Völkerrecht. Bernhard Kempen
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c) Intervention auf Einladung
Äußerst umstritten in ihrer völkerrechtlichen Zulässigkeit ist die Intervention auf Einladung, bei der ein ausländischer Staat mit militärischen Mitteln auf Seiten der Regierung oder von Aufständischen in einen Bürgerkrieg eingreift. Liegt diesem Eingreifen ein ausdrückliches Ersuchen der Regierung zugrunde, dann ist darin kein Verstoß gegen das Gewaltverbot zu sehen, wie der IGH im Nicaragua-Fall (ICJ Reports 1986, 14/126) festgestellt hat. Die „legale“ Regierung ist nämlich befugt, anderen Staaten eine militärische Gewaltanwendung auf ihrem Staatsgebiet zu gestatten. Anders ist dies bei den Aufständischen, die nicht berechtigt sind, den Willen des betroffenen Staates auszudrücken und deshalb eigentlich einer gewaltsamen Intervention dritter Staaten nicht zustimmen können. Eine im Vordringen begriffene Ansicht geht allerdings davon aus, dass im Falle eines Bürgerkrieges auch die Einwilligung der Regierung nicht zum Ausschluss des Gewaltverbotes führt. Ob eine ausdrückliche Einwilligung vorliege, sei oftmals ebenso schwierig festzustellen wie die Qualifizierung einer bestehenden Regierung als „legal“. Angesichts derartiger Unklarheit käme es dann aber zu erheblicher Rechtsunsicherheit, die schon fast zu einer Art Dispositionsfreiheit einzelner Staaten über das universelle Gewaltverbot führe. Dies sei mit Sinn und Zweck dieses Verbotes nicht zu vereinbaren.
d) Androhung von Gewalt
Die Androhung von Gewalt ist der Anwendung von Gewalt gleichgestellt. Wird die Anwendung von militärischer Gewalt konkret in Aussicht gestellt, liegt also bereits ein Verstoß gegen das universelle Gewaltverbot vor. Dabei besteht die besondere Schwierigkeit darin, ggf. auch zu Zwecken der Abschreckung ergriffene allgemeine Rüstungsmaßnahmen von einer konkreten Androhung militärischer Gewaltanwendung abzugrenzen. Verallgemeinerungsfähige Abgrenzungskriterien sind nicht ersichtlich.
3. Problemfälle des Gewaltbegriffs
Dass Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. ausschließlich auf militärische Gewalt bezogen ist, wird immer wieder mit dem Argument bestritten, dass es auch andere Mittel der Einflussnahme auf einen Staat gibt, die in ihrer Wirkung nicht hinter der Anwendung militärischer Gewalt zurückbleiben.
a) Wirtschaftlicher/politischer Zwang
Die Frage, ob auch wirtschaftlicher oder politischer Zwang, der nicht mit militärischen Maßnahmen einhergeht (z. B. die Verhängung von → Wirtschaftssanktionen), dem universellen Gewaltverbot unterfällt, wird ganz überwiegend negativ beantwortet. Die h.M. folgert aus dem systematischen und teleologischen Kontext des Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch., dass allein bewaffnete Formen der Gewaltanwendung gemeint sein können. Zudem spricht die Entstehungsgeschichte gegen eine Einbeziehung wirtschaftlichen oder politischen Zwangs. Auch der IGH hat sich im Nicaragua-Fall indirekt gegen eine Ausweitung des Schutzbereiches auf wirtschaftliche Maßnahmen ausgesprochen, indem er diese Problematik nicht im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen das Gewaltverbot erörterte (ICJ Reports 1986, 14/116). Zudem wird dieses Ergebnis durch die Friendly Relations Declaration (vom 24.10.1970) gestützt, die Formen wirtschaftlichen und politischen Zwangs nicht dem Gewaltverbot, sondern dem → Interventionsverbot zuordnet.
b) Nichtmilitärischer physischer Zwang
Diese Fallgruppe kann in sehr unterschiedlichen Konstellationen auftreten. Eine typische Situation ist das Herbeiführen einer verheerenden Überschwemmung in einem Staat (Unterliegerstaat) durch einen höher gelegenen Staat (Oberliegerstaat) durch das unkontrollierte Ablassen des Wassers aus einem Staudamm. Stellt man mit der h.M. allein auf das angewendete Mittel ab, dann fehlt es an dem Erfordernis militärischer Gewalt, so dass Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. nicht verletzt ist.
c) „Cyber attacks“
Ein gänzlich neues Bedrohungsszenario bilden Angriffe auf Computernetzwerke, wenn diese von staatlicher Seite initiiert und durchgeführt werden, um z. B. über E-Mails Computerviren in den Verteidigungsnetzwerken eines anderen Staates zu installieren und dessen militärische Infrastruktur dadurch auszuschalten, zumindest aber zu beeinträchtigen. Ganz überwiegend werden „cyber attacks“ bislang nicht als Anwendung militärischer Gewalt angesehen, weil sie nicht mit Waffen im herkömmlichen Verständnis ausgeführt werden. Doch zeigt gerade diese Fallgruppe, dass insb. neuartige technische Handlungsformen möglicherweise eine Anpassung des Begriffs der militärischen Gewalt erforderlich machen. Auch der Einsatz von Computerviren – oder die gezielte Herbeiführung einer Überschwemmungskatastrophe (s. o.) – lässt sich durchaus als Einsatz einer „Waffe“ bzw. als „militärische Maßnahme“ qualifizieren; er steht zumindest in der Intensität seiner Zerstörungskraft nicht hinter einem bewaffneten Angriff zurück. Damit wäre auch das Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 UN-Ch.) des beeinträchtigten Staates aktiviert, so dass dieser ggf. mit militärischen Mitteln reagieren dürfte. Geht man diesen Schritt nicht, dann verstoßen insb. cyber attacks zwar gegen das → Interventionsverbot (Art. 2 Ziff. 1 UN-Ch.); die Möglichkeit des beeinträchtigten Staates zu → Gegenmaßnahmen sind jedoch von vornherein begrenzt, weil eine militärische Antwort völkerrechtlich nicht zulässig wäre.
4. Zwischenstaatliche Dimension
Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. stellt zudem klar, dass das universelle Gewaltverbot für die Normadressaten nur „in ihren internationalen Beziehungen“ zur Anwendung kommt. Es bedarf also stets eines grenzüberschreitenden Sachverhalts. Innerhalb der eigenen Grenzen (→ Staatsgebiet) kann sich der Staat hingegen auf das ihm zustehende (innerstaatliche) Gewaltmonopol berufen. Er kann auf diese Weise seine → Gebietshoheit auch mit militärischer Gewalt durchsetzen. Dasselbe gilt für das → stabilisierte De facto-Regime. Deshalb wird ein Bürgerkrieg, solange er nicht auf andere Staaten übergreift, nicht vom universellen Gewaltverbot erfasst.
5. Irrelevanz der Merkmale „territoriale Integrität“ und „politische Unabhängigkeit“
Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. verbietet die militärische Gewaltanwendung mit der Maßgabe, dass diese „gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates“ gerichtet „oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar“ ist. Bei einem unbefangenen Wortlautverständnis lassen sich diese Kriterien durchaus als tatbestandliche Einschränkungen des Gewaltverbotes deuten. Diesem Verständnis widersprechen jedoch der historische Entstehungszusammenhang sowie Sinn und Zweck des Gewaltverbotes: Die Einfügung dieser Textpassage geht nämlich auf einen Vorschlag kleiner und mittlerer Staaten auf der Konferenz von San Francisco zurück, die sich davon eine klarstellende Wirkung versprachen, da es sich bei der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit um besonders schutzbedürftige Ausprägungen der staatlichen Souveränität handelt. Eine Ausgrenzung von mit einer anderen Absicht verbundener militärischer Gewaltanwendung aus dem Verbotstatbestand war hingegen nicht beabsichtigt. Das ergibt sich schon aus der nachfolgenden