Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović

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Ein schönerer Schluss - Bekim Sejranović Transfer Bibliothek

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und von der Politik gar nicht zu reden.

      Gleichzeitig war alles, was mit dem Balkan zu tun hatte, quasi ideal: Die Menschen sind direkt, warmherzig, rebellisch, sie haben nicht diesen norwegischen Schafsgehorsam, dich engt nicht dieses Spinnennetz aus Vorschriften ein, es herrschen Trägheit, Lässigkeit und Chaos, eine fruchtbare Zigeunerei, die gerade so, wie sie ist, mit all ihren schlechten Seiten, einem menschlichen Wesen doch näher steht als eine metallisch kühle, perfekt organisierte und in jedem Detail pedantisch kontrollierte Gesellschaft. Chaos ist Leben, überlegte ich in einem meiner gemieteten Zimmerchen im Osten Oslos. Ich zündete mir einen Joint nach dem anderen an und kam zu dem Schluss: Das Chaos perfektionieren bedeutet, nach dem Nichts zu streben. Ich hörte balkanische, orientalische oder afrikanische Musik, las Bücher in „unserer“ Sprache, kaufte Zeitungen, verfolgte die Nachrichten.

      Es war viel Wahres an meinem Herumgefurze, aber es zwang mich niemand, in Norwegen zu bleiben. Ich konnte auf den Balkan zurückkehren. Und es war ja nicht so, dass ich es nicht versucht hätte, aber gerade in solchen Momenten hatte meine innere Maschine einen Verreiber. Wenn ich nach Kroatien, Bosnien, Serbien, Montenegro, Mazedonien fuhr, kriegte nach den ersten Wochen, in denen ich Freunde traf und auf ausgelassene Partys ging, alles ein anderes Aussehen. Das zerklüftete Norwegen ebenso wie der bergige Balkan. So erwachte ich eines Morgens in Rijeka, Split, Zagreb, Sarajevo, Mostar, Tuzla, Belgrad, Novi Sad, egal, zumeist verkatert, ausgepumpt, mit einem durch irgendeine Droge eingeschränkten Bewusstsein, und plötzlich stellte sich alles auf den Kopf. Mich überkam eine Mischung aus Ekel und Panik, ein Gefühl völligen Versagens. Nach zwei Wochen verzog ich mich in die Einsamkeit, hörte norwegische Musik, las Bücher auf Norwegisch, und wenn ich mich doch einmal betrank, fing ich an, über die Schönheit der norwegischen Natur zu philosophieren, über ihre elaborierte Kultur, ihre entwickelte Demokratie, den Klassenfrieden und all den anderen Kram.

      Der Schluss des Traums: Die beiden übrig gebliebenen guten Geister holen mich ein, ich spüre ihre Wut, ich höre ihr geiferndes Knurren, schon strecken sie ihre hässlichen Greifer nach dem dünnen, gasförmigen Schweif aus, den ich hinter mir herziehe, während ich so schnell ich kann die Richtung ändere. Ich werde müde, ich fühle meine Kräfte nachlassen, vielleicht habe ich auch verdient, womit sie mir drohen, vielleicht würde ich sogar anhalten; aber dennoch würde ich gern wissen: weshalb? Das alles ist nur deshalb so schrecklich, weil ich nicht dahinterkomme, weshalb ich ein böser Geist bin und sie die guten, weshalb ich der Fliehende bin und sie die Verfolger, weshalb ich Angst habe und sie stark und hochmütig sind. Wir fliegen weiter, ich erkenne die Räume und das Gebäude nicht mehr, wir kommen ganz nach oben, ich fliege aufs Dach hinauf, dort ist ein großer Schornstein, und ich habe das Gefühl, dass ich mich hier vielleicht für einen Moment verstecken und ausruhen könnte. Ich husche unhörbar in ihn hinein, fliege durch dichtes rußiges Dunkel. Dann wache ich schweißgebadet auf.

      Voller Grauen begreife ich, dass diese Welt nur ein finsterer Schlot ist, in dem ich mich für einen Moment vor den Verfolgern verborgen halte.

      IV

       1.

      Ich erinnere mich, wie ich aus dem Flugzeug steige, dumpf vom Valium gehe ich gähnend durch die Passkontrolle. Über meine Wangen rinnen Tränen. Der Polizist grüßt freundlich, sieht in den roten norwegischen Pass, fragt, woher ich komme, ich antworte schleppend, durch die Nase. Er haut den Stempel auf eine freie Seite und sagt: – Willkommen zu Hause! – Ich sehe ihn verwundert an, auf seinem Gesicht suche ich nach Spuren von Sarkasmus, aber es ist aufrichtig und gerötet. Ich schlurfe weiter, nehme das Gepäck, einen alten blauen Rucksack, den ich vor langer Zeit einmal in der Wäscherei im Studentenheim in Oslo habe mitgehen lassen, und suche den Ausgang. An der Zollkontrolle stehen ein Polizist mit Hund, dessen Rasse ich nicht mit Sicherheit bestimmen kann, und eine Polizistin, jeder auf einer Seite des Durchgangs. Der Hund beschnuppert die Leute, wenn sie vorbeikommen. Als ich näher komme, wird er sichtlich aufgeregt, beginnt mit dem Schwanz zu wedeln und mich zu umkreisen. Ich denke doch, dass es sich um einen Labrador handelt. Die Polizistin fragt, ob ich mit ihr in einen Raum auf der rechten Seite kommen würde. Ich setze mich wortlos in Bewegung. Sie bittet mich, mein Gepäck auf den Tisch zu stellen und den kleinen und den großen Rucksack zu öffnen. Sie fragt mich, ob ich wisse, weshalb sie mich angehalten hat. Ich sage, ich weiß.

      – Weißt du, was das für ein Hund ist?

      – Ich weiß.

      – Weißt du, weshalb er auf dich reagiert hat?

      – Vielleicht, weil ich in diesem Rucksack bis vor Kurzem Gras gehabt habe – antworte ich gähnend.

      Sie scheint sich zu freuen, leise wiederholt sie meinen Satz Wort für Wort und fängt an, im kleinen Rucksack zu wühlen, den ich als Handgepäck mit an Bord hatte. Sie fragt, ob ich noch etwas davon bei mir habe.

      Ich sehe sie an und schweige. Sie wiederholt die Frage. Ich frage, ob ich ihr so dumm vorkomme.

      Dann muss ich alles aus beiden Rucksäcken herausnehmen, in der Hauptsache Schmutzwäsche und mehrere Bücher. Sie fragt mich, ob ich Haschisch rauche, ich sage, ja.

      – Du rauchst? – wiederholt sie und unterbricht für einen Moment ihre Suche im Necessaire.

      – Ich rauche – antworte ich und verspüre eine leichte, aber erfüllende Befriedigung, weil ich so verdammt cool bin. Ich weiß, dass das deshalb ist, weil mich das Valium aus dem Flugzeug noch aufrecht hält, und dass mein „Phlegma“ gespielt ist, aber das ist mir egal. Die Polizistin fragt mich, wann ich das letzte Mal geraucht habe.

      – Auf dem Flughafen in Split.

      Dann kommt der andere Polizist und führt mich in einen kleinen Nebenraum. Hier befiehlt er mir freundlich, mich auszuziehen. Ich ziehe mich ohne jede Scheu aus, für einen Moment denke ich, dass ich jetzt auch tanzen könnte.

      Der Polizist, daran gewöhnt, dass es den Leuten unangenehm ist, versucht ein Gespräch anzuknüpfen. Während er meine Jacke, Hose, Strümpfe, Schuhe untersucht, fragt er höflich, wohin ich gereist bin, was ich dort getan habe, was ich von Beruf bin und solche Sachen. Ich ziehe die Unterhose aus, halte sie ihm hin, ich bin völlig nackt. Ich sage, dass ich überhaupt keine Lust habe zu erzählen, und dass er seine Arbeit machen soll.

      – Okay? – setze ich von oben herab hinzu.

      – Okay – gibt er ruhig zur Antwort.

      Er sieht mir in den Mund, unter die Achseln, und am Schluss bleibt nur noch, dass er mir den Finger in den Anus schiebt. Aber ich sehe, dass er es sich im letzten Moment anders überlegt und es sein lässt.

      – Auch besser für dich – denke ich boshaft. – Da würde ich auch nicht reinsehen wollen.

       2.

      Die Tür öffnet sich mit einem grellen elektronischen Ton, ich gehe hindurch. Ich überschreite die grüne Linie auf dem Boden und betrete Norwegen. Da vorn ist ein Haufen Menschen, die auf jemanden warten. Ein Mädchen überholt mich, ein junger Mann kommt mit einem Blumenstrauß an, sie läuft ihm in die Arme, sie küssen sich nicht. Sie stehen nur lange umarmt da, er flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich stehe da, den einen Rucksack auf dem Rücken, den anderen in der linken Hand, spähe umher, als würde ich jemanden suchen, der auf mich wartet.

      – Norwegen … – denke ich und gehe langsam weiter. Ein kleinerer schnauzbärtiger Mann hält ein Stück Papier in der Hand, auf dem „Helena“ steht. In

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