Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen. Annabel Herzog

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Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen - Annabel Herzog

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sowie symptombezogenen Ängsten und Befürchtungen ist gemäß DSM-5 von der Krankheitsangststörung abzugrenzen, bei der die Überzeugung vorherrscht, an einer ernsthaften Krankheit zu leiden, ohne dass gleichzeitig körperliche Symptome präsent sind (APA 2013). Im DSM-IV erfüllten Patientinnen und Patienten, die ein oder mehrere körperliche Symptome fälschlicherweise im Sinne einer schwerwiegenden Krankheit interpretierten oder glaubten, dass sie trotz anders lautender medizinischer Bewertung und Beruhigung mit Ängsten vor einer schlimmen Erkrankung beschäftigt waren, die Diagnose einer Hypochondrie. Von denjenigen Patientinnen und Patienten, bei denen zuvor eine Hypochondrie diagnostiziert wurde, werden nun ca. 80 % unter die DSM-5-Diagnose einer somatischen Belastungsstörung (wenn körperliche Beschwerden vorhanden sind) und ca. 20 % unter die DSM-5-Diagnose einer Krankheitsangststörung (wenn körperliche Beschwerden minimal oder gar nicht vorhanden sind) subsumiert (Bailer et al. 2016; Abb. 1.5).

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      Abb. 1.5: Reduktion der diagnostischen Kategorien von DSM-IV zu DSM-5 (nach Dimsdale et al. 2013)

      Kennzeichen einer somatischen Belastungsstörung

      Für die neue Diagnose genügt bereits ein einziges chronisches körperliches Symptom (z. B. Schmerz, Schwächegefühl oder Kurzatmigkeit), das zu einer erheblichen Funktionseinschränkung in wichtigen Lebensbereichen führt. Die somatische Belastungsstörung ist darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, dass die somatischen Symptome von einer unverhältnismäßig ausgeprägten gedanklichen, emotionalen oder verhaltensmäßigen Beschäftigung mit diesen Symptomen begleitet werden. Außerdem verursachen die Symptome eine erhebliche Belastung und / oder Funktionseinschränkung im Alltag (Dimsdale / Levenson 2013).

      Die somatischen Symptome können dabei durch eine zugrunde liegende somatische Grunderkrankung erklärbar sein oder auch nicht. Die Diagnose einer somatischen Belastungsstörung wird unabhängig von der Ursache der körperlichen Beschwerden gestellt. Damit entfällt die stigmatisierende und häufig nicht mit Sicherheit zu treffende Unterscheidung zwischen somatoformen (medizinisch unerklärten, „psychogenen“) und somatischen (organmedizinisch begründeten) Symptomen (Creed et al. 2011; Hilderink et al. 2013; Känel et al. 2016). Entsprechend der neuen Kriterien können auch bei Vorliegen einer somatischen Grunderkrankung (z. B. Asthma) anhaltende Sorgen und Ängste (hier bezogen z. B. auf eine mögliche Luftnot mit Erstickungsgefahr), die Diagnose rechtfertigen.

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      keine reine Ausschlussdiagnostik

      Die Diagnose kann nicht vergeben werden, nur weil eine medizinische Ursache für ein körperliches Symptom nicht identifiziert werden kann (im Sinne einer Ausschlussdiagnostik). Der Fokus liegt jetzt auf dem Ausmaß, in dem die mit den Körperbeschwerden verbundenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen übertrieben oder unverhältnismäßig erscheinen (Dimsdale / Levenson 2013).

      Für die Diagnose einer somatischen Belastungsstörung nach DSM-5 müssen die Kriterien A, B (mindestens eine der drei aufgeführten psychologischen Dimensionen) und C aus Abb. 1.6 erfüllt sein.

      In der ICD-11 werden die diagnostischen Kriterien zum aktuellen Zeitpunkt wie folgt beschrieben:

      ICD-11: 6C40 Bodily Distress Disorder (somatische Belastungsstörung, übersetzt nach WHO 2018)

      Die Somatische Belastungsstörung ist gekennzeichnet durch das Vorhandensein belastender körperlicher Symptome, auf die eine übermäßige Aufmerksamkeit gerichtet ist, was sich in wiederholtem Kontakt mit medizinischen Leistungserbringern manifestiert. Wenn eine andere Erkrankung die Symptome verursacht oder dazu beiträgt, ist der Grad der Aufmerksamkeit in Bezug auf die Natur und den Verlauf der Symptome eindeutig übertrieben.

      Die übermäßige Aufmerksamkeit wird auch nicht durch geeignete klinische Untersuchungen und angemessene Beruhigung abgemildert. Die körperlichen Symptome sind andauernd, d. h. an den meisten Tagen mindestens über mehrere Monate vorhanden. Typischerweise treten mehrere körperliche Symptome auf, die über die Zeit variieren können. Möglicherweise liegt auch nur ein einzelnes Symptom – oftmals Schmerzen oder Müdigkeit, die mit den anderen Merkmalen der Störung assoziiert sind – vor.

      Erste empirische Überprüfungen der neuen DSM-5-Diagnose ergaben, dass sowohl die Reliabilität, die Validität als auch die klinische Nützlichkeit bei der somatischen Belastungsstörung den Gütekriterien der somatoformen Störungen nach DSM-IV überlegen sind (Dimsdale et al. 2013).

      Reliabilität

      Die Beurteiler-Übereinstimmung (Interrater-Reliabilität), in dem Sinne, dass sich verschiedene Beurteilerinnen und Beurteiler zuverlässig über das Vorhandensein einer Erkrankung einigen können, kann bei einer Zugrundelegung der neuen Kriterien der somatischen Belastungsstörung als gut bis sehr gut bezeichnet werden (Freedman et al. 2013).

Valide bedeutet im Zusammenhang mit klinischen Diagnosen vor allem, dass ein klinisches Syndrom klar genug beschrieben ist (deskriptive Validität), der Symptomverlauf der Patientinnen und Patienten im Laufe der Zeit vorhergesagt werden kann (prognostische Validität) und ähnliche Erkrankungen zuverlässig ausgeschlossen werden können (differenzielle Validität). Darüber hinaus sollten valide Diagnosen das Ansprechen der Patientinnen und Patienten auf die Behandlung vorhersagen (Robins / Guze 1970; Voigt et al. 2010).images

      Obwohl die Diagnosekriterien der somatischen Belastungsstörung bereits als „überinkludierend“, mit dem Potenzial für zu viele falsch-positive Diagnosen kritisiert wurde (Frances 2013), deuten erste Untersuchungsergebnisse darauf hin, dass die neue Diagnose im Gegenteil restriktiver als die somatoforme Diagnose nach DSM-IV sein könnte.

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      Eine Studie mit Patientinnen und Patienten mit Symptomen, die als „medizinisch unerklärt“ eingestuft wurden (n=325), ergab, dass doppelt so viele Patientinnen und Patienten die diagnostischen Kriterien für eine somatoforme Störung (DSM-IV) erfüllten als die einer somatischen Belastungsstörung (DSM-5; 93 versus 46 %; Dessel et al. 2016).

      Darüber hinaus erfordert die Diagnose der somatischen Belastungsstörung, wie in den B-Kriterien beschrieben, dass die Patienten „übertriebene“ oder „unangemessene“ Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen im Zusammenhang mit den somatischen Symptomen aufweisen. Dadurch lässt sich eine Gruppe von Patienten identifizieren, die sich durch eine größere psychische Beeinträchtigung im Vergleich zu Patienten mit einer somatoformen Störungen kennzeichnet (Voigt et al. 2012).

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