Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen. Annabel Herzog

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Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen - Annabel Herzog

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12-Monats-Prävalenz somatoformer Störungen 2011 mit 4,9 % angegeben (Wittchen et al. 2011; Abb. 2.1), was einer Anzahl von ca. 25,1 Millionen Erkrankten in der Europäischen Union entspricht. Mit dieser Prävalenz stellen somatoforme Störungen die vierthäufigsten psychischen Störungen nach Angststörungen, Schlafstörungen und affektiven Störungen dar.

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      2.1.2 Hausärztliche Versorgung (Allgemeinmedizin)

      Insbesondere in der medizinischen Primärversorgung (Hausarztpraxen, Allgemeinmedizin) stellen sich viele Patientinnen und Patienten mit unerklärten Körperbeschwerden vor, womit auch die Hauptverantwortung für das Erkennen und Diagnostizieren bei Ärztinnen und Ärzten der Primärversorgung liegt.

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      In 15–19 % der Fälle sind somatische Symptome ohne organische Ursache der Hauptgrund für eine Konsultation in der Hausarztpraxis (Burton 2003). In einer Untersuchung von Nimnuan et al. (2001) fand sich eine Punktprävalenz von 52 % bezogen auf unerklärte Körperbeschwerden. Dabei wurde eine breit gefasste Definition der Symptome zugrunde gelegt, nämlich im Sinne von medizinischen Beschwerden, für die keine definierte medizinische Diagnose im Rahmen einer adäquaten medizinischen Untersuchung gefunden werden konnte. Verhaak et al. (2006) analysierten Daten von Patientinnen und Patienten, die über das vergangene Jahr mindestens vier Arztbesuche bezüglich ihrer Körperbeschwerden in Anspruch genommen hatten. Dabei ergab sich eine Punktprävalenz von 2,5 % unerklärter Körperbeschwerden. Auch hier sind die Schwankungen in den Prävalenzraten in Abhängigkeit von den angewendeten diagnostischen Kriterien zu sehen.

      In einem aktuellen und hochwertigen systematischen Review, in das Daten von über 70.000 Patientinnen und Patienten aus 24 Ländern eingeschlossen wurden, zeigte sich, dass bei 40-49 % aller Patientinnen und Patienten aus dem hausärztlichen Setting mehr als eine medizinisch unerklärte Beschwerde diagnostiziert werden konnte (Haller et al. 2015).

      In derselben Übersichtsarbeit wurden aus den Studien, in denen klinische strukturierte Interviews bei Patientinnen und Patienten in der Hausarztpraxis durchgeführt worden waren, auch die Prävalenzen für die Diagnosen der somatoformen Störungen nach DSM-IV bzw. ICD-10 ermittelt. Dabei ergaben sich Punktprävalenzen für die Somatisierungsstörung von 0,8 % bzw. 5,9 %, für die undifferenzierte somatoforme Störung von 27,0 % bzw. 8,9 % und für die Schmerzstörung von 7,3 % bzw. 9,3 %. (Haller et al. 2015).

      2.1.3 Funktionelle Syndrome

      Multiple unerklärte Körperbeschwerden treten häufig auch im Rahmen spezifischer funktioneller Syndrome auf. Die Angaben der Punktprävalenz schwanken auch hier, und zwar in Abhängigkeit von der Art eines solchen Syndroms bzw. von den zugrunde liegenden diagnostischen Kriterien.

      Gerade in der ambulanten hausärztlichen Versorgung gehören funktionelle Körperbeschwerden zu einem der häufigsten Beratungsanlässe. Dabei werden für funktionelle Körperbeschwerden Häufigkeiten zwischen 20 % und 50 % in Hausarztpraxen angegeben (Nimnuan et al. 2001). Eine Allgemeinärztin mit 40 Patienten am Tag sieht demnach ca. zwei Patienten mit funktionellen Körperbeschwerden pro Stunde (Reid et al. 2001; Henningsen et al. 2018).

      Zu den klassischen funktionellen Syndromen zählen das chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome), für das Punktprävalenzen von 0,2–0,4 % in der Allgemeinbevölkerung ermittelt wurden (Jason et al. 1999; Nacul et al. 2011; Reyes et al. 2003), oder die Fibromyalgie. Für letztere fand sich in Großbritannien eine Punktprävalenz von 3,3 % (Gallagher et al. 2001). In einer repräsentativen deutschen Bevölkerungsstichprobe wurde sie mit 2,1 % angegeben. In einer größeren europäischen epidemiologischen Studie ergab sich in Abhängigkeit von den verwendeten Kriterien eine Punktprävalenz zwischen 2,9 % und 4,7 % (Branco et al. 2010). Funktionelle gastrointestinale Störungen (einschließlich des Reizdarmsyndroms) traten bei 3,6 % der Hausarztpatientinnen und –patienten auf (Thompson et al. 2000). Die Punktprävalenzen schwanken hier je nach zugrunde gelegten Störungskriterien (z. B. Grundmann / Yoon 2010; Rey / Talley 2009: 2,1–22,0 %). Bei Anwendung der so genannten Rome-Kriterien wird die Punktprävalenz des Reizdarmsyndroms auf 7-10 % geschätzt (Wolfe et al. 2013).

      Tab. 2.1: Prävalenz diagnostischer Subkategorien in der Allgemeinbevölkerung (nach Wittchen / Hoyer 2011; Kleinstäuber et al. 2011)

Diagnostische KategorieArt der PrävalenzbestimmungPrävalenz
Somatoforme Störung4 Wochen7,5 %
SomatisierungsstörungLebenszeit< 0,01–0,84 %
Chronic Fatigue SyndromePunkt-Prävalenz0,4 %
FibromyalgiePunkt-Prävalenz3,3 %
ReizdarmsyndromPunkt-Prävalenz2,1–22 %

      2.1.4 Spezialisierte Medizin (Fachärztinnen und Fachärzte)

      Da somatoforme Symptome oftmals nicht direkt als solche erkannt werden, sind Überweisungen zu medizinischen Spezialistinnen und Spezialisten häufig. In spezielleren klinischen Kontexten (z. B. bei Fachärztinnen und -ärzten für Rheumatologie, Schmerzmedizin oder Gynäkologie) werden Häufigkeiten zwischen 25 % und 66 % für funktionelle oder somatoforme Beschwerden angegeben (Maiden et al. 2003; Snijders et al. 2004; Waal et al. 2004).

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      In einer Studie von Nimnuan et al. (2001) wurden Patientinnen und Patienten getrennt nach der Fachabteilung, von der sie überwiesen wurden, hinsichtlich der Anzahl ihrer somatoformen Körperbeschwerden untersucht. Die höchsten Prävalenzraten wiesen Patientinnen und Patienten auf, die von gynäkologischen (66 %) sowie neurologischen Abteilungen (62 %) überwiesen wurden, gefolgt von Patientinnen und Patienten von gastroenterologischen (58 %) und kardiologischen (53 %) Stationen. Dabei stellten sich Patientinnen und Patienten mit unerklärten Körperbeschwerden oft auch in verschiedenen Fachbereichen vor. Nonkardialer Brustschmerz kam beispielsweise häufig in kardiologischen Abteilungen vor (27,2 %), trat aber auch bei Fachärzten für Atemwegserkrankungen (39,0 %), Neurologie (21,4 %), Gastroenterologie (13,5 %) oder in rheumatologischen Sprechstunden (14,3 %) auf (Nimnuan et al. 2001). In einer Studie von Mehl-Madrona (2008) wurden Patientinnen und Patienten untersucht, die mehr als fünf Mal im Jahr die Notaufnahme aufsuchten. 11 % von ihnen erfüllten die Kriterien einer Somatisierungsstörung nach DSM-IV.

      häufiger Syndrom-Overlap bei funktionellen Störungen

      Bei unterschiedlichen, aber gleichzeitig bestehenden Beschwerden werden oft auch die Kriterien für verschiedene Diagnosen, wie mehrere umschriebene funktionelle Syndrome gleichzeitig erfüllt. Man spricht dann von einem Syndrom-Overlap, bei dem entsprechend bei der Diagnostik und Therapie nicht nur ein Organsystem oder eine Fachrichtung im Fokus stehen sollte, sondern eine interdisziplinäre Behandlung zielführend ist (Kanaan et al. 2007; Fink / Schröder 2010; Henningsen et al. 2018).

      2.1.5 Somatische Belastungsstörung

      Da die somatische Belastungsstörung (Kap. 5) erst mit Erscheinen der 5. Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-5, APA 2013) eingeführt wurde, ist die Prävalenz dieser relativ neuen Diagnose noch weitestgehend unbekannt. Die meisten der Patientinnen und Patienten, die zuvor die Diagnose einer somatoformen Störung erhalten haben, werden gemäß DSM-5 mit einer somatischen Belastungsstörung diagnostiziert; z. T. werden durch die beiden Diagnosen aber natürlich auch verschiedene Patientinnen und Patienten erfasst.

      Die

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