Die Glasbrecherin. Irene Euler
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„Gut, das wäre also geklärt,“ erklang Oredions ruhige Stimme. „Nun habe ich nur mehr eine Bitte an dich: Du isst zwar inzwischen etwas mehr, aber nicht genug Fleisch. Dabei würde dir Fleisch besonders guttun. Ich weiß, dass dir von fetten Gerichten übel wird, und dass das Fleisch aus der Küche hier meistens recht fett ist. Aber schneide lieber das Fett weg, statt gar kein Fleisch zu essen.“
„Aber dann wird so viel weggeworfen,“ wandte Erdree flüsternd ein. „Manche der Fleischstücke bestehen zur Hälfte aus Fett.“
„Meine Güte.“ Oredion seufzte. „Solche Gedanken kenne ich nur von Soldaten aus sehr armen Elternhäusern. Einige von ihnen musste ich schon davor bewahren, verdorbene Reste zu essen. Ist das Essen in Mooresruh denn dermaßen knapp, dass auf keinen Fall etwas verkommen darf?“
Erdree blickte erstaunt auf. „Wir bekommen so viel, wie die arbeitenden Linländer uns nutzlosen Glasbrechern geben können. Dass wir kein Essen verschwenden dürfen, gehört zu den ersten Dingen, die ein Kind in Mooresruh lernt. Unsere Vorräte werden sorgfältig eingeteilt – die Lieferwagen mit den frischen Nahrungsmitteln kommen ja nicht oft. Außerdem kommen sie nicht ganz regelmäßig.“
Ein Schatten legte sich über Oredions Gesicht. Nach einigen Augenblicken befreite er sich aus seiner Geistesabwesenheit: „Hier auf Glynwerk werden Essensreste nicht weggeworfen. Es gibt viele Hunde und einige Schweine. Du brauchst dir also keine Gedanken darüber zu machen, wenn etwas auf deinem Teller liegen bleibt. Achte nur auf dich selbst und darauf, was dir guttut. Vielleicht bringt dich ja das Festessen heute auf den Geschmack von Fleisch. Zum Fest des Pridat wird traditionell ein Ochse am Spieß gegrillt.“
Der Gedanke an das Fest zu Ehren des Halbgottes der Bauern und Viehzüchter weckte Erdrees Appetit keineswegs. Aus den Gesprächen im Speiseraum der Obersten hatte sie erfahren, dass die gesamte Truppe feiern würde – alle gemeinsam. Das bedeutete, Lärm, Trubel und unerträglich viele neugierige, verächtliche Blicke. Aber wenn Oredion es wünschte, würde sie mehr Fleisch essen.
Im Halbdämmer stapfte Erdree zu einem umgefallenen Baum am Rand der Lichtung, um sich darauf niederzulassen. Die Zügel des Braunen hingen lose um ihren Ellbogen. Das Fest des Pridat war genauso anstrengend gewesen wie sie befürchtet hatte. Ständig hatte sie im Gedränge um das Freudenfeuer und beim Festmahl darauf achten müssen, Wiralin nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei wäre sie am liebsten aus dem Gewühl geflohen. Der Gesang, der zuletzt in Gegröle übergegangen war, hatte sie bis in ihre Schlafkammer verfolgt und sie lange wach gehalten. Auch jetzt noch klangen die Lieder in ihrem Kopf nach – weniger die spätnächtlichen Trinklieder, sondern die Chöre während der Zeremonie. Solch harmonischen, geordneten Gesang hatte Erdree noch nie gehört. In den Gasthöfen war bestenfalls gegrölt worden. Und in Mooresruh, wo kaum einmal ein Wort laut wurde, sang natürlich niemand. Dabei kam es Erdree nun so vor, als ob Singen und Sprechen zwei völlig unterschiedliche Dinge wären. Ob sie wohl singen könnte? Wenn sie es jemals versuchen wollte, musste sie es an einem Platz wie diesem hier tun – fern von allen Menschen und fern von allen Fensterscheiben. Erdree räusperte sich vorsichtig und versuchte es mit dem leisesten Summen. Rasch begriff sie, dass es unmöglich war, im Flüsterton zu singen. Sie holte tief Atem und nahm all ihren Mut zusammen. Einen Lidschlag lang glaubte Erdree, ein dunkles Vibrieren zu hören. Dann schnitt das grelle Kreischen der Glasbrecher durch die Luft. Etwas riss an Erdrees Ellbogen und ließ sie auf Händen und Knien im Schnee landen. Mit einem panischen Wiehern stob ihr Pferd davon. Erschrocken blickte Erdree dem Braunen nach. Schon nach wenigen Sprüngen wurde er langsamer und blieb schließlich am anderen Ende der Lichtung stehen. Erdree erlaubte es sich, aufzuatmen. Wenn ihr Schrei den trägen Braunen nicht tief in den Wald getrieben hatte, würde die Stille es erst recht nicht tun. Beschämt richtete Erdree sich auf und klopfte den Schnee von ihrem Mantel. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, den Mund aufzumachen, ohne ihr Pferd vorher festzubinden? Sollte sie nun versuchen, den Braunen einzufangen? Oder würde der kleinste Schritt in seine Richtung ihn verscheuchen, nachdem sie ihn so erschreckt hatte? Der Gedanke an Wiralin drängte Erdree vorwärts. Der Bogenschütze würde sie mit seinem Blick töten, wenn er ihr Pferd mit hängenden Zügeln auf der anderen Seite der Lichtung fand. Als sie näher kam, stellte der Braune alarmiert die Ohren auf. Sofort hielt Erdree wieder inne. Jeder andere Reiter würde beruhigend auf sein Pferd einreden. Vermochte sie denn gar keinen Ton hervorzubringen, der das Tier anlocken würde, statt es zu verscheuchen? Was würde sie in Mooresruh tun, um die Hühner um sich zu scharen? Im nächsten Moment schlug Erdree sich vor die Stirn. Natürlich! Pfeifen! Sogar ein Glasbrecher konnte pfeifen, ohne dabei zu kreischen. Erdree spitzte die Lippen und stieß einen sanften, abgehackten Pfeifton aus. Der Braune gab seine wachsame Haltung auf und scharrte unschlüssig mit den Hufen. Nach einem weiteren Pfiff setzte er sich in Bewegung und trottete auf Erdree zu. Erleichtert griff sie nach den Zügeln.
„Braves Tier,“ lobte sie ihn flüsternd. „Tut mir leid, dass ich dich so erschreckt habe.“
Während sie den Braunen hinter den Ohren kraulte, kehrten Erdrees Gedanken zu ihrem Singversuch zurück. War da wirklich dieses dunkle Vibrieren gewesen oder hatte sie es sich nur eingebildet? Bestimmt hatte sie es sich nur eingebildet. Sie war eine Glasbrecherin – warum sollte sie singen können, ohne zu kreischen, wenn sie nicht einmal sprechen konnte? Trotzdem ließ der Gedanke sich nicht abschütteln. Wie eine Schlafwandlerin führte Erdree den Braunen zurück an den Rand der Lichtung und band ihn dort fest. Dann kehrte sie zu ihrem Baumstamm zurück und bemühte sich erneut, einen Summton aus ihrer Kehle hervorzubringen. Im selben Moment, in dem sie erneut das dunkle Vibrieren vernahm, schlug es auch schon wieder in Kreischen um. Nach zwei weiteren Versuchen gab Erdree auf. Mit schmerzender Kehle richtete sie einen enttäuschten, sehnsüchtigen Blick zum Himmel. Hoch über der Lichtung kreiste ein Raubvogel. Sein schriller Schrei brachte den Hauch eines Lächelns auf Erdrees Gesicht. Zumindest dieser Ton war dem den Glasbrecher verwandt. Der Braune hob erstaunt der Kopf, als am anderen Ende der Lichtung der grelle Ruf eines Raubvogels erklang.
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