Oliver Hell Abschuss. Michael Wagner J.
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Oliver Hell Abschuss - Michael Wagner J. страница 2
Mit dem Kaffee in der Linken zog er sich den nächsten Küchenstuhl heran. Sein Blick fiel auf die Zeitung, die aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Ein bestimmter Artikel ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er wusste, was dort stand. Er hatte ihn bereits zigmal gelesen. Kaffeeflecken zeugten davon. Der Artikel war sogar rot umrandet. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er erneut auf das Blatt.
Auf einer Weide in der Nähe waren mehrere Schafe verletzt worden, ein Schafbock wurde getötet und an einem Bach ausgeweidet. Danach aufgehangen und zur Schau gestellt. Die Polizei suchte nach einem Mann mit einem Blaumann, der von Zeugen in der Nähe des Tatortes blutverschmiert gesehen worden war.
Wieso geht da keiner hin, fragte er sich. Wieso hilft niemand den Tieren?
Wieso?
Tiere waren den Menschen meist egal. Vielfach hatten die Menschen keinen Kontakt mehr zur Natur. Keinen Kontakt mehr zu Tieren. Veränderungen gehen schleichend voran. Viele waren zudem feige geworden. Oder die Gesellschaft belohnte die, die weniger riskierten. Die Kinder der Stadtbewohner dachten, Milch käme aus einem Tetrapack. Kaum eines der Kinder hatte schon einmal eine lebendige Kuh gesehen. Keines der Kinder wusste, wie es in einem Stall riecht. Wenige kannten überhaupt das Landleben.
Auf dem Land lebten heute vielfach die Stadtflüchtlinge. Es waren die Schlafstätten derjenigen, die der Hektik in den Städten den Rücken zugekehrt hatten, um auf dem Land die Ruhe zu genießen.
Diejenigen Kinder, die auf dem Land wohnten, hatten keinen Kontakt zu den Bauern. Sie wussten zwar, wie eine Kuh aussah, aber sie hatten keine Beziehung zu den Tieren. Auch ihre Eltern nicht. Sie wohnten nicht dort, weil ihnen die Natur zusagte, sie wohnten dort, weil ihnen durch die Hektik der Stadt die Nerven bündelweise ausfielen. Ruhe suchten sie. Abspannen wollten sie hier, ihre Akkus aufladen. So kam es auch, dass den meisten Menschen dort das Schicksal der Tiere egal war.
Früher wären die Bauern mit Mistgabeln bewaffnet auf die Weide gestürmt und hätten sich den Kerl geschnappt. Aber heute? Es gab nur noch wenige Bauern.
Die Menschen in den Wohnsiedlungen hatten keine Mistgabeln mehr und auch keinen Mut. Sie fuhren morgens zum Arbeiten in die Stadt, ließen ihre Familien daheim und kehrten abends zurück in die Ruhe. Auch kümmerte sich niemand um seine Nachbarn. Nicht wirklich. Jedenfalls nicht, wenn es darum ging, bei so einem Anlass einzugreifen. Sie riefen die Polizei an und verschanzten sich hinter ihren Fenstern. Feiglinge.
Es hätte ihn hinausgezogen. Gegen den Protest seiner Frau. Sicher. Er wäre gegangen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er völlig unbewaffnet war. Das kannte er nicht und das wollte er ändern. Für was auch immer die Waffe einzusetzen sein würde. Beinahe ruhig nahm er einen Schluck aus der Tasse.
Kapitel 2
Zwei Uhr dreißig in der Nacht. Zwanzig Minuten nachdem er den Anruf bekommen hatte, versuchte Kommissar Oliver Hell seinen jungen Kollegen Jan-Philipp Wendt über das Handy zu erreichen. Der hatte am Abend vorher seine Beförderung zum Polizeioberkommissar gefeiert. Sicher war er noch in irgendeinem Bett versumpft, dachte Hell. Das wäre typisch für ihn. Wendt war ein Frauenheld.
Hell stieg in seinen Dienstwagen, programmierte im Losfahren das Navigationsgerät. Sein Ziel lag weit draußen auf dem Land. Im Siegtal. hoffentlich findet das Navi das da draußen, dachte er. Der Regen wurde stärker, noch fuhr er auf der Autobahn. Die Wischer schafften es gerade noch bei Stufe eins. Ein heftiger Sommerregen, nach einem heißen Tag. Es war seit einigen Wochen ungewöhnlich heiß. Für die Region viel zu heiß. Tropisch.
Er überquerte den Rhein auf der A565.
Man hatte ihn gerufen, weil es sich um einen Jagdunfall handeln sollte. Einen Jagdunfall mit einer äußerst ungewöhnlichen Waffe. Daher hatte es die Polizei vor Ort für besser gehalten, die Kriminalpolizei hinzuzuziehen.
Das Handy klingelte. Wendt meldete sich. Das Gespräch fiel kurz aus, er gab Wendt die Adresse durch und legte auf. Wendts Protest hörte er schon nicht mehr. Der Anruf seines Chefs hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. Doch war seine Bettgesellin deutlich eher wach gewesen und reichte ihm verschlafen das klingelnde Telefon, dann wälzte sie sich wieder herum und war sofort wieder eingeschlafen.
Hell spürte eine gewisse Schwermut. Wendt war jetzt sein Stellvertreter. Jung, dynamisch, ein Frauenheld. Nichts konnte er seinem jungen Kollegen mehr vorwerfen. Er war ein fehlerloser Kriminalist mit einem scharfen Verstand. Jeder Teamleiter wäre froh gewesen, einen solchen Mann in seinem Team zu haben.
Hell machte es wehmütig. Vielleicht hatte Hell gehofft, dass seine große Zeit wieder kehren würde. Aber er wurde älter, das spürte er jeden Tag. Hell fand fast nur noch Trost in der Erinnerung. Die Erinnerung hielt ihn hoch. Seine Erfolge, die ihn über die Grenzen hinaus bekannt gemacht hatten. Doch hatte er langsam aufgegeben, daran zu glauben. Seine Erfolge verblassten wie eine alte Fotografie, sie verloren ihre Schärfe im Laufe der Jahre.
Hell verließ die Autobahnen, fuhr von dort aus über die Dörfer. Kein Regen mehr. Von einer schmalen Landstraße zweigte ein noch schmalerer Weg ab. Er stoppte. Keine Frage, das Navigationsgerät forderte von ihm, dort lang zu fahren. Er bog ab, der Nachthimmel erschien ihm noch dunkler. Das Fernlicht half kaum. Der Wagen geriet in ein Schlagloch und schlug so hart auf, dass Hell durchgerüttelt wurde. Er fluchte und sammelte sein Handy vom Fußboden auf.
Das Navi führte ihn weiter an den Rand einer Wiese. Im Lichtkegel tauchte ein Polizist auf. Er winkte. Hell stellte den Wagen am Straßenrand ab und schon war der Streifenpolizist neben ihm.
„Haben Sie mich benachrichtigt?“
Hell riss das Gespräch direkt an sich.
„Ja, Sie werden sehen, warum. Wir müssen ein wenig in den angrenzenden Wald hinein gehen.“
Sie gingen los. Der Streifenpolizist führte eine Taschenlampe bei sich. Das Licht leuchtete den Weg jedoch nur ungenügend aus.
„Wer hat den Toten gefunden?“
„Ein Jäger, der zu seinem Hochsitz gehen wollte. Er hatte kein Telefon dabei, daher dauerte es lange, bis er von daheim anrufen konnte.“
„Das war wann?“ Hell stapfte neben dem Uniformierten her. Sie gingen einen Waldweg entlang. Er lag hellgrau vor ihnen und wurde in einiger Entfernung vom Dunkel verschlungen. Hell sog den würzigen Duft des Waldes ein. Er mochte den Wald. Aber viel lieber, wenn er etwas sah.
„Der erste Anruf kam gegen halb vier Uhr.“
„Der erste Anruf? Gab es noch einen?“ Hell blieb kurz stehen. Der Polizist ging weiter. Hell wollte den spärlichen Lichtkegel nicht verpassen und folgte dem Uniformierten.
Trotzdem stolperte er fast über einen Ast, der auf dem Boden in der Dämmerung nicht zu sehen war. Er fluchte leise. „Ja, es gab noch einen zweiten Anruf. Von jemand anderem.“
„Habt ihr das aufgezeichnet?“
„Ja, natürlich.“
„Ist eigentlich die Spurensicherung schon informiert?“
„Nein, wir wollten ihre Meinung abwarten.“
„Sind wir gleich da?“
Hell war schon wieder ins Straucheln geraten. Ohne seine Brille