Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen. Annabel Herzog

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Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen - Annabel Herzog

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etwa ein Viertel der Betroffenen chronische Beschwerden, die auch ein Jahr nach dem ersten Auftreten weiterhin vorhanden sind und den Alltag deutlich einschränken.

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      Chronifizierung

      In der hausärztlichen Versorgung berichten Patientinnen und Patienten über einen Beobachtungszeitraum von drei Jahren in 40 % der Fälle über anhaltende und in je 30 % der Fälle über gebesserte bzw. vollständig abgeklungene Beschwerden (Kroenke 2014).

      Risikofaktoren und Entwicklung

      Mit steigender Anzahl vorliegender Symptome erhöht sich dabei das Chronifizierungsrisiko. Auch ein weibliches Geschlecht gilt als Risikofaktor, denn Frauen tragen ein nahezu doppelt so hohes Risiko, chronische Beschwerden zu entwickeln wie Männer. Da auch eine psychische Komorbidität als Risikofaktor für den chronischen Verlauf von belastenden Körperbeschwerden gilt, sollten Ärztinnen und Ärzte in der Anamnese belastender Körperbeschwerden immer auch eine möglicherweise vorliegende depressive oder Angstsymptomatik erfragen. Häufig entwickeln sich anhaltende Körperbeschwerden in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter und dauern dann über die gesamte Lebensspanne an (Leiknes et al. 2007).

      Verlauf belastender körperlicher Beschwerden

      ■Insgesamt häufig chronisch, wobei einzelne Symptome oft wenig stabil sind und wechseln

      ■Ca. 1 / 3 der Symptome remittieren innerhalb von 6 Monaten (Arnold et al. 2006)

      ■Ca. 1 / 3 der Patientinnen und Patienten hat nach 10 Jahren noch Beschwerden (Leiknes et al. 2007)

      Risikofaktoren für chronischen Verlauf

      ■Multiple Symptome

      ■Weibliches Geschlecht

      ■Depressivität bzw. psychische Komorbidität

      Bei vielen anhaltenden Körperbeschwerden finden sich keine identifizierbaren organischen Ursachen im Sinne physiologischer Krankheitsprozesse wie Gewebe- oder Nervenschädigungen oder peripherer entzündlicher Prozesse.

      medizinisch unerklärte Körperbeschwerden

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      Abb. 1.3: Anteil unerklärter Körperbeschwerden (medically unexplained symptoms, MUS) in unterschiedlichen medizinischen Fachbereichen (nach Kroenke 2003, bzw. Reid et al. 2001)

      Aber auch bei Patientinnen und Patienten mit diagnostizierten chronischen Grunderkrankungen sind die subjektiv als belastend erlebten Symptome (wie Atemnot bei Asthma oder Durchfall bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen) häufig der Hauptfaktor für eine beeinträchtigte Lebensqualität.

      Körperbeschwerden bei chronischen Erkrankungen

      Auch wenn eine Grunderkrankung sich beispielsweise aus medizinischer Sicht gut durch Medikamente behandeln lässt, bestehen die belastenden Körperbeschwerden oftmals unabhängig davon weiter. Sie gelten dann sogar als Risikofaktoren für einen schlechteren Krankheitsverlauf, schwerwiegendere Komplikationen, eine erhöhten Mortalität, komorbide Depressionen oder Angsterkrankungen sowie für suizidale Gedanken und Absichten (Almutary et al. 2013; Griffiths / Jones 2014; Lehmann et al. 2018; Löwe et al. 2008; Wiborg et al. 2013).

      subjektive Belastung unabhängig von Verursachung

      Nicht alle Personen mit körperlichen Beschwerden stellen sich in der ärztlichen Praxis vor, sondern vor allem diejenigen, die sich durch ihre Körpersymptome belastet und im Alltag eingeschränkt erleben (Creed et al. 2011). Die subjektive Belastung durch körperliche Symptome ist dabei unabhängig von deren (somatischer oder psychischer) Verursachung.

      Psychische Begleiterscheinungen wie mit den Symptomen verbundene Ängste und Sorgen sind oftmals der Hauptgrund für Patientinnen und Patienten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen (Joustra et al. 2015).

      gesundheitsbezogene Lebensqualität vermindert

      Als häufigste Symptome werden in der hausärztlichen Versorgung Schmerzen, Müdigkeit und Schwindel berichtet (Kroenke / Mangelsdorff 1989). Mit zunehmender Dauer und Anzahl von körperlichen Symptomen steigt die Häufigkeit von Arztbesuchen, von komorbiden Angst- und depressiven Störungen sowie von Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität nimmt entsprechend in allen Dimensionen (physische Gesundheit, soziale Kontakte, emotionales Wohlbefinden) ab. Werden die Körperbeschwerden von Krankheitsängsten und -überzeugungen begleitet, steigen das medizinische Inanspruchnahme-Verhalten und die Einschränkungen im Alltag, und auch die Unzufriedenheit mit der ärztlichen Versorgung nimmt zu (Creed et al. 2011).

      Da viele Symptome weder direkte Auswirkungen einer organischen Erkrankung (z. B. Krebs, Gefäß- oder Entzündungserkrankungen) noch direkte Folgen einer psychischen Erkrankung (z. B. Depressionen oder Angststörungen) sind, ist die nach wie vor verbreitete dualistische Sichtweise, nach der Symptome entweder als organisch oder psychisch bzw. funktionell klassifiziert werden, nicht haltbar (Kisely / Simon 2006; Kroenke et al. 2010).

      kein Dualismus organisch vs. psychisch

      Studien konnten wiederholt zeigen, dass Einschätzungen von Behandlerinnen und Behandlern, ob körperliche Symptome sich durch organische Befunde erklären lassen oder nicht, sehr unzuverlässig sind (Creed et al. 2011; Hilderink et al. 2013). Je mehr somatische Symptome eine Person berichtet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass diese Symptome auf das Vorhandensein einer zugrunde liegenden Grunderkrankung hindeuten und desto wahrscheinlicher ist es, dass zusätzlich eine komorbide Depression oder Angststörung vorliegt.

      hohe Symptomlast als Risikofaktor

      Der Leidensdruck der Patientinnen und Patienten, die Funktionseinschränkungen in wichtigen Bereichen des Alltags und das Chronifizierungsrisiko steigen zudem unabhängig von der Ursache der Symptome mit zunehmender Anzahl somatischer Symptome linear an (Jackson et al. 2006).

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      In der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit anhaltenden Körperbeschwerden gibt es zahlreiche Herausforderungen.

      fragmentierte Behandlung

      Die medizinische Versorgungsrealität ist gekennzeichnet durch eine fragmentierte Behandlung in spezialisierten Settings (z. B. gastrointestinale Symptome in der Gastroenterologie, Brustschmerzen in der Kardiologie). Auch wenn Patientinnen und Patienten sich tatsächlich oft mit multiplen Symptomen vorstellen, werden diese selten gemeinsam betrachtet oder behandelt (Aaron / Buchwald 2001). Wenn anhaltende Körperbeschwerden eine somatische Grunderkrankung begleiten, wird die subjektive Belastung durch die Symptomatik im Rahmen der Standardbehandlung oft vernachlässigt. In einer Vielzahl der Fälle orientiert sich die Behandlung lediglich an den objektiven Krankheitsparametern. Die

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