Berührungen. Gunter Preuß

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Berührungen - Gunter Preuß

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Bernhard sich von weit her schließlich doch »Ja« sagen.

      Rita ließ ihn los, lachte ausgelassen und rief: »Du dummer Junge, du! Warum musst du deine Schwester so erschrecken! Tu so was nie wieder, hörst du! Versprich es mir!«

      »Ich tu´s nie wieder, Rita.«

      Einen Augenblick später rannte Rita aus dem Haus. Bernhard stand noch immer steif in Ritas Zimmer. Durch das Fenster sah er die Schwester mit ausgebreiteten Armen den Hügel hinunterrennen.

      Charlys Paradies (Verbotene Türen, 1985)

      Bernhard spürte: Er musste etwas tun. Aber vorher wollte er sich darüber klar werden, was zu tun war. Er vermutete Ungeheures und wusste von nichts. Er befragte die Menschen; aber auch sie waren ahnungslos. So kam er zu Charly, einst ein Gott, jetzt ein Zauberer.

      Charly hatte es in der Dachkammer zwischen verfallenen Häusern und Fabrikschornsteinen nicht lange ausgehalten. Er wohnte jetzt in einem Villenviertel im Süden der Stadt. Bernhard fuhr gern mit dem Rad dorthin. Die Villen lagen versteckt hinter Tannen und Obstbäumen. Der Himmel wirkte hier größer und blauer. Hunde schlugen an und ließen sich mit Worten beruhigen. Bienen flogen im Blütentaumel. Bernhard fühlte sich für Augenblicke befreit von den hohen Häusern der Stadt, die ihn wie riesige Schraubstöcke festhielten. Also hatte Charly für sich einen Weg aus der Enge gefunden.

      Am Stadtrand, in einem prächtigen Haus, keine dreißig Meter von einem Kastanien- und Platanenwald entfernt, wohnte der Bruder. Am verrosteten Gartentor war ein blank geputztes Messingschild angeschraubt, auf dem in kunstvoll verschnörkelter Schrift eingraviert war: Henriette Rausch. Opernsängerin. Am Briefkasten hing schief, mehrmals abgerissen und wieder angeklebt, ein Papptäfelchen, auf dem mit farbigen Druckbuchstaben geschrieben stand: Charly Teichmann. Mensch.

      Der Garten war riesig und verwildert. Rosen rankten sich an Stämmen krumm gewachsener Kiefern und schlanker Birken empor. Gräser und Unkraut standen fast mannshoch. Und überall wucherten Blumen. Mitten aus der farbenfrohen Fülle erhob sich die arg heruntergekommene Villa. Sie war fast gänzlich von wildem Efeu umschlossen. Das Terrassendach wurde von zwei Baumstämmen gestützt. Die Fenster und die Eingangstür standen weit offen. In einem der vielen Zimmer oder irgendwo im Garten musste der Bruder zu finden sein. Charly war in seinem Paradies Herr über Pflanze und Getier, über Licht und Schatten, Stille und Lärm.

      Des Bruders Clownsgesicht grinste froh, wenn Bernhard ihn besuchen kam. Bei der Begrüßung hob er segnend die Arme über alles: Sieh nur, Kleiner, so lässt es sich doch leben!

      »Mein Gott, setz dich!«, rief Charly. »Nimm mir um Himmels willen nicht die Ruhe. Hau dich ins Gras, mein Alter, steig auf die Bäume, ich glaube, die ersten Äpfel werden reif.«

      »Rausch!«, brüllte Charly durch den Garten. »Wir haben Besuch! Hörst du nicht, mein kleiner Bruder ist gekommen, bemüh dich also hoch, Räuscherl«

      »Lass sie doch«, wehrte Bernhard ab. Er sah den Bruder nicht gern mit dieser Frau zusammen.

      Charlys Hände strichen unruhig über den Berg ungestüm beschriebener Seiten, der sich vor ihm im Gras türmte. Er sah gereizt zum Haus und schrie: »Nun bewege dich aber, Herzchen, wälz dich vom Kanapee, ich will euch etwas vorlesen, mein Gott noch mal, nun komm doch!«

      Bernhard setzte sich Charly gegenüber ins Gras. Aus dem Haus war ein Grunzen zu hören, danach ein Ächzen, gleich darauf eine hohe feine Stimme: »Ich fliege schon, Charly, mein Herz. Gleich bin ich bei dir. Hast du etwas Neues geschrieben?«

      »Ja, verdammt noch mal, ja!« Mit zittrigen Fingern zog Charly eine Seite aus dem Papierberg hervor, las lautlos mit sich schnell bewegenden Lippen.

      »Bist du noch immer krankgeschrieben?«, fragte Bernhard.

      »Was denkst du denn, Kleiner«, antwortete Charly eifrig. »Die Journaille muss so lange ohne Charly auskommen, bis der Roman fertig ist. Schluss mit den Aufbaugedichten und Planerfüllungsgeschichtchen, jetzt macht dein Bruder Kunst, verstehst du, jetzt will ich΄s wissen. Ich werde der Welt einen Roman hinlegen und sagen: Seht ihr, so ist das Leben, so und nicht anders, ihr kleinen Idioten, es ist ein Walzer, der getanzt werden will, Wein, den man trinken muss. He, Bruder, warum soll es mir nicht gelingen, mit einem gelungenen Lassowurf den Himmel auf die Erde zu holen, warum nicht, frage ich?«

      Henriette Rausch kam mit kleinen schwankenden Schritten auf sie zu. Es sah aus, als würde sie jeden Augenblick stolpern, so aus dem Gleichgewicht erschien die ein Meter und achtzig hohe massige Frau. Sie trug einen Morgenmantel aus buntem Brokat, der ihre plumpen Beine bis zu den Knien und den Ansatz ihrer großen schweißigen Brüste sehen ließ. Über Henriette Rauschs rundem Gesicht türmten sich die nach Art einer Geisha gesteckten blauschwarzen Haare, die sichtlich gefärbt war. Ihr Blick war offen und freundlich, doch um den üppigen kirschrot geschminkten Mund fand sich ein arrogant-abweisender Zug. Trotz ihrer glatten Haut war sie gepudert, und auf Charlys ausdrücklichen Wunsch hatte sie Finger- und Zehennägel hellgrün lackiert. Sie duftete stets, dass Bernhard nie genug davon bekommen konnte, und wenn er für einen Moment die Augen schloss, kam ihm ein betörend schönes Mädchen vor Augen, dem er in Wirklichkeit noch nie begegnet war.

      Bernhard wusste nicht viel über Henriette Rausch. Bolz, sein neuer Vater, behauptete, ihren Namen zu kennen, sie hätte in den Vorkriegsjahren die großen Sopranpartien an deutschen Opernhäusern gesungen. Nicht einmal Charly ahnte, wie alt sein Räuscherl war. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie wohl mit An- und Verkauf von Schmuck. Sie war eine Kennerin schöner Dinge und wusste Preise zu machen, die ihre Kunden und auch sie selbst zufriedenstellte. Dazu besaß sie einen winzigen Tabak- und Spirituosenladen, an dessen Tür meistens ein Schild hing: Komme gleich zurück.

      Aus den Büchern und durch seine Fantasien bestätigt, wusste Bernhard von den magischen Kräften der Frauen, die Männer hilflos und blöd, zu Schwächlingen und Verrätern, ja, Mördern machen konnten. Aber er verzieh es Charly insgeheim nicht, dass er sich in übergewichtige ältere Frauen verliebte, als sei er blind, als gäbe es diese zarten feenhaften Geschöpfe nicht, denen Bernhard in seinen Träumen so oft begegnete. Charly aber unterwarf diese Mütter-Frauen und ließ von ihnen Gebete und Hilferufe an sich richten. Er machte Puppen, die größer als er selbst waren, aus ihnen; sie reagierten auf seine Handbewegung, und wenn er es verlangte, umarmten, speisten und tränkten sie ihn.

      Henriette Rausch kniete vor Charly nieder, streichelte seinen Kopf, den er tief einatmend zwischen ihren Brüsten barg. »Da bist du ja endlich«, sagte Charly zufrieden und erregt. »Meine Schöne, mein Schweinchen, komm, lass dich anfassen, du!« Er griff mit beiden Händen derb an ihre Brüste, an ihre ausladenden Hüften, ihre prallen Schenkel. Henriette Rausch grunzte und quiekte, sie bekam einen Lachanfall, der ihr den Atem nahm.

      »Genug!«, rief sie lachend. »Genug, Charly, du Wilder, du, genug!«

      Bernhard war aufgesprungen und suchte die Gartentür. Mein Gott!, dachte er, voller Vorwurf gegen sich selbst: Ich ertrage das nicht mehr!

      Charly holte ihn ein, riss ihn herum, und Bernhard sah in des Bruders Clownsgesicht, aus dem alle Farbe und Schläue verschwunden war.

      »Komm zurück, Kleiner«, bat Charly. »Lauf bloß nicht weg, hörst du, tu das nicht. Ich habe sie ins Haus geschickt, mein Gott, ja, sie ist weg, wir sind allein, wir reden miteinander, über alles reden wir, darum bist du doch gekommen, Kleiner. Es kommt manchmal so über mich, weißt du, es ist die Verdammnis des Fleisches, die uns den Verstand nimmt.«

      Bernhard ließ sich von Charly zurück in den Garten

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