noch mit deinen Wölfen?“
Maria nickte. „Sicher. Das ist mein Job. Mit meinen Vorträgen und Seminaren bin ich überall in Deutschland unterwegs. Ist ja ein heftig diskutiertes Thema, der Wolf. Tierschutz, Jagdrecht. Wo ich hinkomme, verhärtete Fronten. Und ich dazwischen. Die Aufklärerin. Ich bekomme regelmäßig Einladungen. Finanziell ist das für mich eine relativ sichere Bank. Dazu ein paar andere Einnahmequellen. Als Gastdozentin. Und wenn ich mit meinem Gemüse auf dem Wochenmarkt stehe, bringt das ebenfalls Geld in die Kasse. Oder die Skulpturen, die ich drüben in der Werkstatt zusammenschweiße. Davon habe ich auch schon welche unter die Leute gebracht. Du siehst, ich komme klar.“
„Wie ist denn die Lage im Harz?“, fragte Daniel vorsichtig und rutschte angespannt auf seinem Platz herum. „Gibt es hier auch schon Wölfe?“
Maria schüttelte den Kopf. „Davon ist mir bisher nichts bekannt. Es hat Wolfssichtungen gegeben, ja. Hauptsächlich im Ostharz. Zum Teil mit Fotos belegt. Dazu weitere Spuren. Aber Hinweise auf ganze Territorien – Fehlanzeige. Keine Rudel, die sich im Harz angesiedelt haben. Heimisch sind die Wölfe hier noch nicht. Auch wenn das mein spezieller Freund anders sieht.“
„Und wer ist das, dieser spezielle Freund? Klingt eher nach Feind.“
Sie winkte ab. „Ich will es nicht dramatisieren. Er ist ein Schafzüchter, der in den letzten Tagen ein paar gerissene Tiere zu beklagen hatte. Der Mann hat mich schon immer angefeindet. Für den bin ich eine durchgeknallte Öko-Spinnerin, linke Umweltschlampe und noch ein paar andere nette Bezeichnungen, die er für mich hat. Neuerdings meint er, es reicht nicht mehr, mich nur zu beschimpfen. Ich kriege Drohbriefe, habe zerstochene Autoreifen und verwüstete Gemüsebeete. Anscheinend sieht er in mir die Schuldige für den Verlust seiner Schafe. Dummerweise kann ich ihm nichts nachweisen ... noch nicht.“
Daniel war hellhörig geworden. „Was glaubst du? Waren es Wölfe?“
„Er behauptet es“, grummelte Maria. „Ich habe ihm angeboten, mir die gerissenen Tiere anzusehen. Aber das will er nicht. Wenn sich dabei herausstellen würde, dass es wildernde Hunde waren, stünde er mit seinem Hass auf die Wölfe womöglich bald allein da ... Aber zu deiner Frage. Da steckt doch mehr dahinter.“ Sie wandte sich direkt an Daniel, musterte ihn mit skeptischem Blick. „Du interessierst dich nicht nur so für Wölfe, oder?“
Wie einfach man ihn durchschauen konnte! „Na ja, stimmt, es ist kein allgemeines Interesse ...“, druckste er, „ich ... also, ich habe da eine Wunde am Bein“, er deutete auf seine verletzte Wade, „eine Bisswunde, um genau zu sein. Und dazu hätte ich gern mal deine Meinung gehört.“
„Spontaner Besuch, aha.“ Maria grinste. „Hör mal, mein Lieber, ich bin Biologin, keine Ärztin“, sagte sie. „Dass du nicht rund läufst, war ja kaum zu übersehen. Arbeitsstress! Warum hast du nicht gleich gesagt, was los ist?“
„Du hast dich so gefreut, mich wiederzusehen, da wollte ich nicht mit der Tür ins Haus fallen.“
„Ach, so ein Quatsch! Na, was soll’s. Aber wenn du medizinische Hilfe von mir erwartest, muss ich dich enttäuschen.“
„Du sollst mir keinen ärztlichen Rat geben“, stellte Daniel eilig klar. „Ich brauche deine Meinung als Wolfsexpertin.“
„Was hat denn deine Verletzung mit Wölfen zu tun?“, wunderte sie sich und schien gleichzeitig zu begreifen. „Willst du mir etwa sagen, dich hätte ein ... ein Wolf angegriffen?“ Sie schüttelte vehement den Kopf. „Auf gar keinen Fall! So was tun Wölfe nicht! Wenn denen Menschen zu nahe kommen, ziehen sie den Schwanz ein und suchen das Weite.“
„Was ist mit Tollwut?“, fragte Daniel besorgt.
„Tollwut? Ach was!“, widersprach Maria entschieden. „Ausgeschlossen! Im Harz laufen keine tollwütigen Wölfe herum. Davon wüsste ich. Aber jetzt erzähl doch erst mal. Was genau ist dir passiert? Und wo?“
Zehn Minuten später hatte Daniel der alten Freundin sein nächtliches Erlebnis in allen Einzelheiten geschildert. Maria saß in sich gekehrt da, den Kopf auf ihre Hand gestützt, und starrte vor sich hin.
„Du glaubst mir hoffentlich?“, fragte Daniel bange. „Du denkst doch nicht, dass ich unter Wahnvorstellungen leide oder?“
„Äh ... was?“ Maria schreckte aus ihren Gedanken hoch. „Nein, nein. Natürlich glaube ich dir.“
„Und was hältst du von der Sache? Ein Wolf? Wäre das möglich?“
„Hm ...“ Sie hob den Kopf, sah angestrengt hinüber zu den Bäumen hinter der Bruchsteinmauer, als suche sie dort etwas. Dann wandte sie sich wieder Daniel zu. „Nein, kein Wolf“, sagte sie entschieden. „Das würde allen Erfahrungen widersprechen. Und so groß, wie dir das Tier vorgekommen ist, war es sicher nicht. Das kann in so einer Schocksituation schon mal täuschen.“
„Aber was dann?“, fragte Daniel gereizt. Schocksituation! Maria schien ihn doch nicht so ernst zu nehmen, wie er gehofft hatte. „Denkst du, mich hätte ein Dackel angefallen?“
„Quatsch!“, schnappte sie. „Aber ein Hund könnte es durchaus gewesen sein. Ein sehr großer Hund. Du sagst, er stand etwas über dir? An einem kleinen Hang?“
„Richtig. Zwei, drei Meter hoch. Ungefähr. Vielleicht auch mehr ... ach, ich weiß nicht!“
„Kein Wunder, dass er dir