Die Glasbrecherin. Irene Euler

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Die Glasbrecherin - Irene Euler

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verbrachte sie in einer Blase aus diffusem, immer tieferem Unwohlsein, die von Zwängen durchsetzt war. Erdree zwang sich dazu, einige Bissen und Schlucke von dem zu nehmen, was man vor sie auf den Tisch stellte. Sie zwang sich dazu, zum Wagen zu stolpern und sich auf eine Sitzbank zu hieven. Sie zwang sich dazu, dort sitzen zu bleiben. Sie zwang sich dazu, einen Atemzug nach dem anderen zu nehmen. Sie zwang sich dazu, den Husten zu unterdrücken, der in ihrer Brust schmerzte und die Fensterscheiben klirren ließ.

      Als Erdree in der Abenddämmerung des vierten Tages von plötzlichem Rufen aufgeschreckt wurde, war sie nicht sicher, ob sie geschlafen hatte, oder ob sie bewusstlos gewesen war. Benommen sah sie zu, wie Wiralin aus dem Wagen sprang und plötzlich das Gleichgewicht verlor. Er wäre wohl gestürzt, wenn er sich nicht am Türrahmen festgehalten hätte.

      „Vorsicht, Herr,“ drang Utos Stimme vom Kutschbock her. „Dieser verdammte Eisregen hat die Straße spiegelglatt gemacht. Bei normalem Regen sind solche Pflasterstraßen besser als alle anderen Straßen. Aber bei Eisregen sind sie schlimmer als die schlammigste Landstraße. Ich mache mir Sorgen um die Maultiere. Wenn eines der Tiere stürzt, oder der Wagen ins Rutschen kommt und die Tiere mitreißt, ist es aus. Und bis nach Monstedt sind es noch eineinhalb Stunden – das heißt: Es wären etwa eineinhalb Stunden bis Monstedt, wenn wir ein normales Tempo fahren könnten...“

      Ohne den Türrahmen loszulassen, testete Wiralin den Halt seiner Füße auf der Straße. Seine Miene verhärtete sich noch mehr. „Ich verstehe deine Sorge, Uto. Aber wir haben keine Wahl. Der Eisregen hält vielleicht bis morgen Früh an, und wir können nicht auf der Straße übernachten. Fahr so langsam wie möglich. Wenn ich mich recht erinnere, ist die Straße nach Monstedt ziemlich eben. Also ist die Gefahr, dass der Wagen ins Rutschen gerät und die Maultiere mitreißt, ziemlich gering.“

      „Eine Wahl hätten wir,“ ließ Uto sich wieder vernehmen. „Wir stehen hier bei einer Abzweigung zu einem Herrengut. Der Wegweiser sagt... Redanshaim, glaube ich.“

      Wiralin riss den Kopf hoch und musterte fieberhaft die Umgebung. Noch im vorigen Augenblick hätte Erdree es für unmöglich gehalten, dass seine Züge sich noch mehr verhärten könnten. Aber jetzt sah es aus, als ob sein Kopf aus Stein gehauen wäre.

      „Wir könnten dort Nachtquartier einfordern.“ Die Hoffnung in Utos Stimme war unverkennbar. „Gutsbesitzer sind dazu verpflichtet, in Notfällen Linländer Soldaten zu beherbergen und zu verköstigen. Das Herrengut liegt viel näher als Monstedt, und außerdem ist die Straße dorthin nicht gepflastert. Deshalb ist es auch mit dem Eis nicht so schlimm.“

      Ein zweites Mal prüfte Wiralin den Halt seiner Füße auf der Straße. Er versuchte sogar, einige Schritte zu gehen. Wieder musste er sich am Wagen festhalten, um nicht hinzufallen. Bitterkeit meißelte sich in die steinerne Miene. Nur sein Ton blieb unverändert:

      „In Ordnung, Uto – fahr zu dem Herrengut. Es wäre unverantwortlich, die Maultiere auf dieser Straße weiterlaufen zu lassen.“

      Wiralin kehrte in den Wagen zurück und nahm auf seiner Bank Platz. Obwohl Erdree scheu ihren Blick abwandte, bemerkte sie, wie hölzern seine geschmeidigen Bewegungen plötzlich geworden waren.

      Auf der ungepflasterten Straße zu dem Herrengut fanden die Maultiere tatsächlich besseren Tritt. Es dauerte nicht lange, bis Uto den Wagen vor einem herrschaftlichen Gebäude anhielt. Wiralin schlug seinen schwarzen Mantel fester um die Schultern, bevor er ausstieg.

      „Klopf an,“ befahl er seinem Wagenführer. „Frag den Hausdiener, ob die Dame des Hauses uns für eine Nacht Quartier gewährt. Nenn nicht nur meinen Rang, sondern auch meinen Namen.“

      Überrascht riss Uto die Augen auf. „Kennt man Euch denn hier?“

      „Ich komme aus dieser Gegend,“ entgegnete Wiralin scharf. „Jetzt geh schon!“

      Vorsichtig, so weit die Enge im Wagen es erlaubte, streckte Erdree ihre steifen Glieder. Durch den Nebel aus Erschöpfung und Schmerzen dämmerte es ihr, dass sie froh sein müsste, einer weiteren Nacht in einem lauten Gasthof zu entgehen. Doch dieses Herrenhaus – beinahe ein kleines Schloss – erfüllte sie mit ängstlichem Respekt. In solch einem Haus lebten gewiss ganz andere Leute als jene, die sie in den Schenken gesehen hatte. Sogar der ungerührte Wiralin war von der Aussicht auf eine Nacht in diesem Herrenhaus aufgestört worden. Sicher widerstrebte es ihm, sich hier mit einer Glasbrecherin zu zeigen. Schon in den Gasthäusern war es ihm unangenehm gewesen. Jeder Blick und jede Geste hatten ihr gezeigt, wie sehr er sie verabscheute. Wie viel schlimmer musste es für ihn sein, wenn die Herren dieses Hauses ihn kannten. Die Glasbrecher waren wirklich eine Schande für Linland! Verzweifelt kratzte Erdree ihre letzten Kräfte zusammen und versuchte, ihr Schwindelgefühl und das leichte Fieber zu ignorieren. Es gelang ihr tatsächlich, ohne Missgeschick aus dem Wagen zu steigen, als Uto meldete, dass die Hausherrin die Gäste hereinbat. Auch die wenigen Schritte zur Eingangstür legte Erdree unfallfrei zurück. Weil der eisige Boden nach langsamen, bedächtigen Schritten verlangte, fiel ihre Schwächlichkeit nicht einmal auf. Jetzt musste sie nur noch ihren Hustenreiz im Zaum halten.

      In der Halle blieb Erdree hinter Wiralin stehen, halb von ihm verborgen. Ein makellos gekleideter Diener nahm soeben Wiralins tropfenden Mantel entgegen, als ob es sich um Kronjuwelen handeln würde. Gleich darauf erschien eine Frau neben ihm – ganz offensichtlich die Hausherrin. Sie mochte die Fünfzig bereits überschritten haben, und das Schwarz ihrer Haare war zu tief, um natürlich zu sein. Dennoch pflegte sie keine Reste jugendlicher Schönheit, sondern präsentierte sich als reife Schönheit. Ein Hauch von Schminke betonte die Vorzüge des exquisit geschnittenen Gesichts, statt die Spuren der Jahre mehr schlecht als recht unter einer dicken Schicht zu verbergen. Ihre füllige Figur wurde in schmeichelhafter Weise von einem Kleid umschlossen, das seinen edlen Charakter allein durch die glänzende Seide erhielt. Spitze, Stickereien oder andere Feinheiten hätten die Gestalt der Hausherrin womöglich plump erscheinen lassen. Einzelne kostbare Schmuckstücke rundeten das Bild ab. Erdree war von dem glanzvollen Auftritt so bezaubert, dass es ihr beinahe weh tat, als die Dame zu sprechen begann. Die gezierte Liebenswürdigkeit der Gutsherrin baumelte von einem Turm aus Hochmut herab.

      „Willkommen in Redanshaim,“ trillerte sie Wiralin entgegen. „Welch unerwarteter Besuch eines schmerzlich Vermissten!“

      Wiralin verbeugte sich, um die dargereichte Hand zu küssen. Beim Aufrichten versuchte er, dem Schein des Kerzenleuchters zu entkommen, den der Diener hielt – vergeblich. Die Hausherrin erwischte Wiralin am Ärmel und zog ihn ins Licht. Mit einem halb vorwurfsvollen, halb triumphierenden Ausdruck studierte sie die Narbe mit dem für immer geschlossenen Augenlid.

      „Nun sieh dir das an!“ Sie legte ihre Hand auf Wiralins rechte Wange und brachte ihr Gesicht noch näher an seines. „Du warst so ein schöner Junge – der schönste, den ich je gesehen habe! Aber du musstest unbedingt zum Heer gehen! Und was hat es aus dir gemacht?“

      „Den Obersten Bogen von Linland,“ gab er zurück.

      Erdree fuhr so überrascht zusammen, dass sogar ihr Hustenreiz für einen Moment aussetzte. Sie hatte nicht geahnt, dass der vermeintliche Bote ein derart hochrangiger Soldat war. Und warum dieser Tonfall – so hohl, fast ohne Würde?

      Die Herrin von Redanshaim blieb unbeeindruckt: „Tatsächlich? Das muss wohl vor dieser Verwundung gewesen sein!“

      Sie tätschelte flüchtig Wiralins Wange, bevor sie ihre Hand wieder sinken ließ. Als sie sich Erdree zuwandte, fiel die Maske der Wohlerzogenheit für einen Augenblick. Entsetzen blitzte auf. Erdree vermochte sich kaum auszumalen, wie der Anblick einer Glasbrecherin auf diese Dame wirken musste. Um wenigstens ihren Hustenreiz zu dämpfen, hielt Erdree den Atem an.

      „Du liebe Güte!” Die Hausherrin

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