Der gläserne Fluch. Thomas Thiemeyer

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Der gläserne Fluch - Thomas Thiemeyer Die Chroniken der Weltensucher

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doch das konnte auch Einbildung sein. An solchen Orten spielten einem die Sinne schon mal einen Streich. Der Völkerkundler schlug den Kragen hoch und krempelte seine Ärmel runter.

      Das Innere war in ein geheimnisvolles Halbdunkel getaucht. Oben in der Kuppel war ein Loch, das mit einer Scheibe aus durchsichtigem Material verschlossen war. Glas oder Bergkristall vielleicht. Im fahlen Licht, das durch die Öffnung fiel, tanzten Myriaden von Staubteilchen. Seine Augen benötigten eine Weile, um sich an die seltsamen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.

      Der Tempel war verlassen. Seit Ewigkeiten hatte ihn niemand betreten. Auf dem mit Sand bedeckten Boden wäre jeder Fußabdruck sofort zu sehen gewesen. In der Mitte des Tempels – dort, wo der Lichtstrahl auftraf – erblickte Bellheim eine Aufwölbung. Etwa eins fünfzig breit und einen halben Meter hoch. Sie war größtenteils mit Sand und Staub bedeckt, doch an manchen Stellen war ein feines grünes Schimmern zu erkennen. Es war eine Art Kugel, die im Sand vergraben war, und sie schien von innen heraus zu leuchten. Vorsichtig trat er näher. Das Knirschen seiner Sohlen hallte von den Wänden wider. Wieso nur hatte er das Gefühl, von Dutzenden von Augen beobachtet zu werden? Ein feines Wispern lag in der Luft.

      Bellheim ging weiter, bis er die Aufwölbung erreichte. Jetzt war es deutlicher. Unter dem Sand schimmerte etwas Grünes. Er ging in die Hocke und fegte die Kristalle mit der Hand beiseite. Der Untergrund war glatt und glänzend.

      Was um alles in der Welt war das?

      Eingefasst in schwarzen Onyx mit einem Ring aus Gold in der Erde verankert lag ein grüner Stein, dessen Oberfläche seltsam geschmolzen wirkte. Das Material war transparent, als würde es sich um ein spezielles Glas handeln. Aber Glas war es gewiss nicht. Ein Smaragd vielleicht? Oder ein anderer Edelstein? Vielleicht aus dem Inneren der Erde …

      Bellheim hielt den Atem an. Ihm war plötzlich ein verrückter Gedanke gekommen. Was, wenn es sich um den gläsernen Fluch handelte? Der Völkerkundler kannte die Sage aus den Überlieferungen der Dogon, er hatte ihr aber nie viel Bedeutung beigemessen. Doch jetzt stand er hier und dieses Ding lag vor ihm auf dem Tempelboden. Mythos und Wirklichkeit verschmolzen zu einer Einheit. Wenn es tatsächlich stimmte und dies der sagenumwobene Smaragd aus den Tiefen des Weltraums war, von dem in den alten Geschichten die Rede war, dann wäre dies der sensationellste Fund seit dem Schatz des Priamos, den Schliemann Jahre zuvor in Troja gefunden hatte. Ein Objekt, dessen Bedeutung für die Wissenschaft gar nicht zu bemessen war. Es würde ihn weit über die Grenzen von Deutschland hinaus bekannt machen, und nicht nur das: Es wäre ein Schatz, nach dem sich so mancher die Finger lecken würde. Nicht, dass er arm war, aber dieses Ding würde ihn reich machen. Reich, weit über seine kühnsten Vermutungen hinaus.

      Bellheim versuchte seine fiebrigen Gedanken zu ordnen. Für einen Transport war der Kristall zu groß, abgesehen davon, dass er fest in der Erde verankert zu sein schien. Aber vielleicht konnte er ja ein Stück davon abbrechen.

      Er zog seinen kleinen Geologenhammer aus der Umhängetasche und begann vorsichtig zu klopfen. Ein metallisches Klingeln drang an sein Ohr. Das Material schien unglaublich hart zu sein. Noch einmal schlug er zu, diesmal kräftiger. Wieder nichts.

      Er wollte schon aufgeben, als ein fremdartiges Geräusch zu hören war. Es klang wie der Wind in den Bäumen. Wie das Rauschen eines weit entfernten Meeres. Aber hier gab es kein Meer und Wind gab es auch nicht. Die Luft stand still unter der Kuppel.

      Bellheim stand auf.

      Irgendetwas stimmte nicht.

      Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, was es war.

      Es war der Boden.

      Im schummrigen Licht des Tempels sah er, wie der Sand von lauter grünen Kristallen durchdrungen wurde. Sie krochen umeinander, wuselten hierhin und dorthin, als wären sie lebendig. Bellheim hörte ein feines Knistern begleitet von einem Geruch, den er nur unter Mühen identifizieren konnte.

      Es roch verbrannt, wie nach einer elektrischen Entladung.

      Er nahm ein paar von diesen Kristallen und hielt sie ins Licht. Die kleinen Körnchen sirrten und tanzten auf seiner Hand, dass ihm vom Zusehen ganz schwindelig wurde. Wunderschön sahen sie aus, wie lebendige Smaragde. So schön, dass er sie am liebsten eingesteckt und mitgenommen hätte.

      Mit einem Mal bohrte sich eines der Körnchen in seine Hand. Es brannte und stach, dann war es verschwunden. Nur ein roter Fleck blieb auf seiner Haut zurück. Der Forscher stieß einen Schrei aus und schüttelte seine Hand, aber das Ding kam nicht wieder zum Vorschein. Plötzlich spürte er ein Brennen in den Beinen. Er hob die Füße. Mit Entsetzen sah er, wie die Steinchen seine Stiefel durchdrangen. Immer mehr von ihnen kamen zum Vorschein. Das Leder wurde von Tausenden von nadelfeinen Stichen durchdrungen, bis es ganz dunkel und porös war.

      Keuchend und vor Panik wild mit den Armen rudernd sprang er zurück. Er taumelte ein paar Schritte, dann geriet seine Flucht ins Stocken. Seine Füße fühlten sich an, als wären sie festgewachsen. Der Sand kochte regelrecht – fast so, als wäre Bellheim in einen gigantischen Ameisenbau geraten. Er wusste nicht, was schlimmer war: das Brennen, das seine Beine emporkroch, oder die Erkenntnis, dass diese Kristalle tatsächlich lebendig waren.

      Mit einem verzweifelten Schrei versuchte er die Tür zu erreichen, aber es war zu spät. Der Sand ließ ihn nicht mehr gehen. Er stolperte, strauchelte und fiel vornüber. Dann schlugen die Wogen über ihm zusammen.

      Teil 1

      Der Fremde

      1

      Berlin, zwei Monate später …

      Klirrende Kälte drang von draußen in die Schreibstube. Die Fensterscheiben waren mit Eisblumen überzogen, die im Licht der Morgensonne wie Diamanten funkelten. Schneeflocken tanzten am Haus vorbei, landeten auf Ästen und Zweigen und überzogen die antiken Statuen in Humboldts Garten mit weißem Zuckerguss.

      Oskar fror. Seine Füße fühlten sich an, als würden sie in der Erde stecken, daran konnte auch das Feuer im Kamin nichts ändern, dessen Knacken und Knistern wie eine entfernte Ankündigung von Silvesterfeuerwerk klang. Vor ihm lag ein Stoß Schreibpapier, links ein Bogen Löschpapier, rechts von ihm stand ein Tintenfass nebst Federkielhalter. Die Hände in fingerlosen Handschuhen steckend, saß er da, presste die Zähne zusammen und versuchte, dem Unterricht die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

      Heute Morgen stand Latein auf dem Programm. Ein Fach, mit dem Oskar schon an normalen Tagen seine Probleme hatte. Doch heute war kein normaler Tag. Heute war Heiligabend.

      Er erinnerte sich, dass sie im Waisenhaus an diesem Tag immer Lieder gesungen und die Weihnachtsgeschichte vorgelesen bekommen hatten. Natürlich waren da auch Fräulein Braunsteins Haferkekse gewesen. Trockene, harte Taler, bei denen man das Gefühl bekam, man hätte Gips zwischen den Zähnen. Doch in den Jahren danach, als er auf der Straße gelebt hatte, gab es nicht mal die. Als Taschendieb hatte er sich weder Tannenbaum noch Kerzen oder Geschenke leisten können. Der einzige Unterschied zu normalen Tagen bestand darin, dass er etwas mehr abgreifen konnte, weil die Leute unaufmerksam und ihre Taschen voller Geld waren.

      Wenn man es recht betrachtete, so war das heute sein erster richtiger Heiliger Abend. Und an so einem Tag wurde von ihnen verlangt zu lernen? Dabei gab es noch so viel zu tun: Einkäufe machen, das Haus in Ordnung bringen, den Baum schmücken, Geschenke verpacken. Die Zeit reichte jetzt schon kaum aus. Es gab zwar kaum einen Tag, an dem kein Unterricht stattfand, aber konnte Humboldt nicht mal eine Ausnahme machen? Gewiss, der Forscher hatte ihn vor wenigen Wochen adoptiert, nachdem sich seine Vermutung,

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