Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović

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Ein schönerer Schluss - Bekim Sejranović Transfer Bibliothek

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Ähnlichkeit mit Geschichten hatten. Es schien, als wäre es mir gelungen, die Stimmen aus dem Kopf auf das Papier zu bannen.

      Als der Dauerregen einsetzte, setzte ich auch mal einen Fuß vor die Tür und begann meine Wanderungen über die umliegenden Berge. Es war schlammig und mühsam zu gehen. An manchen Stellen sank ich bis zu den Knöcheln in die klebrige Erde ein, aber es gibt nichts Schöneres, als bei Regen im Wald zu wandern. Du hörst, wie es rieselt und wie die Tropfen auf die schon welken Blätter fallen und langsam herabrinnen und auf dem weichen Waldboden aufschlagen, und du siehst, wie hier und da ein Blatt fällt und wie dünne Rinnsale die Kerben in der Eichenrinde hinunterfließen. Alles andere ist verstummt, kein Käfer summt, kein Vogel zwitschert, kein unsichtbares Tier raschelt. Alle haben sich in ihre Verstecke, Nester und Höhlen zurückgezogen, gemeinsam mit dem Wald haben sie sich dem Herbstregen überlassen.

       2.

      Ich ging auch deshalb gern im Regen spazieren, weil ich mir sicher war, auf den umliegenden Äckern und Lichtungen keinem Bauern oder Hirten zu begegnen. Früher konnte man sie den ganzen Tag einander von Berg zu Berg zurufen hören. Dann versuchte ich zu enträtseln, was sie einander zu sagen hatten, aber ohne Erfolg. Alles, was ich hörte, war ein lang gezogenes, unartikuliertes eeeooooo, das zuerst vom einen Berg zu hören war, und dann ein oooooeee vom anderen. Vielleicht bedeutete das viel mehr, als ich erahnen konnte. Aber vielleicht bedeutete es auch nichts.

      Die Hütte liegt acht Kilometer vom Dorf entfernt. Ein staubiger, ausgewaschener Schotterweg führt am Flüsschen entlang, das irgendwo oben in den Bergen entspringt. Zum Dorf runter fuhr ich, wenn ich Lebensmittel brauchte, etwa einmal die Woche. Ich habe einen 37 Jahre alten, klapprigen Käfer, der diesen Weg problemlos schafft. Als ich das erste Mal mit dem Käfer durchs Dorf fuhr, sprangen die Jungs, die auf der Straße Fußball spielten, flink zur Seite und fingen an zu glotzen und zu grinsen und mit dem Finger auf das Auto zu zeigen. Einer schrie: – Daaa, sieh mal, ein Fićo! – Die anderen griffen das auf: – Fićo, Fićo! – machten sie sich lustig und schnitten Grimassen. Ich parkte vor dem kleinen Laden gegenüber der Moschee und ging hinein. Hinter dem Pult stand ein Mädchen, das nicht mehr als achtzehn oder neunzehn sein konnte. Sie war dunkelhäutig und hatte hellgraue Augen. Ihr Haar war schwarz, lang und dicht, nach hinten gekämmt. Sie hatte eine hohe Stirn. Für einen Augenblick blieb ich stehen und sah ihr zu, wie sie eine alte Frau in Pluderhosen bediente. Dann nahm ich das Notwendigste: Mehl, Öl, Eier, Paprika, Tomaten, Nudeln, Reis und noch was. Sie sah mich kurz an, während sie sagte, was alles zusammen kostet.

      Ich ging hinaus, und um den Käfer drängten sich die Kinder. Gegenüber, auf der Bank vor der Moschee, saßen die Alten, fünf an der Zahl. Sie blinzelten in die Sonne und sahen mir wortlos nach. Drei von ihnen hatten dunkelblaue Barette auf dem Kopf.

       3.

      Als ich zur Hütte zurückfahre, beginnen die Stimmen und Bilder im Kopf wie Mühlsteine zu rotieren. Ich sehe meine Ex und ihren Sohn, wie sie zusammen weinen, der Kleine sieht mich mit seinen blauen Augen an. Da sind auch Cathrine mit ihren vollen Lippen und ihrem besorgten Beschützerinnenlächeln und ihre Tochter, die kichernd und ungeschickt, aber frech, mit Zeigefinger und Daumen ihre Brustwarzen zwirbelt.

      Ich gebe Gas, das Auto macht auf dem holprigen Weg einen Satz. Mir kommt vor, als würden mich die Dorfkinder jagen und drohend grinsen und schreien: – Fićo, Fićo! – Die Alten sitzen auf der Bank und nicken zustimmend, verziehen die trockenen Münder und entblößen die zahnlosen Unterkiefer. So dahinrasend stoße ich fast mit einem alten weißen Mercedes zusammen, der um die Kurve kommt. Beide bremsen wir abrupt. Wir können nicht aneinander vorbei, weil der Weg zu schmal ist. Der Mercedes zeigt nicht den geringsten Willen zurückzustoßen, also tue ich es. Als mich das Auto passiert, sehe ich auf dem Fahrersitz einen finster blickenden Mann von gut vierzig Jahren mit brustlangem Bart. Der Bart ist unordentlich und ungestutzt. Ich zucke kurz zusammen. Ich winke ihm, wie es ja üblich ist, wenn zwei Autos einander auf einem schmalen Weg begegnen, aber er sieht mich nicht an. Auf dem Rücksitz sitzen zwei verhüllte Frauengestalten. Der Bärtige gibt Gas und verschwindet die schlammige Straße hinunter.

      Nachdem ich schon einige Tage in der Hütte verbracht habe, sehe ich denselben Mercedes und dieselbe bärtige Gestalt mehrere Male von der Veranda aus. Später kommen andere Autos vorbei, auch Kombis, und alle Fahrer haben lange Bärte.

      VIII

       1.

      Der Herbst zog sich in die Länge und tränkte die Erde unbarmherzig mit Regen, die Bäche tosten zu Tal und ergossen sich in den Fluss, der mächtig angeschwollen und trübe geworden war und alles mit sich trug. Ich wanderte in Großvaters alten Bergmannsstiefeln durch die umliegenden Wälder und horchte auf den Wind, wie er das welke Laub von den Zweigen riss. Nachts schlief ich schlecht, sodass ich las oder, seltener, schrieb. Da das elektrische Licht die ganze Zeit über an- und ausging, benutzte ich eine Paraffinlampe. Wenn ich die anzündete, wurde es in der Hütte auch wärmer. Alles nahm eine dunkle, rötliche Farbe an, jeder Gegenstand bekam einen länglichen Schatten. Ich warf ein paar Buchenscheite in den alten Bullerofen und schloss die Ofenklappe. Zuerst war es still. Dann hatte die Flamme das Holz erfasst, und der Ofen begann zu bullern.

      Es brauchte nicht viel Verstand, um zu wissen, dass nach einem solchen Regen der Schnee kommen und es unmöglich sein würde, das Dorf mit dem Auto zu erreichen, und zu Fuß nur sehr schwer. Ich brauchte Tourenskier. Eines Tages setzte ich mich ins Auto, bereit, wenn nötig, bis Sarajevo zu fahren und mir welche zu besorgen. Nach vier Tagen kehrte ich mit neuen Tourenskiern, Marke Fischer, zur Hütte zurück. In Sarajevo hatte ich zwei Tage warten müssen, bis die Bindung montiert war. Ich hatte auch ein Paar ganz solide Skischuhe ergattert.

       2.

      Oslo, vor zwei Jahren. Ich sitze seit Tagen in meinem Zimmer am Fenster und sehe auf die Straße hinaus. Jeden Tag denke ich darüber nach, was ich tun könnte. Ich habe noch etwas Erspartes. Ich kann das Zimmer für zwei Monate im Voraus bezahlen, und es bleibt mir noch genug fürs Essen und ein paar Mal Ausgehen und Besaufen. Ich kann mir zehn Gramm Haschisch kaufen und noch mindestens eine Woche am Fenster verbringen und mich einrauchen. Zwischen jedem Joint einen Porno ansehen, onanieren, dann ein Buch lesen, ein bisschen Futter einschmeißen, aus dem Fenster sehen, daran denken, dass es am einfachsten wäre zu sterben. Aber auch das hat keinen Sinn. So sinnlos einem das Leben auch erscheint, der Tod ist noch sinnloser. Dann drehe ich mir einen neuen Joint und komme, während ich im Bett liege und rauchend an die Decke starre, zum Schluss, dass mir weder das eine noch das andere, weder das Leben noch der Tod, übertrieben zusagt.

       3.

      Ich kaufte kein Haschisch. Am fünften Tag, nachdem ich das Zimmer bezogen hatte, war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Stirb oder lebe, verdammt noch mal, sagte ich zu mir. Ich stand auf und fühlte mich gut. Ich duschte, rasierte mir den Fünftagebart ab und zog meine besten Klamotten an.

      – Und jetzt gehen wir hinaus unter die Menschen, hinaus in den Regen, scheiß auf den Regen, soll es regnen, du bist nicht aus Zucker, du wirst nicht dahinschmelzen, wir gehen uns eine Arbeit suchen, ein Mädchen, ein bisschen leben, scheiß auf dieses transusige Geseufze, diese pathetische Trauer, diese Nostalgie, die nichts anderes ist als eine Ausrede für deine Faulheit, scheiß drauf, Mann, du bist noch nicht tot. Sterben wirst du so oder so, wozu die Eile?

      So sprach die bekannte Stimme im Kopf, die Stimme, die mich oft antreibt, mich aus der Apathie zu erheben, die Stimme, die

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