Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović

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Ein schönerer Schluss - Bekim Sejranović Transfer Bibliothek

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Stimmen verfolgen mich, seit sie mich verlassen hat. Ich hatte es noch ein paar Monate in Oslo ausgehalten, wo ich an der Uni arbeitete, aber dann hatte ich gegen Ende des Wintersemesters den Rucksack gepackt, das ganze Geld vom Konto abgehoben und war nach Brasilien geflüchtet. Ich irrte eine Zeit lang ohne bestimmtes Ziel umher, um mich nach ein paar Monaten in Morro do São Paolo im Norden des Landes einzunisten. Dort verliebte ich mich in ein Mädchen, das so etwas wie eine Doppelgängerin meiner Ex war. Als ich sie zum ersten Mal sah, konnte ich es kaum glauben. Die gleiche hohe Stirn, die gleichen frechen Augen, die vollen Lippen, der biegsame Körper, der sich im Takt der Musik bewegt, und der gleiche magere, fast nicht vorhandene Hintern. Nur dass sie eine Schwarze war. Wir liebten uns über zwei Monate, und die Stimmen in mir verstummten. Schon fing ich an zu fantasieren, sogar zu planen, für immer auf der Insel zu bleiben. Ich sah schon einen Haufen dunkelhäutiger Kinder vor mir, wie sie einander auf den endlosen Sandstränden jagen. Und dann kam sie eines Tages ganz verweint an und sagte, sie müsse weiter. Sie erklärte mir unter Tränen, die aufrichtig zu sein schienen, dass ihr Mann im Gefängnis sitze und sie sich um ihre drei Kinder kümmern müsse, die in einem kleinen Städtchen im entlegenen Mato Grosso bei ihrer Mutter auf sie warten. Ich begriff nichts, ich versuchte sie mit Küssen und sanften Worten in schlechtem Portugiesisch zu beruhigen. Am Ende wurde sie von Hysterie gepackt, sie fing an zu schreien, wie widerlich Brasilien und wie dumm ich sei und dass ich dorthin verschwinden solle, woher ich gekommen bin. Als sie sich beruhigt hatte, verlangte sie Geld. Ich gab ihr, so viel ich hatte. Sie küsste mich, bedankte sich und ging.

      Danach waren die Stimmen in meinen Kopf wieder da, und ich kehrte, nach weiteren Monaten des Umherirrens in Brasilien, nach Oslo zurück. An der Uni erwartete mich die Kündigung, weil ich mehr als ein halbes Jahr gefehlt und mich bei niemandem gemeldet hatte. Vielleicht hätte sich etwas machen lassen, Professor Pettersen, mein Mentor, mochte mich, aber es hatte keinen Sinn. Ich wusste, dass ich bei der ersten Gelegenheit, sobald ich genügend Geld zusammenhätte, wieder verschwinden würde.

      Bis zum Herbst hielt ich es in Oslo irgendwie aus, zumeist den ganzen Tag arbeitend. Wenn es Arbeit gab, als Übersetzer, und wenn es keine gab, als Bauarbeiter. Im Herbst packte mich wieder die Unruhe, und so ging ich erneut weg, zuerst nach Kroatien, dann nach Bosnien. Ich dachte auch daran, wie es wäre, mich in die Save zu stürzen und einfach zu verschwinden, aber das ist nicht leicht. Dabei bin ich ausgerutscht und in den schlickigen Fluss gefallen.

       3.

      Damals, vor zwei Jahren, ließ ich die Save hinter mir. Ich ließ das Haus und die Straße und das Viertel hinter mir, in dem ich Kind gewesen bin, und mir selbst näher als zu irgendeinem Zeitpunkt danach. Ich ließ die zerfallenen Mauern hinter mir, die verdorrten Gärten, die Grabsteine und Gräber auf den ausgewaschenen Fluren.

      Nach meinem Sturz in die Save verspürte ich immerhin eine vage Hoffnung. Ein armseliges, schwaches Flämmchen begann in mir zu glimmen. Ich wusste noch nicht genau, was ich tun würde, auch nicht wie, aber für den Anfang streifte ich mir die nassen Sachen vom Leib und zog mich um, setzte mich in Großvaters „Grünen Heinrich“, unseren Zastava 101, und fuhr in Richtung Split. Den Grünen Heinrich hatte mir Großvater im Testament hinterlassen. Kurz vor Mostar blieb er stehen und wollte nicht mehr. Daraufhin ließ ich ihn stehen, die Schlüssel im Zündschloss, marschierte mit dem Rucksack auf dem Rücken die Straße hinunter und versuchte es per Anhalter. Natürlich hielt niemand. Auf dieser Straße fahren die Leute wie die Verrückten.

      III

       1.

      Vorm Morgengrauen werde ich plötzlich wach, nass vor Schweiß. Im ersten Moment begreife ich nicht, wo ich bin, mein Herz im Brustkorb hämmert feindlich. Die Reste des Traums tanzen noch ausgelassen in Großvaters Hütte, ich stehe rasch auf, ziehe den Vorhang weg, um etwas Helligkeit ins Zimmer zu lassen. Durchs Fenster dringt bleiches Licht, es reicht nicht aus, um die Schrecken des Traums zu verscheuchen.

      Der Traum: Ich bin ein böser Geist. Mich jagen drei gute Geister. Wir fliegen wie Kometen durch ein großes Gebäude, das mich an meine Grundschule erinnert, „Nationalheld Zaim Mušanović“. Sie jagen mich, wie wütende Jäger die Beute jagen, die ihnen schon viele Male um ein Haar entkommen ist. Ich weiß, wenn sie mich fangen, ist alles vorbei. Während wir wütend durch die langen Korridore fliegen, die Treppen rauf und runter, durch die bekannten Schulräume, drohen sie und sagen mir, was mich alles erwartet, wenn sie mich zu fassen kriegen, aber ich schneide nur Grimassen und beschimpfte sie mit allem, was mir einfällt. Einer folgt mir wie ein Pfeil zum geschlossenen Fenster; ich drehe abrupt ab und er knallt gegen die Scheibe. Ich öffne das Fenster, stoße den guten Geist hinaus, dann schließe ich es wieder und zische wie ein Geschoss durch die Aula, wo wir einmal neben dem Tito-Bild Ehrenwache gehalten haben. Die anderen beiden guten Geister krümmen sich vor Schmerz und Wut. Sie schreien und heulen, fluchen, speien Gift und Galle. Ich heiße sie alles Mögliche, aber ich spüre Angst in mir aufsteigen, Panik, die meinen immateriellen Körper überkommt, und plötzlich weiß ich, dass ihre Drohungen nicht leer sind, dass sie sich früher oder später bewahrheiten werden.

      Solche Wachträume suchen mich gewöhnlich heim, wenn ich aufhöre, Haschisch zu rauchen. An die zehn Jahre habe ich jeden Tag geraucht, mit kurzen Unterbrechungen. Manchmal habe ich aufgehört, weil ich keinen Nachschub kriegen konnte, und manchmal, um einen klaren Kopf zu kriegen. In den letzten Jahren habe ich, wann immer ich mit dem Rauchen aufgehört habe, nachts geschwitzt. Dieser Schweiß ist klebrig und hat einen süßsäuerlichen Geruch. Du träumst nicht, wenn du rauchst. Wenn du aufhörst, kommen die Träume zurück.

       2.

      In jenem Oktober vor zwei Jahren flog ich zurück nach Oslo. Im Flugzeug bemühte ich mich, den Menschen um mich herum nicht ins Gesicht zu sehen, nicht ihre Stimmen zu hören; mich interessieren ihre traurigen Geschichten nicht, wie sie den Urlaub verbracht haben, wie viel sie für ihre Unterbringung bezahlt haben, und wie viel für die Kalmare vom Grill in einer Konoba auf Hvar. Ich nehme ein Bier, öffne es und schütte die halbe Dose einem jungen Norweger über die Hose, der neben mir sitzt und sich bis eben noch begeistert mit seinem Mädchen unterhalten hat. Sie ist ungesund mager, mit Einlagen im BH und kleinen roten Pickeln im Gesicht, die sie erfolglos unter Puder zu verstecken versucht. Der junge Mann sieht mich überrascht an, dann böse. Er beginnt mit der Hand den Schaum von der Hose zu wischen und flucht laut im nordnorwegischen Dialekt. Ich schweige und sehe ihn an, wie der Mensch eine Nisse ansieht, die ihm einen halben Liter Blut abzapft, bevor sie sich in eine Laus verwandelt. Ich nehme einen Schluck Bier, dazu ein Valium, und drehe den Kopf zur anderen Seite.

      Bevor ich in die Seligkeit der Bewusstlosigkeit sinke, denke ich noch, dass es das Beste wäre, wenn das Flugzeug abstürzen würde, sobald ich eingeschlafen bin. Irgendwo in den Alpen, wenn möglich.

       3.

      Ich wache auf, bevor das Flugzeug auf dem Flughafen Gardermoen landet, fünfzig Kilometer von Oslo entfernt. Mich durchströmt eine Welle der Angst, deren wahre Quelle ich nicht kenne, die mir aber nur zu gut bekannt ist. Es war immer so: Diese Angst war immer da, diese Unzufriedenheit mit mir und dem Rest der Welt.

      Es war eigentlich tragikomisch. Wenn ich in Norwegen war, ging mir alles auf die Nerven: die norwegische Musik und ihre Musiker, die Literatur und ihre Schriftsteller, die Schlagzeilen der Zeitungen, die Fernsehnachrichten, die norwegische Sprache und alle Dialekte, die norwegische Geschichte, Geografie, Natur, Berge und Fjorde, die endlosen dunklen nordischen Winter, die endlosen Sommertage, die norwegischen Gesetze, die Regierung, der König, die Königin, Prinz und Prinzessin, die Menschen auf der Straße, langweilige, altkluge

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