Die Glasbrecherin. Irene Euler

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Die Glasbrecherin - Irene Euler

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werden.

      Wiralin schloss sein Auge. Das erste Jahr beim Heer war tatsächlich hart gewesen. Er hatte die bittere Erfahrung machen müssen, dass selbst der hervorragendste und gebildetste Bogenschütze ein Niemand war, wenn er weder über einen Namen noch über Geld verfügte. Erst Ulante hatte mehr in ihm gesehen, und ihn zu ihrem Obersten Bogen gemacht, nachdem sie Generalin geworden war. Munia hatte verloren. Sie würde ihn niemals vor ihr kriechen sehen – niemals wieder.

      Wiralin wandte sich um, damit er Munia ins Gesicht blicken konnte. „Ich habe nicht vergessen, dass du mich damals vor dem Kerker bewahrt hast. Aber ich bin davon überzeugt, dass mein Heeresdienst eine viel sinnvollere Buße für meinen jugendlichen Leichtsinn ist als mein Dienst im Haus einer Gutsherrin es war. Als echte Linländerin müsstest du es mit Stolz sehen, wie der Mann, dem du eine zweite Chance gegeben hast, sein Leben für sein Land einsetzt.“

      Munia ließ ein spöttisches Lachen erklingen. „Du setzt dein Leben für Linland ein, weil du einmal ein Reh gewildert hast? Wie edel! Es war allerdings nicht Linlands Reh, sondern meines! Und ich habe dich nicht vor dem Kerker bewahrt, damit du ein Auge verlierst und für den Rest deines Lebens völlig entstellt herumläufst! Ich wollte das bewahren, was dich eigentlich ausmacht: Du bist – nein du warst! – einer der schönsten Männer Linlands. Vielleicht sogar der Schönste. Nur das hat dich dorthin gebracht, wo du jetzt bist. Du täuscht dich selbst, wenn du etwa anderes glaubst. Der Verlust deiner Schönheit wird deiner Laufbahn beim Heer rasch ein Ende bereiten. Wenn du es bis jetzt noch nicht bemerkt hast, wird es sehr bald offensichtlich werden.“

      Mächtige Hassgefühle wallten in Wiralin auf. „Ich bin der beste Bogenschütze von Linland!“ zischte er zwischen den Zähnen hervor.

      Munia lächelte wie eine langmütige Mutter einen trotzigen Dreijährigen angelächelt hätte. „Auch wenn das wirklich eine Rolle für deine Karriere gespielt haben sollte, ist es damit jetzt vorbei. Du hast nur noch ein Auge!“

      „Ich brauche nicht mehr als ein Auge, um Bogenschützen zu kommandieren!“

      Mitten in Wiralins scharfe Erwiderung tönte der Gong, der zum Abendessen rief. Elegant wie immer erhob die Herrin von Redanshaim sich vom Sofa.

      „Mein lieber Wiralin,“ flötete sie mit geheuchelter Teilnahme. „Das glaubst du doch selbst nicht!“

      Eine Hand packte Erdree an der Schulter und rüttelte sie. Mit jagendem Puls fuhr die Glasbrecherin auf und drückte sich gegen die Wand, um der unsanften Berührung zu entkommen. Durch das kleine Fenster fielen erst die frühesten Anzeichen der Morgendämmerung.

      „Aufstehen!“ tönte Wiralins kalte Stimme. „Wir müssen die Zeit aufholen, die wir gestern verloren haben.“

      Verzweifelt schlug Erdree die Decke zurück und verließ das warme Nest, in dem sie endlich ruhigen Schlaf gefunden hatte. Um ihr wirkliche Erholung zu bringen, hätte der Schlaf jedoch viel länger dauern müssen. Immer noch wurde sie von Schwindel und von leichtem Fieber geplagt. Oder fühlte sie sich nur fiebrig, weil sie gar nicht mehr wusste, wie sich Wärme anfühlte? Unter Wiralins ungeduldigem Blick schob Erdree diese Frage rasch beiseite. Kaum war sie in ihre Kutte geschlüpft, winkte der Oberste Bogen des Linländer Heers ihr auch schon, ihm zu folgen. Ihren Gürtel band Erdree bereits auf der Türschwelle. Sie hastete hinter Wiralin durch die leeren Gänge und zuletzt in eine riesige Küche. Hier war ein einsamer Gehilfe damit beschäftigt, Frühstück für die Reisenden zuzubereiten. An einem Tisch in einer Ecke saß Uto, den Kopf müde in eine Hand gestützt. Beim Anblick seines Herren wurde Utos mürrischer Ausdruck plötzlich hämisch. Wiralin ignorierte ihn, doch seine Miene war zu steinern, um seine Gleichgültigkeit glaubhaft zu machen. Während er selbst nur wenige Bissen aß, trieb er seine Reisegefährten mit scharfen Blicken zur Eile. Erdrees Magen krampfte sich zusammen, bevor er nur halb gefüllt war. Obwohl sie wusste, dass sie lange vor Mittag wieder hungrig sein würde, musste sie ihr Frühstück abbrechen. Uto blieb hingegen völlig ungerührt. Er aß gemächlich und füllte seinen Teller immer wieder. Am Ende sprang Wiralin auf. Mit voller Absicht brachte er dabei den Tisch ins Wanken. Die Milch in Utos Becher schwappte über.

      „Ich spanne schon einmal die Maultiere an,“ zischte Wiralin in Utos Richtung. „Aber an deiner Stelle würde ich das nicht als Freibrief dafür nehmen, noch länger hier herumzutrödeln!“

      Der Bogenschütze schlüpfte ungestüm in seinen Mantel und stolzierte zur Hintertür hinaus. Unschlüssig stemmte Erdree sich von ihrem Sitz hoch. Erwartete Wiralin, dass sie ihm folgte, oder sollte sie ihm besser aus dem Weg gehen?

      „Der hat es ja ganz schön eilig, von hier zu verschwinden.“ Uto grinste den Küchengehilfen an und deutete mit dem Daumen zu der Tür, durch die Wiralin verschwunden war. „Man sollte meinen, dass es ihm in Redanshaim besser gefällt, wo die Hausherrin ihn doch für den schönsten Mann von ganz Linland hält...“

      Der Gehilfe erwiderte das schmierige Grinsen. Die Häme der beiden Männer setzte aller Unschlüssigkeit ein Ende. Erdree flüchtete aus der Küche. Wenn Uto und der Gehilfe es wagten, den Obersten Bogen von Linland zu verspotten, wollte sie nicht wissen, was ihnen zu einer Glasbrecherin einfallen würde. Niemand eignete sich so gut als Spottobjekt wie eine benommene Glasbrecherin, die von vier Reisetagen an die Grenze ihrer Lebenskraft gedrängt wurde. Genau genommen eignete sich eine Glasbrecherin zu nichts anderem als zu einem Spottobjekt. Wiralin hatte das noch vor dem Tor von Mooresruh begriffen. Und auch die Generalin würde es bei ihrer ersten Begegnung sofort begreifen. Erdree fürchtete diese Begegnung und sehnte sie gleichzeitig herbei. So sehr ihr davor graute, die völlige Nutzlosigkeit der Glasbrecher ein für alle Mal zu beweisen – wenn sie diese Nutzlosigkeit bewiesen hätte, müsste sie sich wenigstens nicht länger quälen. Sie könnte schicksalsergeben jenes Ende erwarten, das jedem Glasbrecher fern von Mooresruh blühte. Und diese Reise wäre endlich vorbei... Ermattet starrte Erdree in den Hinterhof. Der Wagen stand schon zum Anspannen bereit. Soeben führte Wiralin die Maultiere aus dem Stall. Wie üblich schenkte er Erdree keine Beachtung, und auch ihr Blick blieb nur aus Geistesabwesenheit an ihm hängen. Trotzdem zog seine raubkatzenhafte Gewandtheit sie in den Bann. Erdree wäre nicht überrascht gewesen, wenn Wiralin blitzschnell zwischen den beiden Maultieren an der Wagendeichsel durchgeschlüpft wäre, ohne eines von ihnen zu berühren. Diesem schlanken, elastischen Körper schien jede Bewegung möglich zu sein. Doch sobald Wiralin wieder seine betont stolze Haltung annahm, fielen nur noch seine Größe und die breiten Schultern auf – und sein Gesicht. In seiner Konzentration auf die Maultiere hatten die energischen Linien von Wangen und Kinn ihre Schärfe verloren. Die entspannten Lippen ließen plötzlich ihren feinen Schwung erkennen. Selbst über der riesigen Narbe war noch der kühne Bogen seiner Braue zu erkennen. Die Adlernase gab Wiralins Gesicht nun Charakter, ohne es zu beherrschen. Nur sein Auge blieb unverändert hart und kalt. Erdree fand sich unweigerlich an Munias Begrüßung und an Utos Spott erinnert. Die Herrin von Redanshaim hielt Wiralin für den schönsten Mann Linlands. Oder zumindest hatte sie ihn einmal dafür gehalten. Gemessen an den Glasbrechern war Wiralin zweifellos schön. Aber neben den elenden Bewohnern von Mooresruh sah jeder normale Linländer wie ein strahlender Held aus. Ein klares Bild von den Männern in den Herbergen wollte sich nicht aus Erdrees Gedächtnis hervorzerren lassen. Ihre Gesichter und Gestalten waren unter der Flut von neuen Eindrücken verschwommen. Schließlich gab Erdree auf. Wenn Wiralin schön war, dann auf dieselbe Weise wie die Herrin von Redanshaim. Und diese Art von Schönheit würde sie niemals ohne Schaudern betrachten.

      Ein warmer Wind hatte das Eis über Nacht weggetaut. Dafür versanken die Wagenräder auf den ungepflasterten Straßen hinter Monstedt tief im Schlamm. Zu Mittag zogen wieder schwere Wolken auf. Diesmal brachten sie dichtes, nasses Schneegestöber. Am Fuß der weiten Hochebene, an deren anderem Ende der Glynwald lag, versanken die Maultiere bereits bis über die Fesselgelenke im Schnee. Bergauf fanden die Tiere auf dem matschigen Untergrund noch schlechteren Halt. Sogar in ihrem Dämmerzustand bemerkte Erdree, dass der Wagen immer langsamer

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