Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
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der Maas gestellt, und niemand wartete sein, und niemand
kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein
Mönch, den niemand kannte, der fuhr hinüber auf die
Insel, und betete über dem Sarge, und las Messen
über den Toten, und sang ihm das Requiem, und das
trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und
den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speier führen
ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des
Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof
nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers
Überreste aus dem Banne lösete. Das währte fünf
Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in
Sankt Afras Kapelle unbeerdigt stehen. Aber den Kaiser
Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden,
denn er blieb erbenlos, fiel in des Papstes Bann wie
sein Vater, und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme
zu Speier ein Glöcklein von selbst gar hell
und schrillend – und keine andere Glocke fiel ein, und
niemand wußte, warum es läute, und das Volk lief zu-
sammen und fragte sich untereinander: Wo wird denn
einer ausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?
45. Die Juden in Worms
Mitten im Wein- und Wonnegau am gesegneten
Rheinstrom, im Mark der Pfalz, erbauten Völker der
Frühzeit das uralte Worms; dort haben schon Juden
gewohnt nahe sechshundert Jahre vor Christi unsers
Herrn Geburt. Die waren in Verbindung geblieben
mit dem Lande ihrer Väter, mit Palästina, als aber den
Priestern zu Jerusalem einfiel, ihnen zu befehlen, sie
sollten hinwegziehen aus dem allzufernen Lande,
damit die Männer nach Jehovas Gebot die drei hohen
Feste zu Jerusalem mitfeiern könnten, und wenn sie
nicht kämen, würde die Strafe ihres Gottes sie treffen
– da schrieben die Juden zu Worms an den hohen
Rat zu Jerusalem zurück: Ihr wohnet im gelobten
Lande; ihr habt einen Tempel, und wir haben einen
Tempel; ihr habt eine Gottesstadt, und wir haben
eine. – Und der Totenhof dieser Juden hieß der Heilige
Sand, der war hoch mit Sand bestreut, welcher aus
Jerusalem gen Worms geschafft worden war, so viel
vermochte ihr Reichtum. Als die Juden zu Jerusalem
den Weltheiland kreuzigen wollten, hatte die Judengemeinde
zu Worms nicht dazu gewilligt, vielmehr in
einem ernsten Schreiben davon abgemahnt, das hat
ihr hernachmals gute Frucht getragen, denn die Kaiser
haben sie mit großen Freiheiten begabt, und es ist das
Sprüchwort im Reich ergangen: Wormser Juden,
fromme Juden. Sie hatten einen Vorsteher aus ihrer
Mitte, der hieß der Judenbischof. Er war der erste der
drei obersten Rabbiner, die es in Deutschland gab, zu
Worms, zu Prag und zu Frankfurt am Main.
46. Von den Dalbergen
Auch das Geschlecht der Dalberge, das dem Wormsgau
entstammte, ist ein uraltes; es leitete die Wurzeln
seiner mythischen Stammbäume tief hinab in die Zeitenfrühe,
bis zur Wurzel Jesse. Ein Dalberg soll,
nachdem Jerusalem durch Titus zerstört worden, mit
der zweiundzwanzigsten Legion römischer Krieger
nach Worms gekommen sein und dort den neuen
Stamm begründet haben, auch Hauptmann der Stadt
Worms geworden sein. Er brachte viele Juden als
Sklaven mit und verkaufte ihrer dreißig um einen Silberling
an die Stadt Worms. Im Mittelalter wurde den
Dalbergen der Ehrentitel die Kämmerer von Worms,
und sie wachten mit Ernst über ihres Geschlechts uralten
Stamm. Einst wollte eine Dalbergin hinüber
zum Stift auf Unser-Lieben-Frauen-Berge nahe bei
Worms fahren, allwo der übervortreffliche Wein
wächst, Liebfrauenmilch geheißen, der Kutscher aber
wußte nicht, wohin sie fahren wollte, und fragte sie,
da sprach sie ganz stolz: Zu meiner Muhme nach
Liebfrauen – und meinte mit der Muhme die Jungfrau
Maria. So sehr hob sich der Dalberge Geschlecht zur
Blüte, daß zu Worms nach ihnen eine Gasse ausschließlich
die Kämmerergasse hieß; auch standen unmittelbar
unter diesen Kämmerern von Worms des
Heiligen Reiches Kammerknechte, die Juden. Und
wenn die deutschen Könige und Kaiser nach ihrer
Krönung junge Edle durch den Ritterschlag erheben
wollten, so mußte jedesmal vor allen andern der Herold
ausrufen und fragen: Ist kein Dalberg da?
47. Wormser Wahrzeichen
Am westlichen Portal des uralten Domes Unserer Lieben
Frauen zu Worms ist als ein steinern Bildwerk