Berührungen. Gunter Preuß

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Berührungen - Gunter Preuß

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Als Bernhard nicht reagierte, hielt sie in ihrer Arbeit inne und fragte beleidigt: »Freust du dich denn gar nicht?«

      »Doch - doch, ja.«

      »Was denkst du, was das gekostet hat. Wenn der Apparat auch gebraucht ist, er war nicht billig, bei Gott nicht. Dein Bruder hat das Radio einem Lehrling abgekauft. Der hat es sich gespart durch Buntmetallsammeln. Sieh mal an. Es ist nicht so, dass alle Mütter ihren Söhnen ein Radio kaufen. So ist das nicht. Und du freust dich gar nicht.«

      »Aber doch, ja, Mutter, ja doch.« Langsam gewann er Interesse an dem kleinen Kasten. Er hörte gern Musik, wie die meisten jungen Leute englische Titel, die die Welt offener und zugänglicher erscheinen ließen. Am liebsten waren ihm Hörspiele, wo er zu den Stimmen Landschaften, Straßen, Häuser, Sonne, Regen, Himmel und Erde hinzuerfinden musste.

      »Dort, links, diesen Knopf musst du nach rechts drehen«, erklärte Maria. »Damit wird das Radio eingeschaltet. Es hat mehrere Wellen oder wie das heißt. Nun schalte es doch ein, Junge.«

      Bernhard folgte der Aufforderung, die Skalenbeleuchtung glomm gelb auf, eine Männerstimme sprach in breitem sächsischem Dialekt enthusiastisch von bevorstehenden Ernteerfolgen.

      »Hörst du – es spielt!« Maria lachte erleichtert.

      »Ja, es spielt!«, rief Bernhard überrascht. Auch er lachte.

      »Dreh mal weiter«, sagte Maria und trat näher heran. »Vielleicht findest du noch einen anderen Sender. Ja – dort rechts an dem Knopf.«

      Walzerklänge ertönten, Vogelgezwitscher, ein Biologe erklärte das Paarungsverhalten der Spinnen. Eine schnarrend reißerische Stimme kündigte auf Englisch irgendetwas an. Radio Moskau sendete: Du mein stilles Tal, grrruß dich tausend Mal ...

      Sie standen über das Gerät gebeugt eng beieinander und hörten zu, als würden sie zum ersten Mal Stimmen und Musik aus einem Radio hören, als stände nicht im Wohnzimmer ein altes großes Gerät, das alle Abende eingeschaltet war. »Hörst du«, sagte Maria. Sie lächelte zufrieden. »Ist das nicht schön. Hier findest du alles, was du brauchst, ohne dass du dir dabei den Arm oder womöglich das Genick brichst. Mache es dir nur gemütlich heute Abend. Ich habe Streuselkuchen gebacken. Und Kakao habe ich auch gekocht. Ich bin ja so froh, mein Junge.«

      Bernhard blieb an diesem Abend zu Hause, auch an den drei folgenden Abenden. Er meinte, Maria das schuldig zu sein. Das Radio übte eine ihm bisher unbekannte Faszination auf ihn aus. Sein Zimmer bekam Wärme, die Bilder an den Wänden bekamen Glanz, und es gelang ihm wie durch Zauberei, in Bruchteilen von Sekunden jeden beliebigen Teil der Welt in sein Zimmer zu holen. Gern lag er auf dem Bett, wenn die Dämmerung vom Bahngelände her in sein Zimmer kam. Das Radio stand auf seiner Brust. Die erleuchtete Skala mit den klingenden Namen der Weltstädte lockte ihn, den grünen Zeiger wandern zu lassen. Er hörte die verschiedenen Sprachen Europas. Manchmal meinte er, die Laute eines anderen Kontinents zu empfangen, und dann war es ihm, als hätte er in diesem Augenblick einen Teil der Welt entdeckt. Bis tief in die Nächte hinein hörte er zu: er bewegte sich im schleppenden Rhythmus der Karawane durch die Wüste; er war auf Großwildjagd im afrikanischen Busch; er experimentierte, von der Umwelt verlacht, in einem winzigen Labor an einer Erfindung, die den Menschen das ewige Leben geben sollte; er tanzte mit schönen Frauen in den prächtigen Sälen eines Schlosses; er war dabei, wenn geboren und gestorben wurde; er hörte Stimmen von Menschen, die in Not waren und um Hilfe riefen, hörte Gebete und Freudenschreie, und da waren auch wieder die Stimmen der Tiere, deren Sprache er einmal gesprochen, aber vergessen hatte.

      Aber dann kam die Stunde, in welcher der Zauber erlosch. Er suchte mit all den Stimmen, die er da hörte, das Gespräch. Aber seine Stimme wurde nicht gehört. Er fühlte sich ausgeschlossen, wenn andere auszogen, das Glück zu finden, er war zum Zuhören und Nichtstun verdammt. Er durchschaute die Mutter und war sich böse, dass er ihr geglaubt hatte. Das Radiohören war wie Marias Essen, das sie gekocht und ihm serviert hatte: Er brauchte es nur in den Mund zu bringen. Es war wie das Bett, das Maria ihm zurechtmachte: Er brauchte sich nur hineinlegen.

      »Wohin willst du?«, erkundigte sich Maria besorgt, als Bernhard im Trainingsanzug, den Campingbeutel geschultert, aus der Wohnung wollte. »Heute Abend bringen sie die Fortsetzung von diesem Hörspiel, in dem der Eisenbahner umgebracht worden ist. Mein Gott, bin ich neugierig, ob sein Freund der Täter ist. Was meinst du? Es kommen natürlich noch andere infrage, seine Frau zum Beispiel und dieser Heimkehrer, der da herumlungert.«

      »Ich muss zum Training.«

      »Wohin musst du?« Maria hielt Bernhard am Jackenärmel fest. Ihre Stimme hatte einen warnenden und zur Klage neigenden Tonfall. »Ich denke, damit ist endgültig Schluss. Habe ich nicht genug Kummer mit meinen Kindern? Rita arbeitet Tag und Nacht. Werner steckt in Uniform irgendwo an der Grenze in Thüringen. Charly treibt sich was weiß ich wo herum. Und Jinni, die Kleine, hat Fieber. Gestern Abend fast vierzig Grad. Du bleibst im Haus, Bernd!«

      »Ich gehe. Ich muss gehen.«

      »Du musst gar nichts«, erklärte Maria beruhigend. »Diese Sportsleute haben dich längst vergessen. Die Ärztin sagt, ich soll mich nicht aufregen. Das scheint dich nicht zu stören.«

      »Aber ich will dich nicht aufregen! Du regst dich selber auf! Ich muss gehen! Das musst du einsehen: Ich kann nicht bleiben!«

      »Sieh mal an. Sieh mal einer an.« Maria atmete schwer. »Du kannst nicht. Du musst. Sieh mal an. Und was wird mit dem Radio? Du hast es nicht bezahlen müssen. Das teure Gerät. Vier Abende hat es den feinen Herrn vergnügt. Vier Abende! Und nun muss er weg! Soll das Gerät nun nur herumstehen? Du gibst das Radio zurück! Du verdienst es nicht, dass ich dir ein so teures Gerät schenke!«

      Die Mutter fasste ihn an den Handgelenken. Er riss sich los und ging. An der Wohnungstür blieb er stehen und sagte, ohne sich umzusehen: »Aber das Radio gehört mir. Du hast es mir geschenkt.«

      »Du verdienst es nicht!« Die Stimme der Mutter überschlug sich. Er hörte deutlich ihre herrische Angst heraus. »Du gibst mir sofort das Radio zurück!«

      Er sprang die Treppe hinunter, dann aber wieder hinauf und schrie ins Dunkel des Flurs: »Nein! Das Radio bekommst du nicht. Es gehört mir! Mir!«

      Bernhard lauschte, er biss sich auf die Lippen, ballte die Hände, hustete, fragte schließlich: »Bist du – bist du noch da? Ist – ist was mit dir, Mutter …?«

      Nun war ihr unterdrücktes schnelles Atmen zu hören, eine ungeduldige Bewegung ihrer Füße auf ihn zu, gleich darauf ihre verlangende Stimme: »Hast du es dir überlegt, mein Junge? Bleibst du …?«

      »Nein!«

      Er warf die Tür hinter sich zu und rannte davon. Spät in der Nacht kam er nach Hause. Nach dem Training war er in eine Kellerkneipe eingekehrt, hatte mit drei Kohlenträgern Siebzehn und vier gespielt und mit ihnen über ihre derben Witze gelacht. Wie immer stand die Tür von Marias Schlafzimmer spaltbreit offen. Er hörte, dass die Mutter sich im Bett aufsetzte und dass das kleine Radio Musik spielte. Er ging in sein Zimmer, warf sich aufs Bett und dachte an Afrika, dieses wilde heiße Land, das auf ihn wartete wie eine Geliebte. Unter einer heißen Sonne träumte er sich in den Schlaf.

      Begegnung mit Hamlet (Verbotene Türen, 1985)

      Eines Abends, als Bernhard vergebens versucht hatte, sich in den Straßen müde zu laufen, stand er vor dem Städtischen Theater am Rand der Innenstadt. Es war diese unnachgiebige Hand, von der er nachts manchmal geweckt wurde, die

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