Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović

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Ein schönerer Schluss - Bekim Sejranović Transfer Bibliothek

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Das ganze Dorf fastet, du kannst nirgends auf einen Kaffee gehen. Du kannst dir nicht einmal eine Zigarette anstecken, alle schauen nur, dass keiner sich eine anzündet oder um Gottes willen etwas in den Mund steckt. Wie die CIA und der KGB zusammen. Da fehlt nur noch Tito. Alle reden irgendeinen Scheiß, ob nun so oder anders. Damals haben sie uns wegen der Religion verfolgt, mal durftest du nicht in die Moschee, mal durftest du nicht in die Kirche, mal dies, mal das. Ich fick ihnen die Mutter, den einen genauso wie den anderen.

      Hinter der Kasse rief seine Schwester, er solle still sein oder seinen Unsinn draußen verzapfen und nicht bei ihr im Laden.

      Ich fühlte mich in einen Fluss fallen, aus dem ich nicht mehr herauskommen würde.

      Salih ging für einen Augenblick hinaus. Er rief dem anderen jungen Mann im Blaumann etwas zu, der stieg in den Transporter, startete ihn und fuhr weg.

      – Lass uns nach hinten ins Magazin gehen und ein Bier trinken – sagte Salih, als er in den Laden zurückkam.

      Seine Schwester murmelte etwas vor sich hin, als wir durch den Laden zu einer Tür gingen, die zu einem kleineren, mit Schachteln, Tüten und Kisten vollgestellten Raum führte. Wir setzten uns jeder auf einen Kasten Bier. Er zog unter sich zwei „Tuzlanske“ hervor, öffnete eins mit dem Feuerzeug und reichte es mir, dann öffnete er das zweite, der Kronenkorken flog ans andere Ende des Lagers, er steckte den Mittelfinger in den Flaschenhals und zog ihn mit einem lautem „Plopp“ heraus. Er prostete mir zu und leerte die halbe Flasche auf einen Zug. Bier schmeckt mir nicht. Bier trinke ich nur im Sommer, wenn es heiß ist und das Bier kalt und man den Geschmack nicht spürt. Aber weder ich noch Salih tranken es wegen des Geschmacks.

       3.

      Wir rauchten. Wir tranken ein Bier nach dem anderen und gingen alle fünf Minuten auf die Toilette. Schon lange hatte ich mich nicht mehr betrunken, und es tat mir gut. Salih musste ich nichts fragen und ihm auf Fragen auch nicht antworten. Er erzählte von den Kriegsjahren, davon, wie er Hunger gelitten, wie er geschossen und wie er Angst gehabt hatte. Wie sie gemeinsam, er, die drei Brüder und der Vater, an die Front gegangen waren. Zu Hause die Mutter und zwei Schwestern. Und wie man ihnen nicht erlaubt hatte, zusammen an ein und dieselbe Stellung einzurücken, damit sie nicht alle auf einmal umkommen.

      – Aber, scheiß drauf, wenn die angreifen, wer fragt dich da, ob neben dir im Graben dein Bruder oder dein Vater oder sonst ein Arsch liegt.

      Und so habe er ein Auge verloren, sagte er und zeigte darauf. Auch ein kleines Stückchen vom Stirnknochen, aber das sähe niemand, weil alle nur auf das Auge sähen. Ich sah auf die mit einem dünnen, weißen Stück Gaze bedeckte Einbuchtung. Das weiße Gewebe war mit hautfarbenem Heftpflaster abgeklebt, damit es möglichst wenig auffiel. Aber man konnte genau sehen, dass darunter kein Auge war. Darunter gähnte ein Loch, vermutlich bedeckt von einer dünnen Hautschicht. Ich wollte ihn fragen, ob er es mir zeigt, aber ich hatte Angst. Später würde ich jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, dieses Bild vor mir haben. Etwas anderes machte mir aber noch mehr Angst. Was, wenn er die Gaze abnahm, mir das Loch zeigte und ich aufschrie, meine Augen zuhielte oder mich übergäbe. Oder noch schlimmer: Was sollte ich ihm sagen, wenn der Anblick in mir gar keine Gefühle auslöste? Ist echt cool, das Loch, steht dir ausgezeichnet. Jemand anders hätte vielleicht gesagt, er solle sich doch ein Glasauge einsetzen, aber ich wusste, dass er das nicht tun würde. Wer immer mit ihm spräche, würde nicht in sein gesundes, grünes Auge sehen, sondern in die starre Glaskugel.

      – Aber scheiß auf das Auge, du hast ein zweites – sagte Salih und fügte hinzu, dass dieselbe Granate seinen jüngeren Bruder umgebracht habe.

      – Erinnerst du dich an ihn? – fragte er.

      – Ich erinnere mich an ihn, wie sollte ich nicht – log ich.

      – Aber ja, wie solltest du nicht – sagte er und nahm einen großen Schluck.

      Salih erzählte, dass es vor ein paar Tagen zu einem unangenehmen Zwischenfall vor der Moschee gekommen sei. Es war der letzte Tag vor Beginn des Ramadan gewesen. Vor der Moschee hatte sich alles versammelt, was im Dorf kriechen kann, als plötzlich zwei Autos voller Bärtiger aus Karawlachi kamen. Ich fragte Salih, wer diese Bärtigen seien, er sagte, das sind Wahhabiten. Die leben jetzt in dem Dorf, wo früher die Karawlachen waren.

      – Auch sie waren zum Gebet gekommen. Die Leute ließen sie herein und sich verneigen, die Moschee gehört allen. Aber die fingen an sich zu verneigen, wie das bis dahin noch keiner gesehen hat. Ich weiß jetzt weder, wie sie sich verneigen, noch weiß ich, wie man sich verneigt, noch kümmert es mich, wie man sich verneigt. Aber jedenfalls haben die angefangen, die Beine irgendwie anders zu spreizen und sich auf den Boden zu werfen, als wären sie toll geworden. Am Schluss wollte ihr Oberbartträger auch noch eine Rede halten und fing davon an, dass sich alle wie sie verneigen und wahre Muslime sein müssten, ohne zu trinken und Sliwowitz zu brennen und dass die Frauen sich verhüllen müssten und solche Sachen. Na gut, soll sein … Aber da werden unsere Hornochsen wütend und werfen sie aus der Moschee, die Bartträger kommen gerade noch mit heiler Haut davon.

      Ich überlegte, wie mir ein Bart stehen würde.

      – Aber wenn es damit wenigstens vorbei gewesen wäre. Jetzt fanden sich auch bei unseren Leuten welche, die für die Bartträger waren. Und schon war das Dorf gespalten. Die einen sagen, was werden uns die einen Scheiß erzählen, wie man sich verneigt und fastet und wie sich mein Kind anziehen soll, und die anderen, dass uns all das Böse getroffen hat, weil wir alle sittenlos geworden und keine wahren Muslime mehr sind. Wie die Dinge stehen, müssten wir uns alle Bärte wachsen lassen und aufhören zu trinken und die Frauen sich verhüllen, damit es für uns wieder super wird. So wie es für die Bartträger super ist. Da sind sie, oben im Wald, allein wie die Bilche. Sie haben nichts zu essen, ihre Kinder gehen nicht in die Schule. Aber dafür wachsen ihre Bärte … Scheiß auf die Bärte. Die von den Tschetniks sind scheiße, aber die von den Wahhabiten sind gut. Kannst du mir das erklären?

      Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

      Ich sagte: – Scheiß auf die Bärte, was kümmern mich die Bärte.

      Er sah mich an und sagte:

      – Ich weiß, dass dir das scheißegal ist, dir war es ja auch scheißegal, als es hier geknallt hat. Aber mir, siehst du, mir ist es nicht egal. Mir ist es überhaupt nicht egal. Denn zum einen ist mein Alter Wahhabit geworden und trägt jetzt Bart, und zum anderen hat jetzt auch mein älterer Bruder angefangen, sich den Bart wachsen zu lassen und wie ein Verrückter im Koran zu lesen, und hat doch nie mehr geschafft als den halben Komandant Mark. Ich kann wegen denen zu Hause nicht mal ein Bier trinken. Jetzt hat Mutter auf ihre alten Tage angefangen sich zu verhüllen. Die andere Schwester hat sich auch an so einen Idioten verheiratet, dem reicht der Bart schon bis zur Hüfte, und sie geht schon seit einem Jahr nicht mehr aus dem Haus. Und dann kommst du mir mit „ist mir scheißegal“. Dann ist es dir eben scheißegal.

      Ich versuchte es mit Lachen, quasi alles nur Scherz, aber ich sah, dass den Scherz längst der Teufel geholt hatte. Ich hatte ihm nichts zu sagen, und er wollte auch nicht, dass ich ihm etwas sage. Ich konnte ihm zuhören, aber helfen konnte ich ihm nicht und noch weniger mir selbst.

      Ich faselte betrunken etwas von wegen, dass die Wahhabiten nicht besser seien, weil sie sich Bärte wachsen lassen, und dass das Böse, das Bosnien heimgesucht hat, nichts mit dem Verhüllen der Frauen zu tun habe. Gott hört dich auch nicht besser, wenn du in der Moschee auf Arabisch zu ihm betest, und nicht wie zu Hause auf Bosnisch.

      Ich wollte ihm sagen, dass es Gott genau genommen egal ist, ob du deinen Bart gestutzt

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