Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović

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Ein schönerer Schluss - Bekim Sejranović Transfer Bibliothek

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       1.

      Großvaters Hütte steht auf einer Anhöhe oberhalb einer schmalen Schotterstraße. Würde man diese Straße bergab in Richtung Norden gehen, dem Lauf des kleinen Flüsschens folgend, käme man zum Dorf M., wo ich mich mit dem Nötigsten versorge, dann zu noch einem Dorf und zu noch einem, um am Ende in die Save-Niederung zu gelangen, zu der Stadt, die auf der bosnischen Seite der Save liegt. Und würde man von der Hütte aus demselben Weg in die Gegenrichtung folgen, käme man zu einem Weiler, dessen unglückliches Schicksal es verdient, wenigstens flüchtig erwähnt zu werden. Hier endet die Straße.

      Man weiß nicht genau, wann, aber die Bewohner des Dorfes M. sagen, es sei vor urlangen Zeiten gewesen, „zu Kulin Bans Zeiten“, da sei ein rumänisch-walachischer Stamm, oder zumindest ein Teil davon, an den Fuß des Majevica-Gebirges in Nordostbosnien gelangt. Dort seien sie geblieben und hätten ein kleines Dorf gegründet. Die Leute hätten sie Karawlachen genannt, was so viel wie Schwarze Wlachen bedeutet, und viele Unwissende hätten sie als Roma angesehen. Aber mit den bosnischen Roma, die sich ebenfalls in mehrere Stämme aufteilen, hatten die Karawlachen nicht viel gemein. Sie sprachen eine andere Sprache, sie bettelten nicht, sie gaben sich mit keiner Art Schmuggel ab. Was sie unterschied, war zudem die Tatsache, dass sie Ackerbau und Viehzucht trieben, wohingegen für die Roma Ackerbau der Sklaverei gleichkommt. Man muss auch erwähnen, dass die Karawlachen Orthodoxe waren, im Unterschied zur Mehrzahl der bosnischen Roma, die Muslime sind. In ihrem Dorf erbauten sie eine kleine Kirche, und hinter ihr wuchs nach und nach ein Friedhof. Ende der Siebzigerjahre bekamen sie auch eine Schule. Zdravko Čolić gab ein Benefizkonzert, von dessen Erlös Schulsachen und Bücher angeschafft wurden. Den Karawlachen half das aber nicht dabei, sich ihre Herdplätze zu erhalten, nach Hunderten von Jahren verließen sie sie in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts für immer.

       2.

      Als Junge kam ich mit Großvater und Mutter oft auf unsere „Ranch“, wir blieben dort immer für mehrere Tage. Die Karawlachinnen konnte man oft sehen, wie sie in ihren bis auf den Boden reichenden bunten Plisseeröcken zum Einkaufen stramm den Weg ins Dorf hinunter marschierten. Sie trugen in Schnecken gelegte Zöpfe an beiden Seiten des Kopfes. Darüber trugen sie Tücher in grellen Farben, Gelb, Orange und Rot, die sie im Nacken banden, wie Piraten. Sie hatten stets dicke Knotenstöcke über ihrer Schulter, an deren hinterem Ende ein dickes Bündel baumelte. Darin trugen sie ihre Erzeugnisse ins Dorf, und zurück kehrten sie mit Lebensmitteln beladen, die sie dort gekauft hatten. Manchmal führten sie auch Pferde mit. Die waren zwar klein, fast kleiner als Esel, aber doch Pferde. Die Mähne, dicht und schwarz glänzend, tadellos gestriegelt, reichte ihnen fast bis zu den Knien. Gewöhnlich trugen sie Saumsättel, die mit allen möglichen Dingen beladen waren, und manchmal konnte man sehen, wie die Karawlachinnen sie im Damensitz ritten, so wie Frauen reiten.

      Die Männer sah man seltener, weil sie fast alle, wie man das damals nannte, „saisonal“ auf Arbeit in Deutschland waren. Sie trugen Hüte mit schmaler Krempe, hatten gezwirbelte Schnurrbärte und lange, spitz zulaufende Koteletten. Gewöhnlich trugen sie Anzüge, aber ohne Krawatten.

      Wenn in Deutschland Feiertage waren, zu Weihnachten oder Ostern, wurde der Weg, der an der Hütte vorbeiführt, zu einer belebten Autostraße. Den ganzen Tag über, aber auch nachts, dröhnte ein Mercedes, Ford Taunus, Opel Rekord und Volkswagenkombi nach dem anderen vorbei, vollgepackt mit allen möglichen Waren aus Germanien. Die Karawlachen lebten so: Die Männer arbeiteten im Ausland und die Frauen hüteten das Haus und zogen die Kinder auf. Alle sprachen mindestens drei Sprachen: das muttersprachliche Karawlachische, Serbokroatisch, wie man damals unsere Sprache nannte, und Germanski, wie die Karawlachen es nannten. Aber in der praktischen Anwendung waren sie nicht konsequent und beschränkten sich nicht auf eine Sprache. In ein und demselben Satz wechselten sie, wenn sie es brauchten, alle drei Sprachen, und das mehrere Male, oft ohne selbst zu wissen, welcher sie sich bedienten.

       3.

      Unsere „Ranch“, diesen zerfurchten Acker von siebeneinhalb dulum, hatte mein Großvater von einem gewissen Ibrahim gekauft, einem Trunkenbold, dem Bruder von Onkel Mujo, Großvaters Kriegskamerad bei den Partisanen. Ibrahim hatte das Geld rasch vertrunken und war kurz darauf gestorben. Großvaters Kriegskamerad Mujo, der Bruder dieses Ibrahim, hatte seine Äcker und Lichtungen oberhalb unserer „Ranch“. Er war ein großer, kräftiger und gesunder alter Mann, immer heiter und zu einem Scherz aufgelegt. Er erzählte, wie es eines Sommers haufenweise Schlangen und alles mögliche Ungeziefer gegeben und er in dem Jahr siebzehn Hornvipern erschlagen habe. Ein paar Mal brachte er eine tote Schlange mit und zeigte sie uns. Einmal erzählte er, wie er ein Bündel Ruten geschultert und es bergauf getragen und dabei geschwitzt habe, wie er aber plötzlich im Nacken etwas Eisiges verspürt habe. Als er das Rutenbündel abgeworfen hatte, war eine Hornviper herausgekrochen gekommen.

      – Ich ziehe sofort meine Axt, um sie mit dem flachen Stück zu erschlagen, aber ich konnte nicht. Du hast mir nichts getan, also tue ich dir auch nichts.

      Er passte auf unser Anwesen auf, wenn wir nicht da waren, und oft half er Großvater und beriet ihn in vielen Dingen: wann die Pflaumen spritzen, wie sie gegen die Nager schützen, wann sie düngen, wann sie pflücken und wie Sliwowitz brennen.

      Von den Karawlachen sagte er, das seien gute und ehrliche Leute, die er immer höflich grüße, und sie wünschten ihm einen „guten Tag“ oder ein „merhaba, Hausvater“, und er ihnen genauso zurück.

      – Aber – gab er Großvater noch den Rat – ladet sie nicht zu euch ein, auf einen Kaffee oder zum Essen, sie könnten sich daran gewöhnen, und ihr hättet keine Ruhe mehr vor ihnen. Den ganzen Tag werden sie bei euch um die Hütte herum sitzen, sage ich euch.

      Die Karawlachinnen saßen wirklich oft unterhalb der Hütte, wo der Bach fließt. Dieses Bächlein fließt durch unseren Acker und mündet in den Fluss, der sich zum Dorf hin schlängelt. Im Sommer, wenn Dürre herrschte, konnte sogar der Fluss trockenfallen, aber unser kleiner Bach führte immer Wasser. Er hieß bei uns „lebendiges Wasser“ und man konnte davon ohne Abkochen trinken. Großvater hatte ein Metallrohr angebracht, und so sah es aus wie ein Brunnen. Deshalb setzten sich die Karawlachinnen oft her zu einer Rast, labten sich am Wasser und setzten ihren Weg fort. Großvater störte das nicht, aber Mujo runzelte die Stirn. Er sagte, er habe einmal eine Karawlachin dabei erwischt, wie sie direkt neben dem Bach geschissen habe. Der Dreck habe noch gedampft, sagte er. Dann habe er sie gezwungen, ihren Dreck aufzusammeln, egal wie und womit. Sie habe mit weinerlicher Stimme gesagt: – Wie, Hausvater? Ich habe nichts, womit.

      – Wie?! Was weiß ich, wie? Mit den Händen, da hast du, wie! – Und sie habe den Dreck auf den Händen weggetragen.

      Es stimmte nicht, dass sie sich daran gewöhnt hätten wiederzukommen, wenn man sie nur einmal auf einen Kaffee einlud. Manchmal wollten sie gar nicht kommen, sie redeten sich heraus, dass sie es eilig hätten, obwohl sie es genau genommen nirgendwohin eilig hatten.

      Die Karawlachinnen gingen langsam, gebeugt von der Last, ohne Kraft zu verschwenden, denn bis zum Dorf und zurück ist es weit, an die fünfzehn Kilometer. Wenn sie sich unserer Hütte näherten, grüßten sie schon von Weitem:

      – Oh, Hausvater, einen guten Tag, merhaba, seid Ihr gesund?

      Zu Majka sagten sie: – Wie geht es dir, hanuma, bist du früh auf den Beinen? Hört dein Kleiner auf dich?

      Dann sagte Majka jedes Mal, dass ich ihr Enkel sei.

      Großvater und Majka luden

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