Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer
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Читать онлайн книгу Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer страница 16
Seit BSE, Schweinepest und Vogelgrippe stand sie Tieren recht skeptisch gegenüber. Sie fand noch immer keine Erklärung dafür, warum sich ihre Hände um den Leib des Katers gelegt hatten. Vielleicht Hypnose aus diesen geheimnisumwitterten Augen mit ihren senkrecht stehenden Pupillen? Hatten nicht die alten Ägypter sogar Katzengötter angebetet? Auf jeden Fall waren in den Königsgräbern Katzenmumien gefunden worden, das hatte sie erst neulich im Internet gelesen.
Mellie seufzte lautlos und versuchte sich wieder auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Sie warf einen prüfenden Blick an Hajos Haus empor: kein offenes Badezimmerfenster, aus dem Gott weiß wer hing. Kein Rosenbusch, der aus der Tür stürmte, um sich an die Hacken ihres Klienten zu heften. Als Hajo betont langsam durch die Lücke in der Hecke Richtung Salamanderstraße schlenderte, tastete Mellie für einen Moment nach dem silbernen Kreuz unter ihrem flauschigen Rollkragenpullover, sandte ein Stoßgebet gen Himmel und krabbelte dann so hastig unter ihrem Balkon hervor, dass sie sich am Busch beinahe ein Auge ausstach. Anschließend rannte sie in halber Panik davon, in die entgegengesetzte Richtung wie Hajo Claus, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, sie folge ihm. Während Hajo die Salamanderstraße hinunter spazierte, rannte Mellie am Häuserblock entlang zum Kreuzotterweg. Eigentlich hätte sie, als sie um die Hausecke bog, Hajo den Kreuzotterweg überqueren sehen müssen. Den Jungen, dem sie den Lutscher klauen sollte. Sie hatte sich die halbe Nacht abwechselnd mit Gewissensbissen und Versagensängsten herumgequält.
Aber sie sah keinen Hajo. Entweder hatte er unerwartet einen Zacken zugelegt oder er war im Stehen eingeschlafen. Mellie hoffte inbrünstig darauf, dass ihr Klient ganz plötzlich wieder zu Verstand gekommen und nach Hause gegangen war, um Fred in der Detektei anzurufen: »Hey, Mann, tut mir Leid, mir ist da ein kleiner Irrtum unterlaufen. Ich werde gar nicht verfolgt, das war der Typ aus dem Fernseher. Dieser Harrison Ford oder wie immer der heißt.«
Dann könnte sie zurück in die Detektei, einen Kräutertee kochen, sich vor den Computer hocken und an ihrer Statistik weiterarbeiten, der signifikanten Häufung bestimmter Haarfarben von Unfallflüchtigen. Letzteres, weil sie die unerschütterliche Überzeugung hegte, alle Handlungen des Menschen würden durch etwas wie ein der Vernunft verpflichtetes Unterbewusstsein gesteuert, das beispielsweise Unfallfahrern mit roten Haaren klipp und klar zu verstehen gab: Flucht zwecklos, lass es bleiben. Rot war nun mal keine geeignete Haarfarbe für ein leises Davonstehlen. Rote Haare registrierte man im Bruchteil einer Sekunde und brüllte im Brustton der Überzeugung Rothaarig!!!, sobald einen die Polizei bat, den geflüchteten Unfallfahrer zu beschreiben. Bei allen anderen Haarfarben kam man ins Grübeln, aber rothaarig war sogar noch auffälliger als kahlköpfig.
Melanie von Rhoden war fest entschlossen, ihre Hypothese zu verifizieren, solange sie in der Detektei arbeitete. Zu diesem Zweck recherchierte sie alle Unfälle mit Fahrerflucht der letzten fünfzig Jahre.
Sie verfügte mittlerweile über einen erstaunlichen Wust an Daten und fragte sich immer mal wieder befremdet, ob sich weder Fred noch Alice Gedanken darüber machten, woher sie diese Daten bekam. Nicht, dass sie unbedingt wollte, sie täten es, um Himmels willen, aber befremdlich war es schon.
Als sie den Kreuzotterweg entlangblickte, sah sie jedenfalls nur einen Dackel, der allein Gassi ging und einen Bernhardiner, der mit einer schlackernden Brötchentüte im Maul eilig die Straße hinuntertrabte. Sonst niemanden. Einen Moment lang fragte sie sich verwirrt, ob sie die Umrundung des Hauses in ein Paralleluniversum geschleudert hatte, in der sie eine Art Mellie im Hundeland war. Wo außer ihrer Wenigkeit nur vierbeinige Wesen existierten. Nicht einmal Verrückte oder Geister.
Die Vorstellung gefiel ihr. Keine Chefs, keine Männer, die sie anbaggerten, nur sie und ein Rudel Hunde, die ihre Probleme unter sich austrugen. Sie könnte eine neue Statistik beginnen über die Fellfarbe von Hunden, die ...
»Aaaaah!« Ihre Knie knickten ein, als ihr jemand von hinten auf die Schulter tippte. Sie fuhr herum und erblickte ihren Klienten. »Wie können Sie mich dermaßen erschrecken, Sie ... Sie ...« Das letzte Mal, als sie die Kontrolle über sich verlor, war im Juni vor einem Jahr gewesen, als ihr Ex-Verlobter Hermann ihr zum Geburtstag eine Ratte schenkte. Sie fürchtete sich vor Ratten, und Hermann hatte es gewusst. Der Streit endete mit viel Gebrüll und noch mehr Tränen und seinem Rausschmiss aus ihrem Gartenhäuschen, und damit, dass die Ratte einen offenen Türspalt fand und auf Nimmerwiedersehen verschwand.
»Oh ... oh!« Hajo Claus’ Gesicht verlor abrupt die Farbe, und er zog eilig seinen Zeigefinger zurück, der ihr auf die Schulter getippt hatte. »Ich ... ich ... Sie waren plötzlich weg, ich meine in die falsche Richtung weg, und ich dachte, Sie verfolgen vielleicht den Falschen, verstehen Sie? Deshalb bin ich hinter Ihnen hergelaufen.«
»Den Falschen?« Ihre Stimme überschlug sich beinahe. »Wie viele Ver ... äh, sich verfolgt glaubende Männer mit Brille laufen denn in diesem Viertel herum?« Es stimmte, was ihr Ex sagte: Sie war schwer in Schwung zu bringen, aber wenn sie einmal schwang, fand sie die Bremse nicht mehr. »Ein Dutzend?«
Hajo schob die Unterlippe vor und betrachtete aufmerksam seine abgewetzten Schuhspitzen. »Was meinen Sie, wenn Sie sich verfolgt glaubende Männer sagen?«, fragte er eingeschnappt.
»Können wir vielleicht noch mal von vorn anfangen?«, schnappte sie zurück. »Ich folge Ihnen und nicht umgekehrt, wenn’s denn möglich ist.«
Als sie in zwanzig Meter Entfernung hinter ihm hertrottete, dachte sie an zweierlei. Erstens an die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens. Von einem Rosenbusch oder anderen Verfolgern nicht die Bohne einer Spur. Dann daran, dass sie höchstwahrscheinlich kleine Männer mit mickrigen Egos deshalb mochte, weil sie fähig war, diese Art männlicher Spezies zusammenzubrüllen. Als sie beobachtete, wie Hajo bei der Überquerung des Breiten Weges um Haaresbreite der Schaufel eines Schaufelbaggers entging, dachte sie an gar nichts mehr. Ihr Denken setzte erst wieder ein, als der Schaufelbagger nicht mehr zu sehen war.
Wo genau wollte er eigentlich hin? Verabredet war ein Gang in die Innenstadt, aber er lief schnurstracks die Salamanderstraße hoch. Grobe Richtung Detektei. Sie wollte ihn gerade zurückpfeifen, als sie den Radfahrer bemerkte. Einen ausgesprochen langsamen Radfahrer, der aus einer Seitenstraße bog und im Schneckentempo hinter Hajo herfuhr. Er fuhr dermaßen langsam, dass er den Lenker nicht gerade halten konnte und sich in Schlangenlinien vorwärtsbewegte. Wenn sie ehrlich war, bemerkte sie ihn auch nur deshalb, weil sich Hajo sofort hektisch umzusehen begann und ihr diese Rette mich Blicke zuwarf.
»Ach du große Neune«, murmelte Mellie und war sich unschlüssig, was die Situation von ihr erwartete. Oder besser gesagt, der kleine Kerl vor ihr. Halbherzig kramte sie in ihrer Umhängetasche nach der Digitalkamera. Alles in ihr sträubte sich dagegen, aber ein Foto zu schießen, war vielleicht das kleinere Übel, wenn man bedachte, dass ihr Klient eventuell von ihr erwartete, den Radfahrer von seinem Fahrrad zu zerren, um ihm die Verfolgungslust aus dem Leib zu prügeln. Außerdem bestand noch immer die Möglichkeit – die höchstwahrscheinliche Möglichkeit – dass der Kerl auf dem Rad bloß deshalb trödelte, weil er gerade nichts Besseres vorhatte oder auf jemanden wartete, mit dem er zu einer Fahrradtour verabredet war.
Sie blieb einen Moment stehen und versuchte mit der Hand die Sonne vom Display der Kamera fernzuhalten. Was blinkte an dem Ding eigentlich so hektisch?
»Oh nee, der Akku ist leer.«
Als sie wieder aufblickte, waren Hajo und der Radfahrer verschwunden.
»Na