Die Glasbrecherin. Irene Euler

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Die Glasbrecherin - Irene Euler

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es nicht mehr auf ihren eigenen Beinen verlassen kann, sondern auf einer Bahre hinausgetragen wird.“

      Oredion blieb fest. Allerdings klangen seine Worte wie auswendig gelernt: „Du widersprichst dir selbst, Wiralin. Auf der einen Seite pochst du darauf, dass Erdree genauso behandelt werden muss wie die anderen Soldaten. Auf der anderen Seite weißt du genau, dass sie nie wie die anderen Soldaten sein kann, weil sie eine Glasbrecherin ist. Entweder behandeln wir Erdree also so gut, dass sie dazu imstande ist, ihren Dienst zu erfüllen. Dann müssen wir hundertmal mehr Rücksicht auf sie nehmen als auf einen gewöhnlichen Soldaten. Oder wir behandeln Erdree genauso wie einen gewöhnlichen Soldaten. Dann können wir wirklich Wetten darüber abschließen, wie viele Wochen sie noch leben wird. In diesem zweiten Fall wäre deine Fahrt nach Mooresruh völlig umsonst gewesen, und Ulantes Pläne wären durchkreuzt. Man könnte sogar sagen, dass wir dann Ulantes Befehle missachtet hätten. Unsere Generalin wünscht, eine Glasbrecherin beim Heer zu haben. Erdree ist wichtig – so wichtig wie dein Bogen und deine Pfeile. Ich habe unzählige Male zugesehen, wie du deinen Bogen ölst und jeden Pfeil einzeln inspizierst. Erdree einen Pelzmantel zu geben und ein wenig auf ihr Wohlergehen zu achten, ist viel weniger Aufwand als das.“

      „Wofür ich meinen Bogen und meine Pfeile brauche, weiß ich. Welchen Dienst die Glasbrecherin für uns leisten soll, ist mir schleierhaft. Und für eine nutzlose Waffe ist jeglicher Aufwand zu groß!“

      Wiralin fixierte Oredion gnadenlos mit seinem verbliebenen Auge. Doch zum ersten Mal in diesem Gespräch wich der Arzt seinem Blick aus. Wusste er selbst nicht, welchen Dienst die Glasbrecherin erfüllen sollte? Oder wusste er es, durfte aber nicht darüber sprechen – auf Ulantes Befehl? Eine unangenehme Hitze breitete sich in Wiralins Nacken aus.

      „Es würde auch dir zugute kommen, wenn Erdree einen ordentlichen Mantel hat,“ lenkte Oredion ab. Wiralins heiseres Lachen brachte wieder größere Entschlossenheit auf seine Miene. „Als Erdrees Arzt ordne ich nämlich an, dass sie nicht ständig im Festungsgebäude bleiben darf. Sie braucht täglich Tageslicht, frische Luft und ein wenig Bewegung – anfangs natürlich nur in geringen Maßen, dann stetig mehr. So viel ich weiß, soll Erdree das Festungsgebäude nur in deiner Begleitung verlassen. Du hast also die Wahl: Entweder gehst du mehrmals ganz kurz mit Erdree hinaus – länger als je eine Viertelstunde kann ich nicht erlauben, solange Erdree nur einen Wollmantel hat. Oder du verschaffst dir mehr Freiheit, indem du Erdree diesen Pelzmantel gibst. Dann könnte sie länger draußen bleiben. Wenn Erdree einen Pelzmantel hat, könntest du sie sogar auf deine Ausritte mitnehmen. Du liebst deine Ausritte doch und es würde dir sicher schwer fallen, darauf zu verzichten, weil dir nicht genug Zeit dafür bleibt. Außerdem wäre es ohnehin besser, Erdree schon längere Zeit vor dem Feldzug an den Pferderücken zu gewöhnen. Aber, wie gesagt: Es ist deine Entscheidung.“

      Mit aufgesetzter Unbekümmertheit hob Oredion die Schultern und ließ Wiralin mit dem Pelzmantel über seinem Arm stehen. Dem Bogenschützen war die Hitze inzwischen bis in die Wangen gestiegen. Er starrte Oredion verächtlich nach. Wenn er diesem Kerl nur irgendwie seine Heuchelei austreiben könnte! Was hatte das Wort „Entscheidung“ hier noch zu suchen? Das war reinste Erpressung! Entweder trug die Glasbrecherin Pelz, oder er war ein Gefangener dieser Festung. Wiralin ballte die Fäuste. Die Finger seiner linken Hand schlossen sich dabei um den Mantel. Sogar in seinem Grimm nahm er wahr, wie flauschig und edel der Pelz war. Wiralin strich prüfend über das Rotfuchsfell am Kragen und über den dicken Wollstoff. Zuletzt begutachtete er auch noch das Futter aus Hirschfell. Dies war der Mantel eines überaus wohlhabenden Mannes. Oredion musste aus einer sehr vornehmen Familie stammen. Die meisten Linländer würden sich einen solchen Mantel nicht einmal nach einem ganzen Leben harter Arbeit leisten können. Die einfachen Soldaten konnten von einem solchen Mantel ohnehin nur träumen – jene Soldaten, die Jahr für Jahr ihr Leben riskierten, froren in ihren Wollmänteln. Und die jämmerliche, völlig nutzlose Glasbrecherin wurde in einen Mantel gesteckt, der einer Tochter aus höchstem Hause würdig gewesen wäre.

      Rastlos versuchte Erdree, ihre Schultern unter dem schweren Mantel in eine angenehme Haltung zu bringen. Obwohl sie für die Wärme dankbar war, konnte sie sich mit dem dunkelgrünen Ungetüm nicht anfreunden. Der Pelz lastete schwer auf ihrem dürren Körper. Der Saum hing gerade hoch genug, um nicht über den Boden zu schleifen – aber nur, solange sie sich kerzengerade hielt. Wenn Erdree ihre Hände brauchte, musste sie zuerst die Ärmel zurückschieben. Ihr Gesicht verschwand bis über das Kinn im Kragen. Die längeren Haare des Fuchspelzes kitzelten sie immer wieder an der Nase. Mit schlechtem Gewissen dachte Erdree an den Sprung, der nun in einer Fensterscheibe im Quartier des Obersten Bogen prangte – die Folge eines plötzlichen Niesens, als sie morgens zum ersten Mal in den Mantel geschlüpft war. Wiralins kalter Blick hatte daraufhin eine geradezu tödliche Qualität angenommen. Entsprechend niedergedrückt war Erdree zum Krankenquartier gegangen, um ihre tägliche Medizin zu nehmen. Doch Oredion hatte ihre Bedenken gegen den edlen Mantel nicht gelten lassen.

      „Wir werden noch mindestens acht Wochen lang kaltes Winterwetter haben,“ hatte er gesagt. „Und du musst dich langsam daran gewöhnen, dich im Freien aufzuhalten. Schließlich werden wir im Frühjahr Glynwerk verlassen und auf den Feldzug gehen. Mit einem Pelzmantel kannst du dich jetzt schon daran gewöhnen, draußen zu sein. Was geschieht, wenn du nicht warm genug angezogen bist, haben wir ja an deiner Reise nach Glynwerk gesehen.“

      Also war Erdree an diesem Nachmittag auf Wiralins Befehl erneut in den Mantel geschlüpft – mit einem Knoten im Magen. Weil sie ständig auf den kostbaren Pelz achten musste, stolperte sie beinahe blindlings hinter Wiralin her. Irgendwann verrieten Tageslicht und frische, kalte Luft, dass sie das Festungsgebäude verlassen hatten. Erst als der Bogenschütze stehen blieb, blickte Erdree auf. Sie standen vor den Ställen und vor zwei gesattelten Pferden.

      „Bist du schon einmal geritten?“ erkundigte Wiralin sich schroff.

      Entsetzt schüttelte Erdree den Kopf. Worauf hätte sie in Mooresruh denn reiten sollen – auf einer Kuh?

      „Macht nichts.“ Wiralin zog das kleinere der beiden Pferde näher heran. „Dieser Braune hier ist ein ziemlich träges Tier, und ich werde ihn am langen Zügel nehmen. Du brauchst nur darauf zu achten, im Sattel zu bleiben – und natürlich darauf, keinen lauten Ton von dir zu geben. Die Stimme einer Glasbrecherin würde sogar dieses Pferd scheu machen. Von jedem anderen Pferd ganz zu schweigen.“ Sein Blick wanderte zu dem zweiten Tier, einer unruhig tänzelnden Grauschimmelstute. „Bei Lin! Wann werden diese Stallknechte endlich lernen, ein Zaumzeug richtig anzulegen?“ Ärgerlich machte Wiralin sich an dem Grauschimmel zu schaffen.

      Inzwischen war der Knoten in Erdrees Magen so groß, dass er ihren Atem knapp werden ließ. Ihr wurde schwindlig, und ihr Herz hämmerte. Hilfesuchend trat Erdree zu dem stämmigen Braunen und legte einen Arm über seinen Widerrist, um Halt zu finden. Das Pferd wandte seinen Kopf in ihre Richtung, wich aber nicht von der Stelle. Mehr zu ihrer eigenen Beruhigung als zu seiner begann Erdree, die Mähne des Braunen zu kraulen. Nicht einmal dieses brave Tier konnte ihre Angst bändigen. Kein Glasbrecher war jemals auf einem Pferd gesessen! Sicher gab es in Mooresruh kein Pferd, weil die schlechte Gesundheit der Glasbrecher es ihnen nicht erlaubte, zu reiten! Denn eigentlich hätten die Bewohner von Mooresruh ein Pferd gut brauchen können. Der Transport des Torfs und des Grünfutters für die Kühe wäre mit einem Pferd um vieles einfacher gewesen. Also waren die Glasbrecher wohl zu schwach, um sich lange genug in einem Sattel halten zu können.

      „Steig schon einmal auf,“ vernahm Erdree Wiralins Stimme wie durch ein Rauschen. „Ich stelle dir dann die Steigbügel auf die richtige Länge ein.“

      Er konnte nicht ernsthaft von ihr verlangen, zu reiten! Erdree hob den Kopf und sah Wiralin flehentlich an. Sie begegnete einem beinahe nüchternen Blick, der sich jedoch sofort verhärtete. Zitternd schlug Erdree die Augen nieder. Anscheinend würde sie dieser neuen Prüfung nicht entkommen. Es schien ewig zu dauern, bis es ihr gelang, ihren klobigen Stiefel unter dem Mantel hervor und in den Steigbügel zu manövrieren. Sie

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