Der gläserne Fluch. Thomas Thiemeyer

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Der gläserne Fluch - Thomas Thiemeyer Die Chroniken der Weltensucher

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ihr ein trauriges Lächeln. »Weißt du das wirklich nicht? Deutschland liefert sich seit einigen Jahren einen Wettlauf um die besten Kolonien. Der afrikanische Kontinent wird dabei zwischen den Imperialmächten aufgeteilt, als wäre er eine Geburtstagstorte. Es geht zu wie auf einem Basar. Jeder nimmt sich einfach, was er kriegen kann, ohne die Einheimischen um Erlaubnis zu fragen. Ein trauriges Kapitel der deutschen Geschichte, aber natürlich von hohem nationalen Interesse.« Er stieß die Worte aus, als hätten sie einen unangenehmen Beigeschmack. »Wenn Bellheim in Anwesenheit des Kaisers über Nordafrika redet, dann wird es vermutlich um die Möglichkeit neuer Kolonien gehen.« Er faltete das Papier und steckte es weg. »Tut mir leid, kein Interesse. Ich werde zusehen, dass ich mich im neuen Jahr mit ihm treffe. Unter vier Augen und in ungezwungener Atmosphäre.«

      »Aber der Kaiser …« Charlotte blickte ihren Onkel mit großen Augen an. »Ich habe Wilhelm noch nie aus der Nähe gesehen.«

      »Das wird dir auch an diesem Abend kaum gelingen«, erwiderte der Forscher. »Vermutlich wird er von einer ganzen Armee von Sicherheitsbeamten abgeschirmt. Abgesehen davon: So imposant ist er auch wieder nicht.«

      »Das ist doch egal. Stell dir all die interessanten Leute vor. Die schmucken Anzüge und Uniformen und die rauschenden Kostüme. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Bitte, lass uns hingehen. Bitte, bitte.«

      Humboldt verdrehte die Augen. »Tu mir das nicht an. Ich verabscheue solche Veranstaltungen. Nichts gegen einen guten Vortrag, aber diese Veranstaltung riecht nach Staatsempfang. Da wird gedienert, gebuckelt, gekrochen und geschleimt. Jeder wird zusehen, dass er möglichst nah an Wilhelm und seine Gattin herankommt. Das hat nichts mit Forschung zu tun. Eher mit Politik, und Politik ist ein schmutziges Geschäft.«

      »Komm schon, bitte.« Charlotte ließ nicht locker. »Immerhin hat er an dich gedacht. Steht sonst noch etwas in der Einladung?«

      »Warte mal …« Humboldt drehte den Brief um. »Hier ist eine Notiz, aber wie es aussieht in einer anderen Schrift. Sie stammt von … ach, verdammt.« Er hielt die Karte ins Licht und schob seine Brille hoch. »Ich muss dringend mal zum Optiker. Kannst du das lesen?«

      Charlotte nahm den Brief. »Hier steht ein Name. Gertrud Bellheim. Seine Frau?«

      »Möglich, aber ich kenne sie nicht. Er muss geheiratet haben, als ich fort war. Was schreibt sie?«

      »Sehr geehrter Herr von Humboldt, im Namen meines Mannes möchte ich Sie und Ihre Begleitung ganz herzlich zum Vortrag am 27. 12. um 20 : 00 Uhr in den Großen Hörsaal der Friedrich-Wilhelm-Universität einladen. Ich weiß, dass Sie sich nahegestanden haben und dass es ihm viel bedeuten würde, Sie an diesem Abend persönlich zu sehen. Bitte tun Sie mir den Gefallen und reden Sie ein paar Worte mit ihm. Dafür wäre ich Ihnen überaus dankbar. Hochachtungsvoll, Gertrud Bellheim«

      Humboldt nahm ihr den Brief aus der Hand und überflog die Zeilen noch einmal. »Seltsam«, murmelte er.

      »Was meinst du?«

      »Warum schreibt er nicht selbst? Und warum tue ich ihr einen Gefallen, wenn ich ein paar Worte mit ihm rede? Das klingt, als würde sie sich Sorgen machen.«

      Charlotte nickte. »Du hast vollkommen recht. Es klingt tatsächlich sehr seltsam. Ich finde, du solltest der Sache auf den Grund gehen. Das wird dir allerdings nur gelingen, wenn du dort erscheinst. Und ich mit dir.« Sie schenkte ihrem Onkel ein verführerisches Lächeln.

      Der Forscher zog eine Braue in die Höhe. »Sagst du das, weil es dich wirklich interessiert oder weil du zu dem Empfang willst?«

      Er hielt den Brief näher ans Gesicht, in dem vergeblichen Bemühen, ihm weitere Geheimnisse zu entlocken, doch irgendwann gab er auf. »Also gut«, seufzte er. »Du hast gewonnen.«

      »Danke!« Charlotte umarmte ihren Onkel und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du bist der Beste.«

      Die Tür zur Schreibstube ging einen Spalt weit auf. Ein sommersprossiges Gesicht mit roten Zöpfen lugte hervor. Es war Lena. »Was ist denn jetzt mit dem Unterricht, Herr von Humboldt? Kommen Sie noch mal zurück, oder sollen wir unsere Sachen zusammenräumen?«

      »Ihr könnt zusammenräumen«, sagte der Forscher. »An Unterricht ist sowieso nicht mehr zu denken. Helft Eliza in der Küche, füttert die Pferde, danach könnt ihr den Baum schmücken. Und vergesst nicht, vorher das Klassenzimmer aufzuräumen und die Tafel zu wischen. Ich will, dass alles blitzblank ist, ehe wir Bescherung machen.«

      »Juhuu!« Ein stürmisches Gerenne und Getrampel war zu hören. Kichern und Lachen schallte zu ihnen herüber.

      Humboldt strich sich über die Stirn. »Wenn ich gewusst hätte, was ich mir da für einen Sack Flöhe einhandle, hätte ich mir die Sache mit Oskars Freunden vielleicht noch mal überlegt.«

      »Ich bin sicher, du wirst das verkraften«, sagte Charlotte. »Es tut dir gut, wieder zu unterrichten. Seit die Kinder bei uns sind, höre ich dich viel öfter lachen.«

      »Ist das so?« Er seufzte. »Na, Hauptsache, die Arbeit leidet nicht darunter. Was ist denn mit deinem Brief? Du hast ihn noch gar nicht geöffnet.«

      »Ja richtig.« Charlotte blickte auf das Kuvert in ihrer Hand. In der Aufregung hatte sie ganz vergessen nachzuschauen, von wem er stammte. Auf der Rückseite fand sie einen Absender. Maria Riethmüller, Kurhotel Heiligendamm.

      »Er ist von Mutter«, sagte sie.

      Ihre gute Laune war mit einem Mal wie weggeblasen.

      3

      Sir Jabez Wilson war bereits zu Lebzeiten eine Legende. Von Königin Victoria für seine Verdienste um die Erforschung des Nachthimmels geadelt und von seinen Kollegen ebenso geschätzt wie gefürchtet, galt er als Großbritanniens bedeutendster Sammler extraterrestrischer Funde. Er war das, was man in Fachkreisen als Meteoritenjäger bezeichnete, und sein Hunger nach seltenen Steinen war grenzenlos. So groß, dass er gelegentlich seine Manieren vergaß.

      »Was hat er gesagt? Wiederhol das noch mal.«

      Sein Assistent, Patrick O’Neill, erbleichte. »Monsieur Lacombe von der astronomischen Fakultät Paris lässt ausrichten, er werde Ihnen auf keinen Fall eine Abschrift des Dokuments zukommen lassen. Er sagte, da könne er Ihnen ja gleich seine ganze Sammlung zum Geschenk machen. Er hoffe jedoch inständig, Sie mögen seinem Gastvortrag am Observatorium diesen Freitag beiwohnen. Er werde bei dieser Gelegenheit auch auf das Dokument zu sprechen kommen.«

      »Dieser unverschämte Patron!« Wilson sprang auf. Seine Kehle war vor Wut wie zugeschnürt. »Er glaubt wohl, er kann mich auf den Arm nehmen. Ich bin doch keiner seiner Lakaien, die er herumscheuchen kann, wie er will. Er ist hier auf meinem Grund und Boden. Na warte, dem wird das Lachen schon noch vergehen.«

      O’Neill wich zurück. Wilson war ein Stier von einem Mann. Kompakt, gedrungen, mit breiten Wangenknochen, niedriger Stirn und einem grauen Haarschopf, der zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Ein Mann, der schon durch seine reine physische Präsenz jeden einschüchtern konnte. Sein auffälligstes Merkmal war, dass er nur ein Auge besaß. Das linke hatte er bei einer Auseinandersetzung mit Eingeborenen in Patagonien verloren, als diese ihm den Zugang zu einer Fundstelle verweigerten und ihn und seine Männer stattdessen mit Steinschleudern angegriffen hatten. Aus Rache hatte er ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht.

      Um sein fehlendes Auge zu ersetzen, hatte Wilson einen Meteoriten zurechtschleifen lassen und diesen in den Hohlraum in seinem Schädel

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