Europarecht. Bernhard Kempen
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Die Grenzen der unionsrechtskonformen Auslegung sind sowohl im mitgliedstaatlichen Recht als auch im Unionsrecht verankert. Dabei muss bezüglich der absoluten Grenzen im nationalen Recht (Rn. 232 f.) und der relativen Grenzen aus dem Unionsrecht (Rn. 234 f.) unterschieden werden.
a) Absolute Auslegungsgrenzen des mitgliedstaatlichen Rechts
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Die Möglichkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte, das nationale Recht auszulegen, unterliegt den nationalen verfassungsrechtlichen Grenzen. Bezogen auf das deutsche Recht können hierfür v.a. die Grundsätze der verfassungskonformen Auslegung herangezogen werden. Dementsprechend leiten sich die Grenzen der unionsrechtskonformen Auslegung für das deutsche Recht aus der Gesetzesbindung in Art. 20 Abs. 3 GG, dem Gewaltenteilungsprinzip in Art. 20 Abs. 2 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG ab.
233
Im Hinblick auf die Gesetzesbindung darf eine Vorschrift somit niemals contra legem ausgelegt werden. Entscheidend für einen Verstoß gegen diese Bindung des Richters an das Gesetz ist dabei die Eindeutigkeit der Vorschrift. Er darf diese somit niemals gegen den eindeutigen Wortlaut, den eindeutigen Willen des Gesetzgebers bzw. den eindeutigen Sinn und Zweck der Vorschrift auslegen. Sollte eine unionsrechtskonforme Auslegung wegen dieser verfassungsrechtlichen Grenzen nicht möglich sein, könnte das Unionsrecht somit nur über einen Anwendungsvorrang seine rechtliche Wirkung entfalten.
b) Relative Auslegungsgrenzen des Unionsrechts
234
Grundsätzlich unterliegen die mitgliedstaatlichen Gerichte ausschließlich den nationalen verfassungsrechtlichen Auslegungsgrenzen. Regelungen, die auf der Transformation von Unionsrechtsakten beruhen, stellen jedoch abgeleitetes Unionsrecht dar, so dass für diese Normen ggf. auch unionsrechtliche Auslegungsgrenzen in Betracht kommen können. Diese Grenzen bestehen zum einen in den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Union: dem Vertrauensschutz, der Rechtssicherheit, dem Bestimmtheitsgrundsatz oder dem Rückwirkungsverbot. Zum anderen sind sie in dem Verbot einer sog. horizontalen Direktwirkung von umsetzungsbedürftigen Rechtsakten (z.B. einer Richtlinie) zu sehen.
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Gleichwohl stellen die unionsrechtlichen Auslegungsgrenzen – anders als die nationalen Grenzen – für den mitgliedstaatlichen Richter keine absoluten Auslegungsgrenzen dar. Würde eine unionsrechtskonforme Auslegung gegen die unionsrechtlichen Grenzen verstoßen, bestünde die rechtliche Folge vielmehr allein darin, dass der Richter von seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung befreit würde. Allerdings bliebe ihm weiterhin die Möglichkeit, eine nationale Vorschrift unionsrechtskonform auszulegen, wenn dieses Ergebnis von den absoluten Auslegungsgrenzen des jeweiligen Mitgliedstaates gedeckt wäre. Dementsprechend können die Grenzen des Unionsrechts als relative Auslegungsgrenzen des nationalen Richters bezüglich der Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung bezeichnet werden.
A › Auslegung des nationalen Rechts (Nico S. Schmidt) › II. Grenzen der Auslegungszuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte
II. Grenzen der Auslegungszuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte
236
Die Kompetenz der mitgliedstaatlichen Gerichte zur Auslegung des nationalen Rechts kann grundsätzlich nicht durch das Unionsrecht eingeschränkt werden. Gleichwohl kann die Interpretation mitgliedstaatlicher Normen die Auslegung unionsrechtlicher Normen erforderlich machen. Mit der Auslegung der Normen des EU-Rechts ist jedoch nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV der Gerichtshof der EU betraut. Die insoweit erfolgte notwendige Verzahnung zwischen unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Rechtsprechung wird in dem Begriff zum → Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV dargestellt.
A › Ausschluss (aus der EU) (Matthias Knauff)
Ausschluss (aus der EU) (Matthias Knauff)
II.Europarecht238 – 240
III.Völkerrecht241 – 243
Lit.:
F. Götting, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000; D. Hanschel, Der Rechtsrahmen für den Beitritt, Austritt und Ausschluss zu bzw. aus der Europäischen Union und Währungsunion –Hochzeit und Scheidung à la Lissabon, NVwZ 31 (2012), 995; G. Meier, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft, NJW 27 (1974), 391; A. Puttler, Sind die Mitgliedstaaten noch „Herren“ der EU? – Stellung und Einfluss der Mitgliedstaaten nach dem Entwurf des Verfassungsvertrages der Regierungskonferenz, EuR 39 (2004), 669; S. Schmahl, Die Reaktionen auf den Einzug der Freiheitlichen Partei Österreichs in das österreichische Regierungskabinett – Eine europa- und völkerrechtliche Analyse, EuR 35 (2000), 819; J. Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 7 (2004), 173.
A › Ausschluss (aus der EU) (Matthias Knauff) › I. Allgemeines
I. Allgemeines
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Die Frage nach der Möglichkeit des Ausschlusses eines Mitgliedstaates aus der EU gegen dessen Willen hat bislang keine praktische Bedeutung erlangt. Gleichwohl wird sie vor dem Hintergrund problematischer Entwicklungen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten gelegentlich thematisiert. Für ihre Beantwortung sind sowohl das Europa- als auch das Völkerrecht von Bedeutung.
A › Ausschluss (aus der EU) (Matthias Knauff) › II. Europarecht
II. Europarecht
238
Das → Primärrecht der EU enthält keine Regelungen über den Ausschluss eines Mitgliedstaates. Insbesondere ermächtigt die an eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der Grundwerte der EU i.S.v. Art. 2 EUV anknüpfende Regelung über die Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte in Art. 7