Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović
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Ich spüre kaltes Wasser im Gesicht, jemand besprengt meine Wangen, langsam komme ich zu mir. Über mir nicken ein paar Köpfe bedeutungsvoll, zufrieden, dass sie Zeuge eines „nicht alltäglichen“ Ereignisses sind, glücklich, endlich etwas erlebt zu haben. Ich ergreife die Hand, die mich besprengt, sie gehört der älteren Verkäuferin in dem Kiosk, vor dem ich zusammengebrochen bin. Auf ihrer linken Brust hat sie ein Namensschild, auf dem steht: Cathrine. Cathrine ist eine Blondine, sie hat die Frisur von Ljupka Dimitrovska und murmelt besorgt etwas im südnorwegischen Dialekt. Zuerst denke ich, dass sie mir etwas sagen will, aber dann beugt sie sich vor, schlenzt ihre Brüste über meine Nase, besprengt meine Wangen, und ich kapiere, dass sie mit sich selbst spricht. Ich schiebe ihre Hand weg, und das Einzige, was ich herausbringe, ist:
– Zucker, geben Sie mir etwas Zucker …
Sie erhebt sich, geht zu ihrem Kiosk und nimmt eine Cola aus dem Kühlschrank.
Nachdem ich etwas von dem gezuckerten Sprudelwasser getrunken habe, stehe ich auf, und die Menschen um mich herum gehen auseinander. Die Vorstellung ist zu Ende. Cathrine kehrt hinter das Pult in ihrem Kiosk zurück, ein Mann wartet schon ungeduldig, er will seine Zeitung bezahlen.
Nach ihm gehe ich zu ihr, bedanke mich für ihre Hilfe, ich möchte die Cola bezahlen, sie winkt sofort ab, sagt, das sei nichts, sie habe sich Sorgen gemacht, sie habe mich schon von Weitem taumeln gesehen. Ich nehme endlich den Blick von ihren Brüsten und sehe ihr in die Augen. Unter der gut fünfzigjährigen gestylten Maske sieht mich ein trauriges Mädchen an. Ich kenne solche Blicke und, um ehrlich zu sein, ich habe immer Angst vor ihnen gehabt.
Ich bedanke mich, nehme den Rucksack auf den Rücken, drehe mich um und gehe ins Freie.
Als ich draußen bin, fällt mein Blick auf die Titelseiten der Zeitungen.
„Prinzessin Mette-Marit die Eleganteste auf dem Ball“, „Sparen Sie 1.000 Kronen beim Strom“, „Vierzig Tote im Irak“, „Big Brother – Kristine hat sich die Brust operieren lassen“ …
3.
Ich setze mich in den Zug und fahre in die Stadt, steige in Oslo Sentralstasjon aus, verlasse das Bahnhofsgebäude und bleibe erst einmal stehen. Es ist Abend, die Neonreklamen gehen an und aus, die Straßenbahnen surren und klingeln, an den Ampeln wechseln Rot, Gelb und Grün, wie auf Kommando gehen die Menschen los und bleiben stehen, treffen aufeinander und gehen wieder auseinander, sie kommen von ihren langweiligen Geschäften, streben ihrem Zuhause entgegen, gehen die Kinder vom Kindergarten abholen, setzen sich mit auf die Schnelle zubereitetem Essen an Tische, sprechen über ihren Tag, bringen die Kinder ins Bett, schalten die Fernseher ein, warten auf ihre Lieblingsserie, schlafen.
Links vom Hauptbahnhof erstreckt sich die Plata, eine weitläufige Wiese, auf der sich die Fixer versammeln. Sie hängen in kleinen Gruppen herum, bilden größere, gehen wieder auseinander, organisieren Ware, wechseln Flüche und für sie wichtige Informationen, fordern aggressiv Geld von den Vorübergehenden, zoffen sich mit der Polizei, die sie von Zeit zu Zeit auseinandertreibt.
Ich begebe mich in die dunkle U-Bahn-Station und erwische den Zug in den Osten Oslos, nach Tøyen.
V
1.
Damals, vor zwei Jahren, als ich mit der Metro nach Tøyen fuhr, presste ich die letzten Tropfen Optimismus aus mir heraus. Ich versuchte zu denken, dass alles noch gut werden könne, dass man von vorne anfangen müsse, dass die Menschen alles Mögliche erleben, dass sie fallen und wieder aufstehen, dass man nicht aus allem ein Drama oder eine Tragödie machen muss. Was zum Teufel bildest du dir ein? Glaubst du, dass es nur dir schlecht geht, dass sich die ganze Welt nur deinetwegen dreht? Das glaubst du? Genau wie dein Alter immer gesagt hat.
2.
In Tøyen steige ich aus und gehe die Hagegata hinauf. Drei junge Somalierinnen kommen mir entgegen. Eine ist verhüllt und trägt einen Schleier vor dem Gesicht, die anderen beiden sind in Jeans gezwängt und stechen ihre hohen Stöckel in den Gehsteig. Sie lachen und wedeln mit den Armen in der Luft. Auf dem Tøyen-Platz sitzen zwei unnatürlich magere, junge Männer auf einer Bank. Einem fällt der Kopf auf die Brust, der andere starrt auf etwas, das er in der halb offenen Faust hält. Der erste hebt den Kopf für einen Moment, flucht, dann fällt sein Kopf wieder nach vorn.
Ich komme zu Nummer 52. Neben einer der Klingeln finde ich Egils Nachnamen: Johansen. Ich läute. Eine Stimme antwortet, ich sage meinen Namen, und die Tür wird geöffnet. Ich gehe hinein und steige die Holztreppe in den zweiten Stock hinauf. In der offenen Tür steht Egil und begrüßt mich herzlich. Es gibt kein Küssen und Umarmen wie auf dem Balkan.
Da unten musst du dich mit Leuten küssen, die du jeden zweiten Tag siehst. Mit Mädchen könnte ich das noch irgendwie ertragen, aber mit Männern geht mir das echt auf den Keks. Am schlimmsten sind die, die noch beleidigt sind, wenn du sie ihrer Meinung nach nicht leidenschaftlich genug abknutschst. Und dann musst du auch noch genau darauf achten, ob du jemanden zwei oder drei Mal küsst, und es gibt auch solche, die empfindlich darauf reagieren, auf welche Wange du ihnen den ersten Kuss gibst. Ich habe wegen dieser Küsserei mehrere Menschen verloren, von denen ich geglaubt hatte, dass sie meine Freunde sein könnten.
Egil ist hager und groß gewachsen. Er redet weder viel, noch zeigt er Gefühle auf laute Art und Weise. Würde er einen Hut aufsetzen, könnte er einen sehr hageren Clint Eastwood abgeben. Er ist zehn Jahre jünger als ich, vor ein paar Jahren hat er bei mir an der Universität in Oslo Jugoslawische Literaturen gehört. So haben wir uns kennengelernt. Manchmal haben wir uns zusammen einen Joint angesteckt oder sind nach der Vorlesung auf ein Bier gegangen. Ich machte ihn mit Zigeunermusik bekannt, die gefiel ihm sehr. Jetzt, erzählt er, studiere er Arabisch und arbeite als DJ in verschiedenen Klubs in Oslo. Er spielt arabische, afrikanische und zigeunerische Sachen, angereichert mit elektronischen Beats.
Er sagt, dass eines der Zimmer in einer Woche frei sein werde und dass ich, wenn ich wolle, einziehen könne. Bis dahin könne ich im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen. In der Wohnung gebe es, außer ihm, noch zwei junge Männer. Einer der beiden