Berührungen. Gunter Preuß

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Berührungen - Gunter Preuß

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Das verdient Anerkennung.«

      Der Lehrer zog aus seiner Aktentasche einen Stoß Heiligenbilder und überreichte jedem der Belobigten eins. Die Heiligenbilder waren von allen Schülern sehr begehrt. Sie waren bunt und aus Glanzpapier, und manchmal zeigten sie Abbildungen schöner Frauen.

      Am begehrtesten waren die von der Jungfrau Maria. Die Heilige stand an eine Mauer gelehnt, den keuschen Blick auf ihre über der Brust zum Gebet gefalteten Hände gerichtet. Die Jungen radierten so lange am Kleid der Jungfrau Maria herum, bis sie nackt zu sehen war. Mit ein paar Bleistiftstrichen gaben sie ihr, was der Maler aus frommer Überlegung mit dem Kleid verhüllt hatte.

      Als Liebgott davon erfuhr, verteilt er nur noch Bilder des Kampfes zwischen David und Goliath. Aber die Schüler malten ihnen pralle Brüste und Hinterteile, so dass die Streitenden als nackte Weiber ihren Kampf fortsetzten.

      Auch Maria, Bernhards Mutter, hatte mehrmals versucht, ihrem Sohn ein Päckchen mit vom Munde abgesparten Lebensmitteln mitzugeben. Bernhard spürte, dass der Lehrer auch von ihm diesen Tribut verlangte. Aber gerade darum weigerte er sich, so ein Päckchen mit in die Schule zu nehmen.

      Von Liebgott bekam Bernhard immer schlechtere Zensuren. Wegen Nichtigkeiten ließ er ihn sich stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stellen. Bernhards Handflächen waren von den vielen Schlägen mit einer Hornhautschicht überzogen.

      Bernhards Mitschüler beobachteten gespannt, wie der ungleiche Kampf zwischen Lehrer und Schüler ausgehen würde. Sie schlossen eifrig Wetten ab. Nur die Stärksten von ihnen gaben Bernhard eine Chance.

      Zum Schuljahresende spitzte sich die Auseinandersetzung zu. Liebgotts mahnende Briefe an Bernhards Mutter häuften sich. Er teilte ihr mit, dass Bernhard versetzungsgefährdet sei. Sein Fleiß und vor allem seine Disziplin ließen doch sehr zu wünschen übrig. Überhaupt wisse er nicht, was aus dem Jungen werden solle, wenn er nicht recht bald Einsehen zeigen würde.

      Bernhard dachte ernsthaft daran, Liebgott umzubringen. Er schloss die Augen und sah sich einen Pfeil abschießen, der dem Lehrer in die Brust drang und ihn zu Boden sinken ließ. Oder er reichte ihm ein Bonbon, das Liebgott schmatzend lutschte, bis dann das Gift wirkte: Zuerst wurde ihm übel – dann traten seine Augen heraus – er begann zu röcheln, kippte auf die knarrenden Dielen des Klassenzimmers und flehte um Hilfe.

      »Das Bonbon war vergiftet«, sagte Bernhard lächelnd. »Es gibt keine Rettung mehr. Nun weiß ich wirklich nicht, was aus Ihnen werden soll.«

      Aber Tagträume halfen dem Jungen nicht, das Problem zu lösen. Ihm musste etwas einfallen, wenn er dem Lehrer nicht unterliegen wollte.

      In die Mädchenklasse Gleichaltriger war eine Neue gekommen: Margitta Krüger. Vergessen waren die blonden Frauen mit den Engelsgesichtern und die heiligen Weiber mit den Riesenbrüsten. Margitta war klein und zierlich. Sie hatte schwarze Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Ihre Brüste waren nur zu ahnen. Ihre Haut war tief gebräunt. In ihrer Nähe roch es aufregend nach Schweiß. Und sie war von einem Geheimnis umgeben, das Bernhard um jeden Preis der Welt lösen wollte. Manchmal, so glaubte er, lächelte sie ihm beim Hofgang verstohlen zu.

      Bernhard musste also in die nächste Klassenstufe versetzt werden, wenn Margitta Krüger ihn nicht als Sitzenbleiber verachten sollte. So entschloss er sich, seiner Liebe zu ihr seinen Hass auf Liebgott zu opfern. Er legte das Päckchen wie die anderen Schüler in der Mittagspause hinter die Tafel. Und Bernhard wurde versetzt. Der Mutter fiel ein Stein vom Herzen, als sie auf seinem Zeugnis las, dass ihr Sohn es verstände, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen.

      Noch am selben Tag fand Bernhard in seinem Schulranzen einen Brief. Er war von Margitta Krüger, und in ihm standen Worte der Verachtung, dass er dem verhassten Liebgott nun doch nachgegeben hatte.

      Bernhard zerriss sein Zeugnis und führte seine Bleisoldaten in eine entsetzliche Schlacht. Keiner durfte überleben. Sie lagen verstreut auf dem Fußboden, und er ließ seine bunten Glaskugeln über sie hinwegrollen.

      Das Radio (Verbotene Türen, 1985)

      Die Mutter hatte ständig neue Einfälle, um Bernhard vom Sporttreiben abzubringen. Jede Sportart, über die sie alles, was sie beunruhigen konnte, in Erfahrung gebracht hatte, war für sie eine Art Kampf, bei dem sie Tote nicht ausschloss. Sicherheit für sich und für die Ihren sah sie nur in ihrer häuslichen Welt. Den Unfall, der hier hätte passieren können, dass jemand auf den blank gebohnerten Dielen ausrutschte, wollte sie verhüten, indem sie aus alten Teppichen zugeschnittene Läufer auf die Wege, die durch die Zimmer zu gehen waren, gelegt hatte.

      »Herrgott noch mal!« Sie stöhnte auf, als Bernhard nach dem Judotraining hinkend und mit schiefem Hals nach Hause kam. »Jetzt ist es aber genug, Junge! Willst du dich umbringen lassen?«

      Bernhard gab weder ihren Bitten noch Drohungen, den Sport aufzugeben, nach. Pünktlich eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn verließ er die Wohnung im Trainingsanzug, den Campingbeutel mit den Sportsachen über die Schulter geworfen. Zum Abschied küsste er die Mutter, sprang die Treppe hinunter und rannte aus dem Haus.

      Als Maria erkannte, dass Bernhard so nicht in der Wohnung zu halten war, wandte sie eine andere Taktik an. Jeden Nachmittag, wenn er aus der Schule nach Hause kam, wartete eine Überraschung auf ihn: ein ausgeliehenes Buch, selbst gebrannte Malzbonbons, ein Kanarienvogel, der nicht singen wollte.

      »Was soll denn das?«, wehrte Bernhard beunruhigt ab. »Ich habe alles. Ich brauche nichts.«

      »Nun rede schon«, bat Maria. »Wenn du einen Wunsch hast - ich tue, was ich kann. Wir sind arme Leute, ja, aber so arm sind wir nicht, dass ich dir nicht einen Wunsch erfüllen kann.«

      »Ich habe keinen Wunsch, Mama.«

      »Man hört, die Jungen sind jetzt alle verrückt auf ein Radio. Willst du – soll ich dir ein Radio kaufen? Dann brauchst du nicht mehr weglaufen. Aus so einem Radio kann man alles hören. Die Welt kannst du dir in dein Zimmer holen, die ganze Welt, wenn du nur willst.«

      »Ich will kein Radio.« Bevor Bernhard zum Sport kam, war für ihn ein Radio die Erfüllung eines Traumes gewesen, vor allem so ein Gerät, das man mit sich herumtragen konnte. Abends trafen sich Jungen und Mädchen an den Straßenecken und in den Ruinen, und mancher von ihnen hielt ein Radio im Arm. Aus dem Lautsprecher waren klirrende Musik und quäkende englische Stimmen zu hören. Bernhard hatte nie gewagt, seinen Wunsch laut werden zu lassen. Die Mutter hätte ihn dann angesehen, als hätte er sich eines Verbrechens schuldig gemacht.

      »Ich kann kein Radio gebrauchen«, sagte Bernhard, und er drohte: »Oder ich stelle mich damit zu den anderen an die Straßenecke.«

      »Wer so ein ordentliches Zuhause hat wie du, der braucht nicht an schmutzigen Ecken herumzulungern. Warum quälst du deine arme Mutter?«

      »Ich – ich will dich nicht quälen«, sagte Bernhard bitter, wich Marias Blick aus, ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden.

      »Und doch tust du΄s.« Die Mutter ließ ihn nicht aus dem Blick, wartete auf das geringste Anzeichen von Schwäche, um ihn in ihre Arme zu schließen.

      »Womit habe ich das verdient?« Maria schluchzte, Tränen in den wachsamen Augen. »Ist das nun der Lohn dafür, dass ich euch immer eine gute Mutter war? Ja, geh nur, geh, verlass nur deine Mutter!«, rief sie ihm nach, als er aus der Wohnung rannte, um nicht doch noch schwach zu werden.

      Bald darauf, eines Abends, fand

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