TEE macht tot. Monika Clayton

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Studium der Zwischenmenschlichkeit, das er theoretisch ohnehin voll drauf hatte. Nun galt es, sich ein neues Wissensgebiet anzueignen. Das Studium über das Leben und die Sterbegewohnheiten der alten Leutchen wurde zur Mission.

      Bald war Balthasar Sebastian Rohrasch der Meinung, dass eine bessere Grundversorgung die hohe Todesrate dieses Heims sicherlich senken würde. Effizientere Zimmerbelegungen würden Probleme der Alterseinsamkeit lösen. Ähnliche Interessen sollten in einem Stockwerk zusammengelegt werden. Der Stulp würde sehen, wie gut das den alten Menschen tun würde.

      Und so mischte er sich bei jedem Besuch ungefragt in den Heimalltag ein. Immerzu sah sich Heimleiter Stulp mit neuen Erkenntnissen konfrontiert. Erkenntnisse, die dieser Rohrasch aus dem Internet zog. Statistisch gesehen wäre der Rentner besser doch mit Diesem und Jenem versorgt.

      Heimleiter Stulp raufte sich die Haare, noch bevor Balthasar Sebastian Rohrasch überhaupt die Schwelle von St. Benedikt übertreten hatte. Doch im Zuge dieser Kopfmassagen hatte der Leiter von St. Benedikta eine geniale Idee. Warum, die Einrichtung nicht einfach abstoßen?

      Das Heim war unwirtschaftlich, er fühlte sich zu alt, zu überfordert, und außerdem nervte ihn der besserwisserische Rohrasch. Wenn der Rohrasch doch alles besser wusste, warum nicht ihn fragen? Der könnte die Betreuung seiner Mutter wieder selbst übernehmen, von der er sich einst so überfordert gefühlt hatte.

      „Was halten Sie von einer Übernahme?“, fragte Stulp, als Balthasar Sebastian Rohrasch wieder eine seiner neu gewonnenen Erkenntnisse preisgab.

      „Von einer Übernahme?“, fragte Rohrasch überrumpelt.

      „Von einer Übernahme!“, antwortete Stulp.

      „Und wie darf ich das bitte verstehen?“

      „Sie übernehmen St. Benedikta. Ich gehe in den Ruhestand, und wer weiß, wenn meine Zeit gekommen ist, komme ich vielleicht als einer ihrer Bewohner zurück. Aber erst genieße ich mein Leben.“

      „Sie würden sich also selbst in Ihr Heim begeben?“

      „Nicht unbedingt, aber wer weiß schon, was später einmal ist. Vielleicht haben Sie es ja tatsächlich drauf?“

      So führten sie das Frage-Antwort-Spiel eine Zeit lang im Büro fort, bis Stulp aufstand und zu seinem Fenster marschierte. Er winkte den Rohrasch um seinen Schreibtisch herum und wies mit dem Finger die Auffahrt hinauf zur Straße. „Sehen Sie den Friedhof?“

      Rohrasch nickte, ohne wirklich hinzusehen. Schließlich fuhr er täglich daran vorbei. Viel interessanter war da schon der Blick auf Stulps Monitor. Kein Wunder, dass es hier so chaotisch zuging. Selbst der Desktop war ein einziges Durcheinander. In Rohrasch Fingern kribbelte es. Am liebsten hätte er sich hingesetzt und Ordnung geschaffen.

      Heimleiter Stulp zog Balthasar Sebastian Rohrasch vom Schreibtisch weg ans Fenster. Auf der anderen Seite sah man die Grabsteine des gegenüberliegenden Friedhofes über die hüfthohe Friedhofsmauer ragen. Etwas weiter hinten war eine Kapelle mit einem kleinen Anbau auszumachen. Ehemals seien der Friedhof und St. Benedikta ein großes Gelände gewesen und das Altenheim eine ehemalige Klosterschwesternunterkunft, erzählte Stulp die Geschichte des Heimes. Irgendwann, das sei aber sicherlich schon an die 50 Jahre her, habe die Kirche eine neue Schwesternunterkunft errichtet. Größer und besser. Nachdem die Geistlichkeit samt Schwesternschaft ausgeflogen war, habe der Kirchenrat den Pfarrer Johann in die kleine Pfarrwohnung, die hinter der Kapelle stand, gesetzt.

      Das Gelände sei geteilt worden, was dem Straßenbauamt nicht ungelegen gekommen war, denn ruckzuck wurde eine Verbindungsstraße Richtung Starnberg Stadt gebaut. Das alte Schwesternhaus wurde einer reichen alten Frau verkauft, mit der Auflage, dass der Name immer bestehen bleiben müsse.

      Die alte Frau habe das Haus nach ihrem Tod an eine gemeinnützige Stiftung vererbt, die jedoch mehr an Barem als an Immobilien interessiert gewesen sei. Das Haus sei in den letzten 30 Jahren wohl so an die acht Mal verkauft worden, bis es dann irgendwann in seine Hände gelangte. Heute würden der Friedhof und das Altenheim nur noch den Namen gemeinsam tragen, erklärte der Heimleiter. Und außerdem meinte Stulp weiter, erspare der Friedhof in der direkten Nachbarschaft lange Transportwege. „Also? Übernehmen Sie?“, kam Stulp urplötzlich wieder auf seine eigentliche Frage zurück.

      Balthasar Sebastian Rohrasch, der keine Entscheidung aus dem Bauch heraus treffen wollte, bat um etwas Bedenkzeit und stellte einige Überlegungen an, die jedoch durch den Tod seiner Mutter unterbrochen wurden.

      Mag es vielleicht äußerlich nicht den Anschein erweckt haben, dass er im zwischenmenschlichen Bereich Gefühle zeigen konnte, dennoch saß seine Trauer tief. Für die nächsten Wochen stellte er seine Entscheidung deshalb zurück.

      Lange dachte er über das nach, was kurz vor ihrem Tode, geschehen war. An ihrem Todestag, von dem er nicht wusste, dass es ihr Todestag sein würde, wurde sie noch einmal sehr klar. Balthasar Sebastian Rohrasch hatte an ihrem Bett gesessen und ihre Hand gehalten.

      Liebevoll tätschelte sie sein Gesicht und bedankte sich bei ihm für seine täglichen Besuche, die der einzige Lichtblick in ihrem sonst so trostlosen Dasein in diesem Heim gewesen seien.

      Erschüttert und überrascht war Balthasar Sebastian Rohrasch darüber. Überrascht deswegen, weil er nicht gedacht hätte, dass seine Mutter überhaupt noch etwas mitbekam, erschüttert deswegen, weil sie es mitbekam, aber es nicht mehr ausdrücken konnte. Am meisten schmerzte es ihn jedoch, dass sie ihre letzten Momente als trostlos beschrieb.

      Dieser traurige Umstand war das letzte Puzzlestückchen, das ihm zu seiner Entscheidung noch gefehlt hatte.

      Balthasar Sebastian Rohrasch unterschrieb die Übernahmepapiere und trat als neuer Heimleiter in ein fast morbides Unternehmen ein, dessen Bestand ebenfalls recht angeschlagen war. Unsicher war er, wie lange er diese Leutchen bei sich halten konnte.

      Voller Tatendrang bugsierte er seinen Rechner in sein neues Büro und machte sich daran, sein selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Er stellte einen neuen Arzt ein, neue Schwestern, die jedoch alle zuerst seinem Für und Wider standhalten mussten. Anschließend plante Balthasar Sebastian Rohrasch das Leben seiner Senioren, wie er es für seine Mutter getan hatte. Er schrieb ein Programm, mit dessen Hilfe St. Benedikta ein freudvolles Haus mit langer Verweildauer werden sollte.

      Mit 50 Jahren wähnte er sich am Ziel.

       4. Kapitel

      Gewissenhaft räumte Esther Friedrichsen ihr neues Teeschränkchen in ihrem neuen Zimmer, in ihrer neuen Bleibe ein. Ackerschachtelhalm unter A. Beifuß, Brennnessel unter B. Schluchzend hielt sie inne und nestelte nach ihrem Taschentuch. Ohne ihren Karli hier zu sein schmerzte sie. „Das überlebe ich nicht“, flüsterte sie und schniefte in ihr fliederfarbenes Tuch. Mühsam versuchte sie, ihre Tränen zurückzuhalten. Dass sie ihren letzten Lebensabschnitt alleine gehen musste, war schwer zu ertragen.

      „Natürlich werden Sie das!“, sagte eine flache Stimme hinter ihr. „Außer, Sie fallen auf der Stelle tot um.“

      Erschrocken drehte sich Esther um.

      In der Tür stand eine dünne alte Frau, aus deren Nase ein Schlauch ins Nirgendwo ihres Morgenrocks führte. Ihre fahle Haut wirkte wie Pergamentpapier, das über die Knochen gespannt war. Freundlich schaute die Dame Esther an und trat mühsam, einen Schritt vor den anderen setzend, ins Zimmer. Ihre Augen versprühten, trotz ihrer Gebrechlichkeit wahre Lebensfreude. Esther war beeindruckt und musste sogar lachen. „Das

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