Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer
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Hameln hatte sechzigtausend Einwohner, die beidseits der Weser lebten und arbeiteten. Die Stadt war das kulturelle Zentrum des Landkreises Hameln-Pyrmont, Mittelpunkt des Zuckerrübenanbaus und stolzer Besitzer eines eigenen Krematoriums. Von Jahr zu Jahr lebte Hameln ein wenig mehr von den Tagestouristen, die in großen Gruppen durch die Gassen der Innenstadt zogen und unter Ohs und Ahs die alten Fachwerkhäuser und das Hochzeitshaus im Stil der Weserrenaissance bewunderten. Darüber hinaus lag die Stadt am Weser-Radweg, der von Hannoversch Münden bis an die Nordsee führte, und schleuste in der Saison täglich Hunderte von Radfahrern durch seine Straßen. An manchen Tagen schob sich eine zähflüssige Menschenmasse durch die Fußgängerzone und die Gassen der Altstadt, aber abends, egal zu welcher Jahreszeit, rollten die Einwohner mit Einbruch der Dunkelheit die Bürgersteige auf und verschanzten sich in ihren Wohnungen.
Es gab einen Hausberg, den Klüt, den seit 1845 ein Aussichtsturm überragte, es gab das eine oder andere zweckentfremdete Forsthaus in den Wäldern, in denen die Hamelner an den Wochenenden speisten, um sich der Natur näher zu fühlen. Es gab die Weser mit einer Insel, dem Werder, mitten im Strom, es gab zwei Wehre, von denen sich eins nützlich machte und Strom erzeugte. Es gab die einzige Rundbogenschleuse in ganz Norddeutschland, was man allerdings nur erkannte, wenn man es wusste. Im Sommer tuckerten die Ausflugsdampfer der drei Hamelner Schifffahrtsgesellschaften weserauf- und weserabwärts.
Alles in allem war Hameln ein hübsches Städtchen in der idyllischen Landschaft des Weserberglandes, in dem, wie in anderen Städten ähnlicher Größenordnung, im Untergrund gern an alten Werten festgehalten wurde. Fred Roderich zog es daher vor, in der Öffentlichkeit keine rote Schleife am Revers zu tragen und auch nicht Hand in Hand mit Axel durch die Straßen zu schlendern. Und das, obgleich es vor nicht allzu langer Zeit sogar eine gleichgeschlechtliche Hochzeit im Hamelner Standesamt gegeben hatte.
Alice Hupe, die Dritte im Bunde, fuhr auch im Dienst ihren Privatwagen, einen weißen Fiat Panda, der eben jetzt die Auffahrt zur Villa hoch brauste und unter dem Dach des Carports mit einem unanständigen Rülpser abrupt zum Stehen kam. Nur Zentimeter vor den hinteren Stützbalken.
»Sobald sie den Carport zum Einsturz bringt, feuere ich sie«, sagte Fred hoffnungsvoll. »Zehn mündliche Abmahnungen sollten reichen. Gemeingefährliches Fahren auf einem Firmen- und Privatgrundstück. Gefährdung von Mitarbeitern und Kunden. Gibt es für so was eigentlich keinen Passus im BGB?«
In der Straßenverkehrsordnung, wollte Melanie eigentlich aushelfen, doch dann schluckte sie die Worte hinunter und beobachtete voll Unbehagen das Lächeln, das über Freds Züge glitt. Sie war vor achtundzwanzig Jahren unter dem Sternzeichen des Krebses geboren, ein Menschenkind mit großem Harmoniebedürfnis, und die ewig unter dem Deckel brodelnde Antipathie zwischen ihren Kollegen belastete sie in zunehmendem Maße. Die beiden Zankhähne kamen mit ihrem chronischen Zwist wesentlich besser zurecht als sie. Aber der Job war ohnehin nur eine Übergangslösung für Melanie, genannt Mellie. Es gefiel ihr nicht sonderlich, im Privatleben wildfremder Leute herumzuschnüffeln und Frauen dabei zu fotografieren, wie sie sich in Abwesenheit der Gatten vom Gärtner zwischen die Beine greifen ließen. Oder, schlimmer noch, treu sorgende Familienväter, die sich ihr Quantum Sex im Puff holten, während Frau zu Hause die sechs Kinder großzog. Bisher hatte sie zwar niemanden observieren müssen und nur einmal Fred bei einer nächtlichen Überwachung begleitet, aber allein die Vorstellung, es könnte eines Tages so weit sein, versetzte sie in Angst und Schrecken.
Ihr schwebte eher ein Tätigkeitsbereich im Webdesign vor, und sie sparte von ihrem Lohn, soviel sie konnte, um sich eines Tages auf eigene Beine zu stellen. Detektivspielen war nichts für zartbesaitete Krebse mit moralischen Wertvorstellungen.
Als Alice Hupe zur Tür hereinstürmte, schien mitten im Raum ein Bündel Energie zu explodieren. Sie war groß und schlank, und eine wilde Mähne roter Locken umgab ihr blasses Gesicht wie ein lodernder Feuerkranz. Sie war keineswegs schön mit dem breiten Mund, der Himmelfahrtsnase und den grau verwaschenen Augen, doch sie hatte das gewisse Etwas, und die Männer fielen ihr reihenweise zu Füßen. Alle bis auf ihren Großcousin Fred.
Alice Hupes Ehrgeiz in der Verfolgung ganz eigener Ziele machte aus ihr eine ausgezeichnete Detektivin. Sie legte Schlingen aus, und sobald sich ihr Opfer verfing, trug sie sein Fell kalt lächelnd zu Markte.
Der Raum, den Fred Roderich in den Anfangstagen der Detektei zum Büro umfunktioniert hatte, war der ehemalige Empfangsraum seiner Großeltern, ein großer, trotz Nordseite lichtdurchfluteter Raum zur Klütstraße hinaus mit zimmerhohen Fenstertüren. Ein Bogendurchgang, von zwei marmornen Halbsäulen flankiert, führte in das angrenzende Besprechungszimmer. Büro und Konferenzraum wiesen die für das Geldbürgertum rechts und links der Klütstraße üblichen hohen, stuckverzierten Decken auf, die Gründerzeitvilla eine ansprechende Fassade mit Erkern und einem Türmchen, in dem Perserkater Hamlet Spinnen fing, sobald es ihm gelang, Axels allgegenwärtiger Fürsorge zu entkommen.
Rechts und links der gewundenen Auffahrt zum Carport und grüppchenweise im großen Vorgarten zwischen Haus und Straße verteilt, fristeten Buchsbaumtiere ihr starres Dasein. Eichhörnchen, Reh, Hase und was sonst noch alles in europäischen Wäldern kreuchte und fleuchte, aus der Heckenschere von Freds Freund Axel entstanden. Es gab sogar Exoten: unter anderem eine Giraffe mit nur einem Horn und einen flügellahmen Flamingo mit überdimensionalem Schnabel. Bei Mellies erster und letzter Zählung am Tag ihres Firmeneintrittes waren es vor, hinter und neben dem Haus achtundzwanzig Buchsbaumwesen gewesen. Manche mehr, manche weniger identifizierbar, und für die eine oder andere Blätterskulptur empfahl sich eine Beschilderung. Der Löwe beispielsweise wurde von Kunden gern als das Ding, aus dem die Sonnenblume wächst, bezeichnet, von der Maus ganz zu schweigen.
»Na Jungs und Mädels, wie war euer Wochenende?« Alice ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen, ergriff mit flüchtigem Nicken den Becher mit Kaffee, den Mellie ihr reichte, und schlug die schlanken Beine über. »Alles im grünen Bereich bei euch beiden? Ihr seht ein wenig, wie soll ich es ausdrücken – von der Rolle aus. Läuft das Liebesleben nicht so?«
»Lass uns einfach zum Geschäftlichen übergehen, okay? Einsatzbesprechung.« Fred Roderich lehnte am Aktenschrank, die Arme über der Brust verschränkt, die Beine gekreuzt.
»Ooooch!«, dehnte Alice. »So schlimm. Wer war denn der böse Bube. Axel oder du?«
Fred rührte sich nur minimal, nicht mehr als ein Zucken durchlief seinen Körper, aber Mellie schien die Erde unter wütend scharrenden Hufen zu erbeben und kleine weiße Wölkchen aus geblähten Nüstern zu quellen.
»Einsatzbesprechung«, echote sie hektisch. »Los kommt schon, ihr beiden, lasst uns anfangen. Was gibt’s heute an Aufträgen und wer erledigt welchen? Fred? Hat schon jemand die E-Mails abgerufen? Alice, du? Was ist mit der Post? War der Briefträger schon da? Weiß ich eigentlich, wo der Briefkasten ist?«
Eine verblüffte Stille folgte Mellies Ausbruch hektischer Betriebsamkeit, dann begann der normale Alltag in der Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden. Alice arbeitete nach wie vor an einer Scheidungsgeschichte, Fred musste morgens zum Gericht, um im Fall eines um sich schlagenden Familienvaters auszusagen. Mellie wurde wie immer zur Bürohüterin ernannt. E-Mails gab es nur Spams, die Post kam erst gegen elf. Kurze Zeit später war sie allein im Büro, als Hamlet, Axels Perserkater mit düsterem Gesicht zur Tür hereinstolzierte und um ihre Beine strich. Das hatte er noch nie getan. Offenbar mochte er sie und warb um ihre Gunst. Mellie lächelte beglückt.
Als der Kater auch noch