Der Hölle so nah. Michael Bardon

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Der Hölle so nah - Michael Bardon

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krankmachenden Atmosphäre auszusetzen. Über den ungeheuren Lärmpegel, die krankheitserregenden Keime und zurückgelassenen Bakterien möchte ich an dieser Stelle lieber erst gar nicht nachdenken.

      Ich lebte nach dem Motto, dass nur in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnen kann. Sport, genügend Schlaf sowie eine biologisch einwandfreie, ausgewogene Ernährung waren in meinen Augen die Eckpfeiler für ein gesundes Leben. Natürlich gönnte ich mir hin und wieder auch einen Schluck Alkohol. In Maßen genossen, kann ein 100-Punkte-Wein wie der 2009er Château Pontet Canet oder ein dreißig Jahre alter Glenfiddich-Whisky auch ein Jungbrunnen für Geist und Seele sein.

      Ich saß also an meinem Tisch, nippte an einem köstlichen dreißig Jahre alten Whisky und hielt Ausschau nach einer hübschen und willigen Gespielin.

      »Oh, Mann, schau dir mal die Brünette da vorne an!«

      Ich schaute in die angegebene Richtung, runzelte die Stirn und fragte ratlos: »Welche meinst du?«

      »Die, die rechts neben dem blonden Hungerhaken steht. Siehst du die?«

      Ich blickte zuerst zu meinem Freund Winni, dann nahm ich die Frau in Augenschein.

      »Ja, nicht schlecht. Aber auch nichts Besonderes.«

      »Nicht schlecht«, äffte mich Winni mit nasal verstellter Stimme nach.

      »Ja, nicht schlecht. Eine von vielen. Schau dich doch um! So eine findest du hier drinnen ein gutes Dutzend Mal.«

      »Hast du heute schon in den Spiegel geschaut? Nur so am Rande: Du siehst noch immer so scheiße aus wie gestern, vorgestern oder vorvorgestern.«

      Ich hasste das!

      Dr. Winfred Alois Burgmann, mein einziger Freund und engster Vertrauter, ließ mich mal wieder wissen, dass ich beileibe kein schöner Mann war. Dank diverser kahler Stellen auf meinem Haupt hatte ich mich dazu entschlossen, meine Haare gänzlich abzurasieren.

      Ich trug eine Brille – Kontaktlinsenunverträglichkeit –, und mit meinen 1,74 Metern war ich blöderweise auch kein Hüne. Wenn man es aus allen zur Verfügung stehenden Blickwinkeln betrachtete, konnte man mich am besten mit einer grauen Maus vergleichen. Ich ging in der großen Masse einfach unter. Wer mich sah, vergaß mich wenige Augenblicke später wieder, tilgte mich als unbedeutend aus seinem Kurzzeitgedächtnis.

      Winni hingegen war ein Adonis. Er war das Ebenbild eines griechischen Gottes. Ein kleines Lächeln seinerseits trieb beinahe jede Frau an den Rand einer Ekstase. Er war der Zauberer der Verführung, der Magier des One-Night-Stands, der Meister der Wollust. Und darüber hinaus seit über zwanzig Jahren mein bester, weil einziger Freund. Wir hatten gemeinsam studiert, das eine oder andere Abenteuer erlebt und waren nun Partner in unserer eigenen Kanzlei.

      Ich hatte das goldene Gehirn, er das hübsche Gesicht. Mir gehörten 65 Prozent, ihm die restlichen 35. Ich arbeitete die Verträge aus, entwarf die Schlachtpläne, schuf die Voraussetzungen für eine Firmenübernahme. Er repräsentierte unsere Kanzlei medienwirksam und zog die Menschen dank seines guten Aussehens sowie seiner Redegewandtheit auf unsere Seite.

      »Trotzdem! Die ist mir zu fad. Das ist gemeine, langweilige Hausmannskost. Ich will aber eine Delikatesse. Sie soll was ganz Besonderes sein, so wie ich«, sagte ich und wusste im selben Moment, dass ich Winni gerade eine Steilvorlage für Spott und Hohn gegeben hatte.

      »Du meinst bestimmt so eine wie die da«, sagte er und verzog seine Kussmund-Lippen zu einem wissenden Lächeln.

      Mein Blick folgte seinem muskulösen Unterarm, den er lässig in Richtung der Eingangstür streckte. Mein Herzschlag setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus. Dann galoppierte es wieder los, pumpte Adrenalin, Endorphine und Glückshormone durch meine Venen.

      Jaja, ich weiß genau, was Sie jetzt denken! Zu meiner Ehrenrettung möchte ich jedoch erwähnen, dass ich noch nie, ich betone: noch nie mit meinem Hermann gedacht habe. Ich bin ein knallharter Realist. Denke mit mathematischer Präzision und verfügte über die Gabe, meine Gefühle jederzeit und an jedem Ort vollständig auszublenden.

      Doch dem Zauber dieses Augenblickes konnte ich mich einfach nicht entziehen. Ich erlag ihm wie eine Motte, die mit weit ausgebreiteten Flügeln dem tödlichen Tausend-Watt-Strahler entgegenflog.

      Wie soll ich Ihnen nur beschreiben, welch einzigartiges Bild meine Sehnerven in mein Gehirn projizierten? Wie nur kann ich Ihnen – mit meinem ungeübten, poesiebefreiten Wortschatz – die sinnliche, atemberaubende Ausstrahlung meiner Charly veranschaulichen?

      Was ich dort in der Tür sah, verschlug mir einfach den Atem, trieb meinen Puls in schwindelerregende Höhe, verjagte jegliche Logik aus meinen umhertollenden Gedanken.

      Doch das – so glaube ich jedenfalls – habe ich bereits vor ein paar Sekunden in ähnlicher Form schon einmal erwähnt, oder?

      Egal! Ich saß also in diesem bequemen, aus Büffelleder gefertigten Clubsessel und starrte voller Faszination auf die Kehrseite einer Frau. Ihr blondes Haar war seitlich kurz geschoren, während das restliche, gut 15 Zentimeter lange Deckhaar nach allen Seiten wild abstand. Sie trug ein weißes, fast rückenfreies Neckholder-Top, das einen Hauch über dem Ansatz ihrer schwarzen Designer-Jeans endete. Eine kleine Gucci-Handtasche baumelte lässig von ihrer sonnengebräunten Schulter und ihre Füße steckten in bequem aussehenden Leinenschuhen mit einer flachen Sohle.

      Nichts Besonderes, mögen Sie jetzt denken. Eine Frau in Jeans, mit Leinenschuhen, Gucci-Handtasche und rückenfreiem Top. So was findest du im Sommer an jeder Straßenecke.

      ‹Weit gefehlt›, kann ich da nur sagen! Es war das Gesamtbild ihrer Erscheinung, das mich unwiderruflich in ihren Bann zog. Ihre sonnengebräunte Haut, ihre stolze, aufrechte Haltung, ihr schlanker Hals, ihre wohlgeformten Hüften und der schönste Popo, den Sie sich vorstellen können.

      Diese Frau war, obwohl ich sie noch nicht von vorn gesehen hatte, das perfekte Ebenbild meiner Träume. Ich wusste intuitiv, dass mich, wenn sie sich umwandte, ein schönes Gesicht, knackige Brüsten und ein flacher Bauch erfreuen würden.

      »Winni … Winni!«

      »Ja, Kumpel?«

      »Das, das, das … ist meine Traumfrau«, stammelte ich entgeistert und fühlte ein wildes Pochen in meinen Lenden.

      »Häh? Du hast die Alte ja noch nicht einmal von vorn gesehen. Vielleicht ist sie so hässlich wie die Nacht. Oder hat ´ne fette Warze im Gesicht, schlechte Zähne oder Hängetitten.«

      »Hat sie nicht!«

      »Woher willst du das wissen? Bist du jetzt auch unter die Hellseher gegangen?«

      »Quatsch, Winni. Ich weiß es einfach. Schau sie dir doch an. Hast du schon einmal so eine hübsche Frau gesehen? Ich meine, schau dir doch nur einmal ihre Haut an. So braun, so zart, so einmalig sanft.«

      »Und das siehst du alles auf zehn Metern Entfernung. Mann, Tobias, wann hattest du denn deinen letzten Fick? Ist schon ´ne Weile her, oder?«

      »Du weißt genau, dass ich die letzten Wochen wie ein Verrückter geschuftet habe. Meinst du, die Arbeit im Büro erledigt sich von allein? Auf dich kann ich ja nicht zählen!«

      »He, du hast deinen Job und ich meinen. Komm mir also nicht so! Sex ist keine Sache der Zeit. Du kannst es überall und zur jederzeit

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