Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer
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Читать онлайн книгу Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer страница 13
Alice Hupe entschied sich gegen den Klappstuhl. Es reichte, wenn sie sich ein trockeneres Plätzchen suchte und auf ihre Regenjacke setzte.
Sie richtete sich mit knackenden Knien auf und balancierte auf der schrägen Böschung Richtung Hafen. Trotz der Profilsohlen ihrer Wanderstiefel rutschte sie immer wieder ab und drohte ins Wasser zu fallen. Nach wenigen Metern blieb sie erleichtert stehen. Eine grasbewachsene Erdbuhne ragte in die Weser hinein, und wenn sie ihr Gefühl nicht trog, bot der Huckel den idealen Platz für ein kleines Dinner for one, während sie darauf wartete, dass die beiden im Boot ihr Nümmerchen zu einem Ende brachten.
Sie breitete die Regenjacke aus und kramte die rosa Tupperbox mit dem Frühstücksbrötchen aus ihrem Rucksack. Mortadella, naja. Über ihre empfindlichen Geschmacksnerven würde sie Romeo noch aufklären müssen, alles andere beherrschte er so einigermaßen. Nicht umwerfend, aber auch nicht so grottenschlecht wie Heiko, sein Vorgänger. Romeo hieß mit richtigem Namen Roman Vargas, wie er ihr irgendwann im Bett gestanden hatte, Wochen nach ihrem ersten Date. Auf den Namen Romeo habe er sich umgetauft, weil es da vor langer Zeit in Italien diesen Typen gab, der an Balkonen hochkletterte und ganze Sippschaften ins Unglück stürzte, bevor er ein tragisches Ende nahm. Montague oder Carpulet oder so ähnlich, so ganz genau bekam es der falsche Romeo nicht mehr zusammen, aber der Name war ihm offenbar für zwischenmenschliche Sinnesfreuden verheißungsvoller erschienen als Roman Vargas. Der falsche Romeo entpuppte sich letztendlich als zwar sinnesfreudiges, aber eher faules Stück Fleisch, das zu schnarchen anfing, sobald es von ihr runterrutschte und ansonsten an ihrem Rockzipfel hing, als habe es kein eigenes Zuhause. Romeo schien schwer verliebt, sie war genervt.
Nach dem Sex dann lag sie häufig wach und dachte an Crispin, an seinen festen Körper und die langen, sehnigen Finger, die so unglaublich talentiert waren. Und an Crispin, wie er mit einer Rose zwischen den Zähnen vor ihr kniete und nuschelte: »Meinscht du, du wirscht mich heiraten wollen?« Und an Crispin, wie er auf der Landstraße kurz vor Starnberg lag, hundert Meter von seinem Motorrad entfernt und das Blut aus seinem Helm strömte. Man hatte sie aus einem Gebüsch gezogen und neben ihn gelegt, nachdem sie dieser größenwahnsinnige Neunzehnjährige in seinem Cabrio auf freier Strecke urplötzlich ausgebremst hatte und Crispin den Lenker des Motorrades herumreißen musste und gegen die Böschung donnerte.
Schnee von Gestern, dachte sie trotzig und konzentrierte sich wieder auf die Jacht, die in diesem Moment anfing, wild hin- und herzuschaukeln.
»Ach du liebes Lieschen.« Alice fiel vor Schreck das Brötchen aus der Hand. Es landete im Matsch. Natürlich, wo auch sonst? Sie hob es mit angewidertem Gesicht auf und ließ es zurück in die Tupperbox fallen. Keine Spuren zurücklassen - Regel Nummer eins im Handbuch für Detektive. Sie nahm die Kopfhörer ab, legte sie zum Richtmikrofon auf ihren Rucksack und suchte am Rand der Buhne nach einer weniger steilen Stelle, um sich in der Weser die Hände zu waschen.
Sie fand eine. Allerdings hing ärgerlicherweise gerade dort der Zipfel eines großen Stück Stoffes zwischen Steinen fest, während sich der Rest des Tuchs auf dem Wasser ausgebreitet hatte wie eine Tischdecke. Eine ausgesprochen farbenfrohe Tischdecke, rot, grün, lila und gelb. Bunt wie ein Karnevalskostüm. Sie löste den Zipfel vom Stein, schob einen Stock unter den Stoff und versuchte ihn mit Schwung aus dem Wasser zu befördern. Vergeblich. Irgendwo hing er immer noch fest.
Alice Hupe war von Natur aus ein zielstrebiger Mensch. Aufgeben lag nicht in ihren Genen verankert. Sie warf den Stock zur Seite, tauchte rechts und links des festhängenden Zipfels die Hände ins Wasser – und stockte abrupt. Ihre Finger ertasteten etwas Dickes, Hartes und Knubbeliges, das ihre haptische Erinnerung beinahe sofort mit menschlichem Schultergelenk assoziierte. Dass sie an dieser Stelle nicht kreischend davonrannte, flößte ihr noch im Nachhinein Respekt vor sich selbst ein. Der Schock, vielleicht.
Fakt war, dass sie beherzt zugriff und am Stoff zog und zerrte, bis die Leiche mit einem fast unanständigen Geräusch aufs Ufer rutschte. Wann genau sie bemerkte, dass dem Mann, der offensichtlich der Rattenfänger war, ein Messer aus Nacken und Kehle ragte, hinten der schwarze Griff und vorn die Spitze, wusste sie später nicht mehr zu sagen. Sie starrte dem Toten erst ins aufgedunsene Gesicht und dann auf die zerfetzten Armstümpfe, aus denen Reste von Sehnen und Adern hingen, und spuckte ihr Frühstück wieder aus. Sie schrie nicht, sie quiekte nicht einmal erschrocken auf. Sie zog lediglich die Leiche an Land, seufzte, machte auf den Hacken kehrt und übergab sich. Dann rief sie über Handy die Polizei an und versuchte sich während des Telefonats auf die lächerlichen gelben Schnabelschuhe zu konzentrieren, um dem Rattenfänger nicht ins Gesicht oder auf die Armstümpfe sehen zu müssen.
Während sie auf die Hüter des Gesetzes wartete, stopfte Alice Richtmikrofon und Kopfhörer zum Rekorder in den Rucksack. Es gelang ihr nicht gleich. Ihre Hände zitterten, und verärgert biss sie die Zähne zusammen, bis sie knirschten. Jetzt hieß es Haltung bewahren und vor allem so zu tun, als sei man nur rein zufällig anwesend gewesen. Sie hatte zwar noch keine Erfahrung mit der Hamelner Kripo gemacht, konnte sich aber lebhaft vorstellen, dass Kripobeamte und Detektive von Natur aus auf Kriegsfuß miteinander standen. Zumindest war es in Spielfilmen so, und wenn die Detektei auch noch von einem schwulen Detektiv geleitet wurde, war der Kriegsfuß aller Voraussicht nach besonders groß. Vor allem aber legte sie keinen Wert darauf, sich wegen des nutzlosen Richtmikrofons oder eines plötzlichen Nervenzusammenbruchs auslachen zu lassen. Als sie ihre Gerätschaften verstaut hatte, zitterte sie bereits am ganzen Körper. Sie musste sich auf den Boden setzen und die angezogenen Beine umklammern, um den flatternden Nerven einen Halt zu geben.
Als Hilfe anrückte, in rascher Folge erst Polizei, dann Kripo und Rettungswagen, empfang sie den ganzen Trupp stehend. Sie zeigte die Leiche vor, log bei den Fragen nach dem Grund ihres Aufenthaltes unten am Ufer, gab ihre Personalien an, lächelte aufmunternd einem blassen Polizisten zu, der ihr gestand, noch nie eine Leiche gesehen zu haben, und knallte unmittelbar darauf eben jenem blassen Polizisten ohnmächtig vor die Füße. Sie merkte nicht, wie ihr eine Visitenkarte aus der Jackentasche rutschte, auf der nicht nur ihr Name, sondern auch der der Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden stand.
4
»Ist nicht dein Ernst«, staunte Fred und verdrehte in Mellies Richtung die Augen.
»Hey, ihr könnt’s mir glauben!« Alice betastete das Pflaster an ihrer Schläfe und hätte am liebsten ebenfalls die Augen verdreht. Allerdings mehr aus Ärger über sich selbst. Sie war umgekippt. Einfach so. Eben noch führte sie die Polizisten zum Tatort und wies darauf hin, dass allein sie es gewesen war, die die verstümmelte Leiche des Rattenfängers aus dem Wasser gezogen hatte, und kaum wollte ein Polizist ihre Personalien aufnehmen, schon sah sie den Boden auf sich zukommen.
Als sie wieder aufwachte, flirtete sie ein wenig mit den beiden netten Sanitätern im Rettungswagen, ließ sich ein Pflaster auf die Stelle kleben, wo Schläfe und Stein Freundschaft geschlossen hatten und entließ sich selbst. Schließlich war nicht sie die Leiche, für die der Rettungswagen bestellt worden war. Da sie ebenso wenig mit dem Kombi des Gerichtsmediziners mitfahren wollte, trabte sie zu ihrem Fiat Panda zurück – zugegebenermaßen ein wenig wackelig – und fuhr direkt zur Detektei, um mit ihrem Abenteuer anzugeben.
Dort allerdings stieß sie auf einen ungläubigen Thomas.
»Der Rattenfänger, ja?«, fragte Fred. »Du behauptest also, du hast den Rattenfänger in all seinen bunten Klamotten aus der Weser gezogen? Mit einem Messer im Nacken und zwei halben Armen? Was haben wir heute?