Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen. Annabel Herzog

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Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen - Annabel Herzog

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Studien zu somatoformen Störungen schätzen (Creed / Barsky 2004), wobei vieles darauf hindeutet, dass auch die somatische Belastungsstörung eine weit verbreitete Störung ist, die am häufigsten bei Patientinnen und Patienten in der Primärversorgung auftritt (Rief et al. 2011).

      Das DSM-5 legt als neues obligates Diagnosekriterium kognitiv-emotionale und Verhaltensmerkmale im Umgang mit den körperlichen Symptomen fest (B-Kriterium). Dabei wird nicht mehr zwischen medizinisch unerklärten und erklärten körperlichen Symptomen unterschieden. Es gab in diesem Zusammenhang zahlreiche Bedenken darüber, dass die neu definierten Kriterien der somatischen Belastungsstörung zu einer „Überdiagnostik“ anhaltender Körperbeschwerden führen könnten, da die Diagnose nun auch medizinisch erklärte Symptome berücksichtigt(Kap. 5). Tatsächlich ist es aber gerade die Kombination aus somatischen Symptomen und assoziierten psychologischen Belastungen, die mit dem höchsten Leidensdruck und entsprechend mit einer Verschlechterung der Lebensqualität und einer erhöhten Inanspruchnahme des Gesundheitswesens verbunden ist, sodass davon auszugehen ist, dass die neue Diagnose weiterhin relevante Fälle identifiziert (Rief et al. 2010).

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      Eine Studie, in der Prävalenzdaten aus einer populationsbasierten Stichprobe zugrunde gelegt wurden, untersuchte daher im Jahr 2012 folgende drei Personengruppen zur Häufigkeitsschätzung der somatischen Belastungsstörung (Creed et al. 2012): Gesunde, Patientinnen und Patienten mit medizinischen Erkrankungen wie Herzerkrankungen und Arthritis sowie Patientinnen und Patienten mit funktionellen Syndromen wie dem Reizdarmsyndrom. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden jeweils zum Vorhandensein belastender Körpersymptome (A-Kriterium) befragt, sowie zu damit einhergehenden psychischen Belastungen (B-Kriterium). 5 % der Gesamtstichprobe bejahte dabei die Frage, ob sie sich oft Sorgen machten, möglicherweise unter einer schweren körperlichen Erkrankung zu leiden. 10 % hatten das Gefühl, dass ihre Symptomatik von ihrer Umgebung (Familie, Freunde, Gesundheitssystem) nicht ernst genommen würde. 5 % aller Befragten gaben an, dass es ihnen schwer falle, ihre Symptomatik für eine Weile zu vergessen und über andere wichtige Dinge in ihrem Leben nachzudenken.

      Wurde die Diagnose dabei nur auf Grundlage der Anzahl vorhandener somatischer Beschwerden (A-Kriterium) gestellt, waren die Prävalenzschätzungen für die somatische Belastungsstörung deutlich höher, als wenn zusätzlich auch die psychologischen Kriterien (B-Kriterien: kognitive, affektive, behaviorale Belastung durch die Symptome) erfüllt sein mussten (Tab. 2.2). Beispielsweise gaben die Patientinnen und Patienten aus der Gruppe mit den medizinischen Erkrankungen zahlreiche belastende somatische Symptome an, aber die Mehrheit der Befragten mit einer hohen Symptomanzahl erfüllte dabei nur eines oder gar keines der B-Kriterien. In der Gesamtstichprobe (n=952) berichteten 6,7 % sowohl über eine hohe Anzahl belastender somatischer Symptome als auch über ein oder mehrere psychische Kriterien vom Typ B, womit die Diagnose einer somatischen Belastungsstörung erfüllt wäre. Die Prävalenz ist demnach höher als die der Somatisierungsstörung nach DSM-IV oder ICD-10, aber weitaus geringer als die der undifferenzierten somatoformen Störung mit ca. 20 %.

      783 der Befragten erklärten sich in der Studie außerdem damit einverstanden, dass ihre Krankenakten im Hinblick auf medizinische Diagnosen überprüft wurden. Dabei fanden sich n=339 Befragte mit medizinischen Erkrankungen wie einer Herzerkrankung oder Arthritis und n=107 Patientinnen und Patienten mit funktionellen Syndromen wie dem Reizdarmsyndrom. Aus diesen beiden Gruppen berichteten insgesamt mehr Befragte sowohl belastende Symptome als auch begleitende psychologische Kriterien (A- und B-Kriterien) als in der gesunden Vergleichsgruppe. Doch selbst in diesen Patientengruppen, bei denen eine hohe medizinische Belastung und chronische Körperbeschwerden vorliegen, sind nicht immer die Diagnosekriterien einer somatischen Belastungsstörung erfüllt. Nicht alle Patientinnen und Patienten geben eine psychologische Belastung durch ihre Körperbeschwerden an (Tab. 2.2).

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      Anmerkung: A-Kriterium: mind. 1 belastende Körperbeschwerde; B-Kriterien: damit einhergehende übermäßige Gedanken, Sorgen oder Verhaltensweisen

      Die Daten aus dieser Studie deuten darauf hin, dass die Verwendung der neuen Diagnosekriterien der somatischen Belastungsstörung nicht zu einer stark erhöhten Prävalenz der Diagnose im Vergleich zum Status quo nach DSM-IV oder ICD-10 führt. In weiteren aktuellen Studien werden etwas höhere Prävalenzzahlen berichtet als bei Creed et al. (2012).

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      In einer Studie, die 156 Patientinnen und Patienten mit Fibromyalgie untersuchte, ergab sich in mehr als 25 % der Fälle die Diagnose einer somatischen Belastungsstörung (diagnostiziert nach den Kriterien des DSM-5; Häuser et al. 2015). Dessel et al. (2016) fanden in einer Stichprobe mit Patientinnen und Patienten mit medizinisch unerklärten Körperbeschwerden, dass bei 92,9 % die DSM-IV Kriterien einer somatoformen Störung erfüllt waren, aber nur 45,5 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Kriterien der somatischen Belastungsstörung nach DSM-5 erfüllten. Eine Studie aus einem psychiatrischen Setting in China (Huang et al. 2016) berichtet im Unterschied dazu, dass 40,3 % der Patientinnen und Patienten die DSM-5-Kriterien erfüllten und lediglich 24,6 % die Kriterien der somatoformen Störungen nach DSM-IV.

      Forschungsbedarf zur Prävalenz

      Auch die Prävalenzangaben der somatischen Belastungsstörung schwanken also stark je nach untersuchtem Setting. Es bedarf weiterer epidemiologischer Studien, um die neuen Diagnosekriterien nach DSM-5, aber auch ganz aktuell nach ICD-11, systematisch zu untersuchen.

      2.1.6 Kulturelle Aspekte

      Somatoforme Störungen sind in allen Kulturen bekannt und auch die häufigsten körperlichen Symptome scheinen, unabhängig von der Kultur, gleich zu sein. Dennoch findet sich eine Häufung somatoformer Beschwerden in bestimmten Kulturkreisen (APA 2013; Lee et al. 2011; Rief et al. 2001). Über verschiedene Kulturen variiert vor allem die Art und Weise, wie somatische Symptome ausgedrückt werden (Kirmayer / Sartorius 2007). Somatische Symptome können in einer bestimmten Kultur eine spezifische Bedeutung haben. Die kulturelle Umgebung hat auch einen Einfluss darauf, wie somatische Symptome interpretiert werden und welche Ursache den Symptomen zugeschrieben werden. Darüber hinaus kann die Kultur beeinflussen, wie und wann Patientinnen und Patienten medizinische Versorgung in Anspruch nehmen und den Krankheitsverlauf zu beeinflussen versuchen.

      Häufigkeit bei Flüchtlingen erhöht

      In einem aktuellen Review zeigte sich, dass die Häufigkeit somatoformer und funktioneller Symptome bei Flüchtlingen aus nichtwestlichen Ländern im Vergleich zu nicht geflüchteten Personen aus der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht ist. Damit ist Somatisierung ein gesundheitspolitisch relevantes, aber selten adressiertes Problem in Flüchtlingspopulationen. Mögliche Erklärungen für die erhöhten Prävalenzangaben sind aufgrund der Heterogenität der in den Studien verwendeten Methodik schwer zu treffen. Sie liegen aber vermutlich in einer bei dieser Gruppe allgemein erhöhten Psychopathologie infolge von Traumatisierung, aber auch infolge eines erhöhten Stigmatisierungserlebens gegenüber psychischen Diagnosen und Behandlungen (Rohlof et al. 2014).

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Angsterkrankungen und Depressionen die häufigsten Komorbiditäten bei somatoformen Störungen (und somatischen Belastungsstörungen) darstellen. Vor allem bei schweren Verlaufsformen funktioneller und somatoformer Körperbeschwerden

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