Der gläserne Fluch. Thomas Thiemeyer

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Der gläserne Fluch - Thomas Thiemeyer Die Chroniken der Weltensucher

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geheime Vorliebe galt dem Iridium, einer äußerst seltenen Spielart des Platin, wie man sie des Öfteren in Meteoriten fand. Seine Härte machte es zu einer idealen Komponente besonders widerstandfähiger Legierungen. Legierungen, wie sie in Präzisionsmessgeräten wie Uhren oder Sextanten Verwendung fanden. Kein Wunder, dass es als ungemein wertvoller Rohstoff galt, wertvoller noch als Diamanten. Allein die Kugel in Wilsons Schädel besaß den Wert eines kleinen Fürstentums.

      »Sagen Sie alle Termine für heute Mittag ab, ich bin bei Lacombe.«

      »Aber Sir, Ihr Essen mit dem Innenminister …«

      »Absagen, habe ich gesagt.«

      Wilson schnappte seinen Mantel, band seinen Waffengurt um und stürmte aus dem Zimmer. Was glaubte dieser unverschämte Franzose eigentlich, mit wem er es zu tun hatte? Ihn, Jabez Wilson, abzuwimmeln wie einen lästigen Vertreter? Eher würde die Hölle zufrieren, als dass so etwas geschah.

      Mit eiligen Schritten stürmte er die Treppen hinunter. Seine Arbeitsräume lagen im obersten Stock der Königlichen Akademie in Burlington Gardens. Eines der prächtigsten Gebäude von ganz London mit Blick auf die herrlichen Anlagen des Green Parks.

      Auf dem Weg nach unten begegnete er etlichen Kollegen und Angestellten, die ihm Respekt zollten.

      »Guten Morgen, Sir Wilson.«

      »Frohe Weihnachten, Euer Lordschaft!«

      »Werden Sie uns heute Abend noch im Athenäum Club beehren?«

      Er ignorierte die Zurufe und lief weiter. Seine blank polierten Stiefel klackerten über die Marmorstufen. Er verließ das Gebäude, eilte im strömenden Regen über den Vorplatz und bestieg eine der Kutschen, die draußen warteten.

      »Hyde Park Corner 48, aber schnell!«, rief er dem Fahrer zu, dann lehnte er sich zurück.

      * * *

      Oskar war gerade auf dem Weg in sein Zimmer, als ihm Charlotte über den Weg lief. Sie war vollgepackt mit Mappen, Rollen und Bündeln voller Briefe und wirkte ziemlich aufgebracht. Eigentlich hatte er ja vorgehabt, es sich mit einer brandneu erschienenen Ausgabe von Karl Mays gesammelten Reiseromanen in seinem Lesesessel gemütlich zu machen. Er war schon sehr gespannt auf den zweiten Teil von Winnetou, der rote Gentleman, aber jetzt ließ ihn der Ausdruck auf Charlottes Gesicht innehalten. »Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?«

      Charlotte sah ihn entgeistert an. Sie hatte ihn wohl gar nicht bemerkt. Blitzschnell fing sie sich jedoch wieder und sagte: »Ach nichts. War nur eben auf dem Dachboden und habe ein paar Sachen zusammengetragen.«

      »Was für Sachen?« Oskar reckte den Hals. Der Dachboden in Humboldts Haus war eine wahre Fundgrube, Kultobjekte aus aller Welt sowie seltene Sammlerstücke. Dinge, mit denen sich ohne Probleme ein kleines Museum füllen ließ. Es stand aber auch eine Truhe dort oben, in der der Forscher Dokumente und Zeugnisse aus seiner Vergangenheit aufbewahrte. Plakate, Tagebücher, Briefe und jede Menge Korrespondenz. Während Oskar mit großer Leidenschaft die Masken und Trommeln betrachtete, hatte Charlotte einen Narren daran gefressen, in der Vergangenheit des Forschers herumzustöbern. Humboldt hatte nichts dagegen und ließ sie gewähren. Ob er allerdings damit einverstanden sein würde, dass sie die Sachen jetzt in ihr Zimmer brachte?

      »Was sind das für Dokumente?«, wiederholte Oskar seine Frage. »Soll ich dir tragen helfen?«

      »Nein, nicht nötig.« Charlotte drehte sich zur Seite, damit Oskar nicht sah, was sie da durch das Haus schleppte. Trotzdem konnte er einen Blick auf eine Ahnentafel und ein dickes, in Leder gebundenes Buch erhaschen.

      »Stammbäume und Fotoalben?«, fragte er. »Was willst du denn damit?«

      Er versuchte, an eines der Dokumente ranzukommen, aber sie drehte sich von ihm weg.

      »Das geht dich rein gar nichts an!«, zischte sie. »Untersteh dich, dich in meine Privatangelegenheiten einzumischen.«

      »Ist ja gut, ist ja gut.« Er hob entwaffnend die Hände. »Ich wollte nur einen kleinen Spaß machen.«

      »Mir ist es bitterernst«, sagte sie mit wütender Stimme. »Würdest du mich jetzt bitte durchlassen?«

      »Aber klar.« Er trat einen Schritt zur Seite und Charlotte stürmte an ihm vorbei. Dabei fiel ihr ein kleines Buch hinunter. Familienchronik stand auf das Leder geprägt. Oskar beugte sich vor und hob es auf. Es war das Buch, in dem Humboldt sämtliche Geburts- und Abstammungsurkunden aufbewahrte. Mit einem ratlosen Blick reichte Oskar Charlotte die wertvollen Dokumente. Sie schnappte danach und steckte sie zu den anderen Sachen. Einen kurzen Moment leuchtete immer noch die Wut in ihren Augen, dann wurde ihr Blick wieder sanfter. »Danke«, sagte sie. »Bitte verrate mich nicht. Ich bin da einer merkwürdigen Geschichte auf der Spur und ich möchte nicht, dass alle davon erfahren. Versprichst du mir, dass du niemandem davon erzählst?«

      Er nickte. »Erfahre ich irgendwann davon?«

      »Sobald ich herausgefunden habe, was dahintersteckt. Versprochen.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand in ihrem Zimmer.

      4

      Unruhig auf den Griff seines Degens trommelnd, blickte Sir Jabez Wilson aus dem Fenster. Das regennasse London zog wie eine Tapete an ihm vorüber. Menschen liefen im Schatten der Gebäude, hielten Aktentaschen oder Regenschirme über ihre Köpfe und sahen zu, dass sie rasch ins Trockene kamen. Überall herrschte geschäftige Weihnachtsstimmung. Die Läden waren geschmückt und allseits standen Straßenmusikanten, die sich mit Oh, come all ye faithful oder Go tell it on the mountain gegenseitig zu überstimmen versuchten.

      Wilson konnte diesem Fest nichts abgewinnen. Der Geruch von Bratäpfeln, Candys und Lebkuchen lag wie eine betäubende Decke über der Stadt. Diese ewige Singerei und diese kuhäugigen Kinder mit ihrem Dauergrinsen. Wenn es nach ihm ging, gehörte dieses Fest abgeschafft.

      Die Kutsche erreichte den Park, schwenkte auf Südkurs und steuerte dem Wellington Triumphbogen entgegen. Nur wenige Minuten später hatten sie die Hausnummer 48 erreicht. Wilson sprang aus dem Wagen, drückte dem Fahrer zwanzig Shilling in die Hand und eilte mit gesenktem Kopf über die Straße.

      Der zweistöckige Bau in klassizistischem Stil diente der Universität als Quartier für ausländische Besucher und Gäste der Fakultäten. Im Allgemeinen waren die Zimmer immer ausgebucht, doch so kurz vor Weihnachten standen die meisten von ihnen leer. François Lacombe war der einzige Gast. Er bewohnte zwei Räume im Ostflügel, wo er einen Arbeitsbereich eingerichtet hatte. Der französische Astronom hockte auf seinen Informationen wie die Henne auf dem Ei und war nicht bereit, nur ein Jota seines Wissens mit ihm zu teilen. Zwei Anläufe hatte Wilson bisher unternommen, um an die heiß ersehnten Papiere zu kommen. Den ersten freundlich, in dem er persönlich vorstellig geworden war und Geschenke gebracht hatte, einen zweiten schon etwas kühler und in Begleitung seines Assistenten Patrick O’Neill. Dies war der dritte und er würde sich nicht noch einmal abwimmeln lassen.

      Der Empfang war gerade nicht besetzt, und Wilson konnte ungesehen das Erdgeschoss durchqueren. Die Treppenstufen waren mit Teppich bespannt, sodass er praktisch lautlos nach oben gelangte. Auf der obersten Treppenstufe angekommen, spitzte er die Ohren. Von irgendwoher erklang Musik. Vorsichtig schlich er den Gang entlang, bis er vor Lacombes Räumen stand. Die Musik kam aus dem Arbeitszimmer und stammte von einem Grammofon. Über die Takte von Johann Strauss’ An der schönen blauen Donau erklangen geschäftiges Klappern und fröhliches Mitsummen. Merkwürdigerweise erfreute

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