Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen. Annabel Herzog

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et al. 2018).

      eingeschränkte Wirksamkeit von Behandlungsmethoden

      Es fehlt an allgemein akzeptierten, evidenzbasierten diagnostischen Konzepten und Behandlungsansätzen für betroffene Patientinnen und Patienten. Obwohl sich bei vielen Patientinnen und Patienten mit anhaltenden Körperbeschwerden sowohl mit psychotherapeutischen als auch mit pharmakologischen Interventionen eine Verbesserung ihrer Beschwerden und Beeinträchtigung erzielen lässt, ist die Wirksamkeit aktueller Behandlungsmethoden mit Effektstärken im mittleren Bereich weiterhin verbesserungswürdig.

      lange Dauer unbehandelter Erkrankungen

      Darüber hinaus bleibt die Mehrheit der Patientinnen und Patienten mit anhaltenden Körperbeschwerden lange unbehandelt oder wird zumindest nicht leitliniengemäß behandelt (Henningsen et al. 2018; Kleinstäuber et al. 2016; Wortman et al. 2018; Herzog et al. 2018).

      Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich mit ihren Beschwerden von ihren Behandlerinnen und Behandlern nicht ausreichend ernst genommen. Vor allem, wenn sich Symptome nicht hinreichend durch zugrunde liegende physiologische Prozesse oder Erkrankungen erklären lassen, fühlen sich Patientinnen und Patienten manchmal als Simulantinnen und Simulanten missverstanden.

Simulation, d. h. das bewusste Vortäuschen von Symptomen oder Beschwerden, ist in der täglichen Praxis tatsächlich ein eher seltenes Phänomen (Mayou / Farmer 2002).images Simulation

      Kosten durch anhaltende Körperbeschwerden

      1.2 Zentrale Begriffe

      Die unübersichtliche Terminologie erschwert die Versorgung und Forschung im Bereich anhaltender Körperbeschwerden. Im Rahmen der diagnostischen Konzeption werden derzeit zahlreiche Begrifflichkeiten für anhaltende Körperbeschwerden verwendet.

      uneinheitliche Terminologie

      Vor allem in der hausärztlichen Praxis wird für Beschwerden, für welche keine hinreichend erklärende, klar benennbare körperliche Erkrankung mit entsprechender Behandlungskonsequenz zu finden ist, oft der Begriff nichtspezifische (oder veraltet „medizinisch unerklärte“) Symptome verwendet. Eine weitere Parallelklassifikation findet sich zwischen den verschiedenen somatischen Fachrichtungen, die von funktionellen somatischen Syndromen sprechen, und den psychosozialen Fächern, die somatoforme Störungen wie die Somatisierungsstörung diagnostizieren.

      Viele dieser Begriffe sind ungenau, kulturell unsensibel und manchmal irreführend oder stigmatisierend, vor allem der früher verwendete Begriff „medizinisch unerklärter“ Symptome (Kirmayer / Sartorius 2007; Mayou / Farmer 2002). Letzterer wurde häufig verwendet, wenn Symptome in Abwesenheit einer identifizierbaren Grunderkrankung auftraten.

      In den einzelnen medizinischen Fachdisziplinen werden anhaltende Körperbeschwerden ohne hinreichendes organisches Korrelat oft im Sinne funktioneller Störungen diagnostiziert. Syndrome wie Fibromyalgie, chronisches Erschöpfungssyndrom (auch Chronic Fatigue Syndrome oder myalgische Enzephalomyelitis), chronische Schmerzen oder das Reizdarmsyndrom kennzeichnen sich durch bestimmte Muster somatischer Symptome, die sich dabei oft auf bestimmte Organsysteme beziehen.

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      Fischer / Nater 2012 geben einen detaillierteren Überblick über funktionelle Syndrome.

      Es erfolgt dann je nach Lokalisation der körperlichen Beschwerden eine Diagnosestellung, die in die entsprechende medizinische Fachdisziplin fällt. Funktionelle somatische Symptome können auch bei Menschen mit einer schweren körperlichen Erkrankung auftreten.

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      Zum Beispiel können nach einem Herzinfarkt oder einer Herzoperation muskuläre Brustschmerzen von Patienten als Hinweis auf eine Angina pectoris fehlinterpretiert werden, was dann zu unnötiger Sorge und Belastung führt (Mayou / Farmer 2002).

      Obwohl die einzelnen Kategorien funktioneller Syndrome für die tägliche medizinische Praxis nützlich sein können, zeigen aktuelle Studien, dass erhebliche Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zwischen diesen einzelnen Syndromen bestehen (Chalder / Willis 2017).

      Bei der Diagnostik psychischer Erkrankungen (z. B. Angststörungen, affektive und somatoforme Störungen) liegt der Fokus hauptsächlich auf psychischen Prozessen. Wenn gleichzeitig somatische Symptome vorhanden sind, geht es bei der Diagnostik um die Art und Anzahl dieser Symptome, und zwar unabhängig davon, auf welches Organsystem sie sich beziehen. Beispielsweise gehen psychische Beschwerden im Zusammenhang mit einer Depression oder Angststörung begleitend häufig mit somatischen Symptomen einher, die sich dann durch eine wirksame Behandlung der psychischen Störung oft ebenfalls bessern. In Fällen, in denen die belastenden Körperbeschwerden vordergründig sind, ist die geeignetste Diagnose dann die einer somatoformen Störung (bzw. aktueller Begriff laut ICD-11 und DSM-5: „somatische Belastungsstörung“; Levenson et al. 2018).

      Unterschiedliche Begriffe werden in unterschiedlichen Settings und Klassifikationssystemen benutzt

      (z. B. Hausarzt, Facharzt, psychotherapeutische Versorgung etc.):

      ■Nichtspezifische oder medizinisch unerklärte Symptome

      ■Funktionelle Syndrome (z. B. Reizdarm, Fibromyalgie, Chronic Fatigue)

      ■Somatoforme Störungen (ICD-10, DSM-IV)

      ■Somatische Belastungsstörung (ICD-11, DSM-5)

      Der Vorteil des übergeordneten Begriffes „anhaltende Körperbeschwerden“ ist, dass er keine Psychogenese, sondern nur die Störung bestimmter Körperfunktionen voraussetzt. Obwohl es also unterschiedliche medizinische und psychiatrische Klassifikationen für diese Art von Symptomen gibt, handelt es sich dabei eigentlich um alternative Methoden, um die gleichen oder zumindest ähnliche Phänomene zu beschreiben (Henningsen et al. 2018; Kroenke 2003). Unser Lehrbuch nimmt vor allem die Gemeinsamkeiten dieser Störungsbilder in den Blick. Unser Anliegen ist es fächerübergreifend und praxisnah ein umfassendes (biopsychosoziales) Verständnis anhaltender Körperbeschwerden zu fördern.

      Die Existenz paralleler Klassifikationsmöglichkeiten ist oftmals verwirrend. Für viele anhaltende Körperbeschwerden kann eine einfache Beschreibung mit einer zusätzlichen Spezifikation des Symptoms wie „isoliert“ oder „multiple“ und „akut“ oder „chronisch“ ausreichend sein. Häufig vermittelt auch eine Kombination aus medizinischen und psychiatrischen Diagnosen die beste Information wie z. B. Reizdarmsyndrom mit komorbider Angststörung (Mayou / Farmer 2002).

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