Rasante Zeiten - 1985 etc.. Stefan Koenig
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Die Erlebniswelt, durch die ich Sie romanhaft führe, war meine Welt. So entspricht das Buch in vielerlei Hinsicht meiner Weltsicht und meinen Erlebnissen. Es erhebt weiß Gott – wenn er denn existiert und überhaupt etwas wissen kann – nicht den Anspruch der Allwissenheit. Die Gläubigen unter meinen Leserinnen und Lesern wissen es zu schätzen, dass es nur einen Allmächtigen und Allwissenden geben kann. Jedenfalls bin ich es nicht.
Was ich trotz all meiner Ohnmacht und Unwissenheit versucht habe zu erfassen, ist der Zeitgeist. Jener besagte heilige Zeitgeist. Es gibt ihn tatsächlich. Denn sehr oft wird von ihm geredet – was nicht heißt, dass alles, worüber viel geredet wird, auch tatsächlich existiert. Denken Sie etwa an den Weihnachtsmann oder den Osterhasen. Bei Engeln könnte ich mit einigen von Ihnen gewiss in Streit geraten. Aber lassen wir das. Die Achtziger waren streitbar genug.
Das herrschende Lebensgefühl war wohl die Umweltangst, die Sorge vor der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Was aber war noch das bestimmende Lebensgefühl? War es die Sucht nach Luxus und Überfluss, war es die Radikalisierung oder aber die Verflachung der Musik? War es die Ermüdung des jugendlichen Elans bei gleichzeitigem Ruf nach traditionellen Werten?
Es gab Schlagzeilen, die uns faszinierten, entsetzten, interessierten, schockierten. Da landete ein junger Husar aus Hamburg mit seiner Cessna auf dem Roten Platz. Da kam Aids auf, es gab Hungersnöte in Afrika, in Fußballstadien starben Fans. Und da war Krieg, wohin man sah. Man konnte es nicht mehr sehen … Aber da sangen auch die Vögelein, und Rio Reiser sang sich zum König von Deutschland hoch, und Madonna donnerte sexy ins Musikgeschäft hinein. Es waren wirklich rasante Zeiten.
Dieses Buch ist den Helden unserer Zeit gewidmet, die auch unter größter Gefahr für die eigene Existenz
der Wahrheit verpflichtet bleiben:
Julian Assange
Barret Brown
Glenn Greenwald
Chelsea Manning
Edward Snowden
sowie den vielen Frauen und Männern, die weltweit
der Korruption und dem Opportunismus widerstehen,
den hunderten hier nicht Genannten,
den weniger Berühmten und
tausenden mutigen Unbekannten.
Sie kämpfen gegen die abgrundtiefe Bösartigkeit und Ignoranz der Herrschaftseliten, welche die westlichen Demokratien zu Fassadendemokratien umgebaut haben.
* Auch dem kleinen Maxim Joris gewidmet *
George Orwell & das Jahr 1984
Ich war im ersten Moment sprachlos. Noch eben hatte ich unsere Nachbarn für den verabredeten Sauna-Abend an diesem trüb-kalten Novembertag erwartet. Jetzt standen vor unserer Haustür zwei Herren mit dem zweifelhaften Charme grauer Eminenzen und hielten mir ihre Blechmarken unter die Nase.
„Staatsschutz. Dürfen wir reinkommen?“
Ich war gerade von meiner Arbeit an der Frankfurter Uni nach Hause gekommen und hatte meine Frau Emma, unsere eineinhalb-jährige Karola und den sechs Wochen alten Luca mit einem Küsschen begrüßt. Es war schön, endlich einmal zeitig zu Hause zu sein. So schön, Ruhe zu haben, bevor die Saunarunde angetanzt kam. So schön, Emma mit den beiden Süßen im Arm auf dem Sofa liegen zu sehen. Ich war entspannt und wollte gerade in die Küche gehen, um meiner Frau und mir einen Tee zu machen, als es geklingelt hatte. Erst einmal, dann ein zweites, und schließlich ein drittes, aufdringliches Mal.
„Schon die ersten Nachbarn?“, hatte ich Emma gefragt und auf die Uhr geschaut.
„Na, die wären aber mehr als eine Stunde zu früh.“
Es war Viertel nach Fünf, und erst um halb Sieben war die Saunarunde angesagt. Ich hätte mich am Liebsten tot gestellt und wäre nicht zur Tür gegangen, aber da klingelte es schon wieder, diesmal lange, sehr lange. Der kleine Luca hatte zu schreien begonnen.
Ich war zur Wohnungstür gegangen, hatte den Hausflur durchquert, die Haustür erwartungsvoll geöffnet und starrte nun auf diese beiden ovalen Blechmarken, auf denen „Zentrale Kriminaldirektion Land Hessen ZK 10“ eingraviert stand.
Mir ging blitzschnell so viel durch den Kopf, dass ich selbst nicht wusste, wie mir geschah. Ich dachte an meine Zeit in den USA, wo ich auf Kosten der IBM schwarz telefoniert hatte – konnte das vielleicht ein Grund sein? Aber ausgerechnet der Staatsschutz? Die IBM-Telefonate waren reines Privatrecht – da sah ich wahrhaftig keinen Zusammenhang.
Ich dachte an meine Verbindungen zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ACLU, der American Civil Liberties Union – was konnte daran verboten sein? Meine Blitzerinnerung führte mich aber auch zurück in die noch frühere Zeit der 1970er Jahre, als ich für den Verfassungsschutz zum Vorwand für eine kleine klassische Verschwörung wurde. Nur weil er mich kannte, sollte ein Schulkamerad Berufsverbot und damit keine Assistenzprofessur erhalten – offensichtlich war ich für unsere Staatsschützer ein Staatsfeind. Und der Bekannte eines Staatsfeindes war ebenfalls ein Staatsfeind. In jenen frühen Zeiten hatte ich Altkleidersammlungen für den Befreiungskampf der Vietnamesen gegen das völkerrechtswidrige, jahrelange Dauerbombardement der USA organisiert. Spendensammelei für Medizin, die von der vietnamesischen Bevölkerung dringend benötigt wurde. Der christliche Westen hatte die offiziellen Medizinlieferungen boykottiert. Konnte man als humanistischer Spendensammler im Christenland schon zum Staatsfeind werden?
Ich dachte an meinen verschwundenen Koffer, der höchstwahrscheinlich von der CIA noch auf dem International Airport in San Francisco vor meinem Abflug nach good old Germany abgefangen worden war. Stand etwa etwas Staatsgefährdendes in meinen Dokumenten? Vielleicht, dass die Amis ein äußerst progressives Gesetz hatten, den »Freedom of Information Act«, der jedem Bürger die Einsicht in seine von den Behörden geführten Akten unumschränkt erlaubte? Dass es große Hürden für die Administrationen gab, wenn sie dieses Recht ihren Bürgern verweigern sollten – konnte ein solch offen vorliegendes Wissen für die BRD-Behörden Verfolgens wert sein?
Und dann klopfte jenes Literaturglanzstück des laufenden Jahres wie verhext an mein Oberstübchen: »1984«, von George Orwell. Würden mich diese beiden Staatsschützer vielleicht auf unseren Staat einschwören wollen? Würden sie mir Fragen nach Orwellschem Muster stellen? Total verschwörerisch …
„Herr Koenig, sind Sie bereit, für unseren Staat Ihr Leben zu opfern?“
„Ja“, würde ich des Scheins halber antworten, um ihre wahre Absicht in Erfahrung zu bringen.
„Sind Sie bereit, einen Mord zu begehen?“
„Ja.“
„Sabotageakte zu begehen, die vielleicht den Tod von Hunderten von unschuldigen Menschen herbeiführen?“
„Ja.“
„Unser Land an die Vereinigten Staaten von Amerika zu verraten?“
„Ja.“
„Sind