Die Glasbrecherin. Irene Euler
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Читать онлайн книгу Die Glasbrecherin - Irene Euler страница 21
„Es mag schon sein, dass Wiralin nicht viel über Glasbrecher weiß.“ In Oredions ruhigen Ton schlich sich erstmals ein wenig Unmut. „Genau deshalb bekommt er auch Anweisungen von mir. Und wenn ich der Meinung wäre, dass du nicht reiten sollst, hätte ich es ihm gesagt.“ Nach einer Pause sprach Oredion mit der alten Freundlichkeit weiter: „Reiten kann am Anfang sehr anstrengend sein. Man gewöhnt sich aber schnell daran. Auch du wirst dich bald daran gewöhnen, und das ist auch notwendig. Wenn im Frühling der Feldzug beginnt, wirst du reiten müssen. Je weiter wir in den Glynwald vordringen, desto weniger können wir die Wagen verwenden. Die Bäume stehen dort zu dicht, es gibt noch keine Wege. Oft müssen wir alles – Verpflegung, Kochgeschirr, Verbandszeug, Medizin, Reservewaffen und sogar die Zelte – auf Packtiere laden. Wenn du nicht reitest, könntest du dann höchstens zu Fuß gehen, aber das kommt natürlich nicht in Frage.“
Erdree senkte den Kopf. Ihr ganzer Körper schrie Oredion schmerzhaft Widerspruch entgegen. Wenn jeder, der reiten lernte, solche Schmerzen leiden müsste, würde niemand je reiten lernen! Erst erklärte Oredion den Tee aus Schilfwürgerblüten für unnötig, und dann hegte er keine Bedenken gegen eine Glasbrecherin auf einem Pferd...
Obwohl sie seinem bedächtigen Blick auswich, schien Oredion ihr die Gedanken vom Gesicht abzulesen. „Ach komm, Erdree, vertrau mir.“ Er seufzte. „In Ordnung – ich schlage dir eine Wette vor: Wenn du nach fünf Ausritten immer noch Schmerzen hast, musst du nie wieder auf ein Pferd steigen.“
Ungläubig blickte Erdree auf. „Aber Ihr habt doch gesagt, ich muss reiten – weil das Heer auf dem Feldzug nicht überall Wagen verwenden kann...“
Oredion nickte. „Ja, das habe ich gesagt. Das zeigt dir hoffentlich, wie sicher ich mir meiner Sache bin. Ich gehe gerne das Risiko ein, diese Wette zu verlieren, wenn sie dich dazu bringt, mit einem Funken Zuversicht fünf weitere Versuche zu machen. Ich halte mein Risiko nämlich für gering. Und wenn ich doch verlieren sollte, müsste ich eben einen Weg finden, um zu meinem Wort stehen zu können. Wahrscheinlich müsste ich durchsetzen, dass du in einem Tragsessel getragen wirst. Das wäre sehr schwierig. Die Soldaten würden es nur ungern tun. Aber wenn du das Reiten wirklich nicht erträgst, bleibt uns sowieso nichts anderes übrig.“ Als Erdree immer noch zögerte, streckte Oredion ihr eine Hand entgehen. „Fünf Ausritte. Und ich werde Wiralin sagen, dass er sie kurz halten soll.“
Nach einem letzten Blick in die sanften braunen Augen schlug Erdree ein. Wenn Oredion sich so sicher war, und es trotzdem für möglich hielt, dass er sich irrte, durfte sie ihm vertrauen.
„Gut.“ Ein Lächeln huschte über Oredions Gesicht während er aufstand. „Und jetzt werden wir dich ins Krankenquartier bringen – nur für einen kurzen Besuch. Dort kann ich dir etwas gegen deine Magenkrämpfe geben und einer der Krankenpfleger wird deine verkrampften Muskeln ein wenig lockern. Danach wirst du hoffentlich etwas essen können. Hier, stütz dich auf mich.“
Erdree stemmte sich vom Bett hoch und hakte sich bei Oredion unter. Ihre Magenkrämpfe hatten bereits ein wenig nachgelassen. Dafür schlug ihr Herz plötzlich heftiger als sonst.
Trotz der Massage, die ein Krankenpfleger ihr gegeben hatte, kroch die Glasbrecherin am nächsten Morgen mühsam aus ihrem Bett. Jede Bewegung schmerzte. Erdree biss die Zähne zusammen, ließ keinen Ton über ihre Lippen kommen, und übte sich in Schicksalsergebenheit. Glücklicherweise war sie von Oredion vorgewarnt worden, dass sie einen starken Muskelkater haben würde. Das Brennen und Ziehen bei jeder Bewegung hätte sie sonst beunruhigt, obwohl sie es aus Mooresruh kannte. Jedes Mal nach dem Torfstechen war sie davon befallen worden. Beim Gedanken an die bevorstehenden Ausritte ballte ihr Magen sich immer noch zusammen. Während des Frühstücks lenkte Erdree sich ab, indem sie sich stumm das ganze Epos „Die Kinder Lins“ vorsagte. Auf diese Weise gelang es ihr, zumindest so viel – oder so wenig – zu essen wie sonst. Im Sprachunterricht bei Meister Agoton durfte Erdree es sich ohnehin nicht erlauben, ihre Gedanken abschweifen zu lassen. Agoton trug seine Lektionen sehr schnell vor und prüfte seine Schüler unablässig. Sein blonder Schnurrbar verbreiterte sich immer wieder unter einem höhnischen Lächeln, wenn jemand stockte oder ganz aufgeben musste. Erdree wurde immer verlegener und nervöser. Es war ihr unbegreiflich, wie Wiralin seine völlig ungerührte Miene bewahren konnte. Der Bogenschütze saß auf seinem Stuhl als ob der Unterricht ihn nicht das Geringste angehen würde.
Mit schwirrendem Kopf nahm Erdree ihr Mittagessen zu sich – bis sie Wiralins drängenden Blick auffing. Sofort zog ihr rebellierender Magen wieder all ihre Aufmerksamkeit auf sich. Dennoch fügte sie sich ins Unvermeidliche. Sie holte den dunkelgrünen Mantel aus ihrer Kammer, folgte Wiralin zu den Ställen und kämpfte sich auf den Rücken des Braunen. Irgendwann hielt sie die Schmerzen in ihren angespannten Muskeln nicht mehr aus. Sie musste den Krampf lösen, wenigstens für einen Moment. Voller Angst presste Erdree ihre Augen zu, bevor sie ihre Knie und ihre Schultern ein wenig lockerte. Bestimmt würde sie gleich vom Pferd fallen. Doch zu ihrem unermesslichen Erstaunen saß sie plötzlich sicherer im Sattel als zuvor. Ihr Körper passte sich den Bewegungen des Braunen an. Erdree hatte sich noch nicht von ihrer Verwunderung erholt, als Wiralin Schwierigkeiten mit seinem Pferd bekam. Die Grauschimmelstute bockte und versuchte ständig, auszubrechen. Auf einer Waldlichtung hielt der Bogenschütze an.
„Steig ab. Du machst hier eine Pause. Mein Pferd braucht einen scharfen Galopp.“
Der Befehl traf Erdree wie ein Peitschenhieb. Trotz ihres jähen Unbehagens bugsierte sie sich von dem Braunen und nahm seine Zügel aus Wiralins Hand entgegen. Der Bogenschütze entschwand in einer Wolke aufgewirbelten Schnees. Erdree stand allein neben einem Pferd auf einer verschneiten Lichtung mitten im Glynwald. Das Unbehagen schlug in Panik um. Wenn Wiralin nicht zurückkehrte, würde sie nie auf die Festung zurückfinden! Sie war wie ausgesetzt! Wieder presste Erdree die Lider zu, als ob sie dadurch der Wirklichkeit entfliehen könnte. Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie so gestanden war, als die Panik völlig unversehens von ihr abfiel. Verwundert öffnete sie die Augen. Was hatte sie so plötzlich beruhigt? Nach und nach begriff Erdree, dass sich einfach nichts in ihr gegen diese Lichtung wehrte. Hier gab es nur Schnee, Sonne und Bäume ringsum. Bis auf das gelegentliche leise Schnauben ihres Pferdes herrschte völlige Stille. Die Luft war klar und kalt – frei von jeglichem Geruch. Noch nie zuvor hatte Erdree so reine Luft geatmet. Die Kälte konnte ihr dank des Pelzmantels und der Stiefel nur wenig anhaben. Der Glynwald hatte nichts mit der Sumpflandschaft um Mooresruh gemeinsam, die ihr immer so feindlich erschienen war. Diese Waldlichtung umschloss sie mit tiefem Frieden. Erdree lehnte sich an den Braunen und ließ die Wintersonne auf ihr Gesicht scheinen. Magenkrämpfe und Muskelschmerzen waren völlig vergessen. Sie hätte ewig so stehen bleiben mögen. Viel zu schnell kündigten Hufschläge Wiralins Rückkehr an. Noch im Sattel lauschte Erdree über die Geräusche der Pferde hinweg auf die Stille des Waldes und hob ihre Nase in die saubere Luft. Am Tor von Glynwerk bemerkte sie, dass ihre Hand nur noch lose um den Sattelknauf lag.
„Hier ist deine Medizin.“
Erdree nahm die Tonschale mit der grünlichen Flüssigkeit aus Oredions Händen und setzte sie an die Lippen. Wie immer stieg ihr der scharfe Geruch unbekannter Kräuter in die Nase.
„Wie geht es dir heute?“ erkundigte Oredion sich beiläufig. „Hast du noch Schmerzen vom Reiten? Die fünf Ausritte sind jetzt vorüber...“
Erdree trank langsam aus und setzte die Schale sorgfältig auf den Tisch, um Oredions Blick ausweichen zu können. „Nein. Ich habe keine Schmerzen mehr.“
In Wahrheit waren die Schmerzen nicht vollständig vergangen. Nach der Rückkehr auf die Festung kletterte sie immer noch erschöpft und mit wackeligen Knien aus dem Sattel. Aber die Schmerzen hatten stark abgenommen. Bald würden sie verschwunden sein. Hoffentlich. Sie wollte