Rasante Zeiten - 1985 etc.. Stefan Koenig
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Der Staatsschützer ging nicht auf meine Frage ein. „Vielleicht brauchen diese RAF-Nachfolger unauffällige Familienautos in der Hoffnung, nicht aufzufallen. Aber der Zufall deckt dann doch immer wieder einmal etwas auf. Die Dame, die am Steuer der Dublette saß, fuhr einfach zehn Stundenkilometer zu schnell – und schon ist die aufwendig hergerichtete Dublette aufgeflogen. Jetzt ist unser Part herauszufinden, wie die gerade auf Ihren Mercedes gestoßen sind. Deshalb unsere Fragen.“
Der Beamte stand auf, auch Herr Hase erhob sich.
„Sie haben keine Idee dazu?“, fragte mich Herr Hase.
„Keine Spur, meine Herren. Ich bin politisch weit entfernt von diesen sogenannten Feierabend-Terroris-ten.“
»Feierabend-Terroristen« hatten die Behörden und Zeitungen jene Politgangster genannt, die meinen Fast-Schwiegervater, den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry, und andere hohe Bundesbeamte ermordet hatten – aber es waren allesamt sehr merkwürdige Morde. Ohne echte Bekennerschreiben. Ohne politisch übliche Pamphlete, ohne theoretisches, bombastisches Rechtfertigungsgebrabbel – außer bei Karry, wo in einer sehr ungewöhnlichen und unglaubwürdigen Weise einige Klugscheißereien zum Besten gegeben worden waren. Merkwürdige Umstände. Merkwürdig mangelhafte Ermittlungen. Merkwürdige Morde mit merkwürdigen Hintergründen. Und dann dieser offiziell benutzte Begriff von „Feierabend-Terroristen“ – das klang so mysteriös verschleiernd wie die immer wieder aus der Klamottenkiste gezogene Einzeltäter-These bei rechtsradikalen Anschlägen und Morden.
Ich nahm die Mäntel der beiden vom Kleiderhaken und reichte sie ihnen.
„Danke, Sie sind der perfekte Gastgeber, aber Sie brauchen uns nicht in den Mantel zu helfen“, sagte der kleine Dicke lachend.
„Das hätte ich allein deshalb nicht gemacht, weil sie sportlich ausschauen“, antwortete ich. Tatsächlich sahen sie wie zwei unsportliche, bürokratische Sesselfurzer aus. Dann fügte ich hinzu, weil es mir tatsächlich erst jetzt einfiel: „Und entschuldigen Sie bitte, dass ich vergessen habe, Ihnen etwas zu trinken anzubieten. Aber Ihr Besuch kam so überraschend, dass ich …“
„Keine Sorge“, sagte der Dicke, „das holen wir jetzt nach.“ Und weg waren sie.
Irgendwie hinterließ der Besuch etwas Menschlich-Normales und doch auch etwas Unheimliches. Natürlich musste ich wieder an meinen aktuellen Lesestoff von George Orwell denken: »1984«. Dazu diese trübe Novemberstimmung. Da war jetzt die Sauna genau der richtige Ort.
*
Die ersten Besucher der Saunarunde kamen einfach herein. Die Tür war wie an jedem Saunaabend nur angelehnt. Ich hatte die Klingel abgestellt, damit die Kinder nicht geweckt wurden. Trotz Großstadt-Trallala hatten wir dieses grenzenlose urbane Vertrauen. Es wurde acht Jahre später heftig erschüttert.
Moni brachte ihren traditionellen Nudel-Salat mit, den ich nicht ausstehen konnte, weil sie ihn regelmäßig mit Mayonnaise überfrachtete. Ihr Mann, Logistiker bei REWE, brachte gebratene Hähnchenteile mit. Gunnar war früher ein Liebhaber knuspriger Hähnchenschenkel gewesen. Wenn er sich daran hörbar erinnerte, tätschelte er – Sigmund Freud ließ grüßen – die Oberschenkel seiner Liebsten. Er beschaffte die Hähnchen bei einem Bauernhof im Vogelsberg, wie er immer aufs Neue zu betonen pflegte. Auch unsere ewig gackernde Moni stammte aus dem Vogelsberg, jenem herrlichen Naturfleck zwischen Gießen und Fulda. Was die Hähnchenbeschaffung betraf, glaubte ich ihm auf‘s Wort. Emma glaubte ihm kein Wort. Dennoch wurde Gunnar sechs Jahre später Prokurist unserer Unternehmen, was wir jetzt noch nicht ahnten.
Erstaunlich war, dass er, der Hähnchenbeschaffer, seit Neuestem Fleisch verabscheute. Er war nun einer der ersten männlichen Vegetarier.
Nur Moni konnte er nicht auf den Vegetarier-Kurs zwingen; ganz im Gegenteil. Je mehr er von seinem vegetarischen Leben schwärmte, desto versessener schien sie heimlich Schnitzel und gelegentlich Hähnchenschlegel beim Metzger um die Ecke zu genießen. Wenn Gunnar und ihr gemeinsamer pubertierender Sohn Philip mittags noch nicht zu Hause waren, schlich sie sich davon und täuschte für die beobachtende Nachbarschaft einen Familieneinkauf vor. Per Zufall hatte ich sie einige Male beim Metzger getroffen. Mein Gott, ich wollte sie dort nicht treffen! Und meine Güte, ich gehörte nicht zur beobachtenden Nachbarschaft – was man von Moni nicht behaupten konnte.
Wohl deshalb fragte sie mich jetzt ein wenig aus.
„Wer waren denn die beiden Herren, die da vor eurer Haustür standen?“
Ich wusste sofort, wen sie meinte. Da aber gerade der zweite Schub an Saunagästen zur Tür hereinströmte, sagte ich: „Erzähl‘ ich dir später. Das ist eine längere Geschichte. Was ich dich fragen wollte: Macht Philip eigentlich die Essenspläne seines Vaters mit?“
Philip wuchs nun in seinem sechsten Lebensjahr schon voll vegetarisch auf. Und er war dennoch – wahrscheinlich aber gerade deshalb – sehr gut in der Schule, wie Moni und Gunnar unentwegt betonten. In seiner Klasse, in der die fleischfressenden Freunde noch weit in der Überzahl waren, war er jedoch in jeglicher Hinsicht Einzelgänger.
„Er schreibt schon wie ein Siebtklässler“, sagte Moni stolz. „Und er hat das Mathetalent seines Vaters geerbt, was ich neidlos zugestehen muss.“
„Vegetarisch bedingt?“, fragte ich.
Sie gackerte.
Als Gunnar sich etwas abseits mit dem gerade hinzugestoßenen Ärztepaar Anne und Tobias unterhielt, flüsterte sie mir zu: „Bitte keine Bemerkung über meine Balkonaktivitäten.“
Erst stutzte ich einen Moment, dann musste ich lächeln und antwortete mit einem klaren: „Ehrenwort!“
Auf Monis Balkon, über den wir uns zuwinken konnten, rauchte sie – auch hier heimlich und verschwörerisch – ihre ansonsten auf dem Küchenschrank sorgsam versteckten Zigaretten. Gunnar hatte das Rauchen strikt untersagt, „da man der Jugend kein falsches Vorbild abgeben darf“, wie er, der pädagogisch stets »on top« war, betonte.
„Wenn ich mein Zigarettchen morgens und mittags nicht rauchen kann, werde ich fett. Ich explodiere dann regelrecht und mein Mann wird mich von einer Diät zur anderen jagen“, flüsterte sie weiter. „Ich habe jetzt schon drei Kilo zu viel drauf!“
Die kleine Blondine war gut proportioniert, aber keinesfalls hatte sie eine jener vielen Brigitte-Diäten nötig, die seit einigen Jahren das besondere Geschenk der Unternehmerfamilien Gruner und Jahr an die neue ernährungsbewusste Welt der Feministinnen war. Mit Diäten ließ sich neuerdings gut Umsatz machen.
Inzwischen hatte Gunnar seine Nachbarn Anne und Tobias tief in pädagogische Austauscherfahrungen über ihre beiden gleichaltrigen Söhne verstrickt.
„In Sachen Ordnungssinn bin ich strikt!“ Gunnar hatte drei Wände des Kinderzimmers mit halbhohen Schubladenregalen versehen, und jede Schublade hatte eine große Überschrift mit etlichen kleinen Unterpunkten. Ein perfektes, bis ins Kleinste ausgeklügeltes Ordnungssystem, das einem jungen Menschen das Schubladendenken unheimlich nahe bringen musste.
Anne, die fast-promovierte Arztfrau – sie hatte kurz vor der Heirat die Doktorarbeit abgebrochen –, war jedoch keineswegs