Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer

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Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer

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Sommersprossigen vorbeizukommen schien Dickie gefährlicher als ein Spaziergang über eine Weide, auf der Bullen mit den Hufen scharrten. O nein, seine Klarinette lag dort drinnen so sicher wie der Goldschatz in Fort Knox. Dazu noch im Warmen.

      Ihn hingegen fror. Im Sommer musste es Spaß machen, hier draußen auf der Taurolle zu sitzen und den Rauch in den Fahrtwind zu blasen. Ein lauer Abend, ein Glas Sekt, eine zutrauliche Möwe auf der Reling, Dickie Blume sehnte sich nach Wärme und Geborgenheit. Anfang Mai, um elf Uhr abends, war das zugige Achterdeck eine Strafe, die man notgedrungen über sich ergehen lassen musste, wenn die Sucht rief. Das neue Nichtrauchergesetz war schuld. In Gaststätten durfte nicht mehr geraucht werden, und der bewirtschaftete Salon eines Dampfers zählte als Gaststätte. Zwar handelte es sich bei den Chartergästen um eine geschlossene Gesellschaft, für die eigene Regeln galten, aber seit es dieses Nichtrauchergesetz gab, gingen die Nichtraucher viel radikaler zur Sache. Eine weitere dieser Zumutungen. Vom Oberdeck, zwei Meter höher, hörte er Füße scharren und jemanden halblaut fluchen. Noch so ein Süchtiger, dem vor Kälte die Knochen klapperten. Der Fahrtwind pfiff Dickie um die Ohren, das Wasser um ihn herum strahlte eine Kälte ab, die seine Zähne klappern ließ, und Möwen gab es keine weit und breit.

      Als er um neunzehn Uhr aufs Schiff gekommen war, hatte er als Erstes ein verstecktes, gemütliches Plätzchen gesucht, und um neunzehn Uhr war das kleine Achterdeck von den Temperaturen her tatsächlich noch ein gemütliches Plätzchen gewesen. Ein Rattenfänger durfte sich ganz einfach nicht in aller Öffentlichkeit eine Fluppe zwischen die Lippen stecken. Zumindest nicht kostümiert und im Dienst. Er repräsentierte schließlich die Stadt und nicht zuletzt die Jahrhunderte des Mythos vom bunten Vagabunden, der Hameln von einer Rattenplage befreite, von den Stadtvätern um seinen Lohn betrogen wurde und aus lauter Rache die Hamelner Kinder entführte. Wohin auch immer. Darüber stritten sich die Gelehrten bis heute, und genau dies, das Mystische, Geheimnisvolle, das offene Ende der Sage, lockte die Touristen, auf den Spuren des Rattenfängers durch die schmalen Gassen der Altstadt zu wandeln.

      Der Rattenfänger von Hameln, ein Serienkiller?, fragte sich Dickie plötzlich milde erheitert. Oder ein Kinderschänder? Vielleicht sogar beides? Verheimlichten die Stadtoberen möglicherweise diesbezügliche Forschungsergebnisse, um keine Touristen zu vergraulen? Im Jubiläumsjahr 725 Jahre Rattenfängersage hatte es sogar eine neue Werbekampagne zum Thema mystisch-magisch gegeben. Riesige Plakate in schwarz und weiß mit überdimensionalen Ratten, von unten mit gebleckten Zähnen fotografiert. Darunter dann die Schrift: Schatz, wo sind unsere Kinder geblieben? Eine Umfrage hatte in Bezug auf bunte, wie Narren herumspringende Rattenfänger gewisse Ermüdungserscheinungen ergeben. Rückläufige Besucherzahlen. Vielleicht, so schienen sich die Stadtmanager überlegt zu haben, kamen die Touristen ja wegen der Ratten zurück, auch wenn sie der Fänger zu langweilen begann. Ignoranten, alle miteinander.

      Eine Saison. Höchstens, nahm sich Dickie Blume, der Aushilfsrattenfänger, vor. Im Herbst bin ich weg. Spätestens.

      Es war stockdunkel in seiner Ecke. Der schwache Lichtschein aus dem Gang schlug, zwei oder drei Meter neben ihm, eine schmale Schneise in die Finsternis. Dickie blickte seufzend gen Himmel. Nachtschwarz! Da blinkte kein Stern, da leuchtete kein Mond, ein Himmel wie ein schwarzes Leichentuch. Einfach nur deprimierend. Der Fahrtwind zauste die drei langen Pfauenfedern an seiner Kappe, die er sich zwischen die Füße geklemmt hatte. Diese alberne rot-grüne Kappe, die vorn in einer dermaßen langen Spitze auslief, dass sie bei hochstehender Sonne einen Schatten auf seine Schnabelschuhe warf.

      Von oben hörte er eine Stimme etwas murmeln. Es klang wie Komm schon, du Wichser, und als er vorsichtig nach oben lugte, sah er eine schwarze Gestalt sich über die Reling beugen. Dickie Blume rührte keinen Muskel, bis sich die Gestalt mit etwas, das wie ein gemurmelter Fluch klang, zurückzog. Die Stimme gehörte Roland Nimsch. Dickie verzog das Gesicht. Die wievielte Zigarette rauchte der Kerl da oben schon? Die Zwanzigste oder Dreißigste? Was für ein erbärmlicher Faulpelz. Die Kohlen einheimsen, aber andere für sich schuften lassen.

      Die Schrauben der Libelle wühlten das dunkle Wasser auf. Eine helle Gischtspur folgte dem Schiff.

      Dickie beugte sich weit vor und steckte den Kopf zwischen die Knie, in der Hoffnung, irgendwo dort unten eine halbwegs geschützte Stelle zu finden. Der Wind blies ihm ständig das Feuerzeug aus. Während er sich vorbeugte und sein Gewicht verlagerte verrutschten die Tauschlingen unter seinem Hintern, und als er sie wieder zu ordnen suchte, quiekte er erschrocken auf. Etwas, was aus den Schlingen gerutscht war, hatte seine Finger gestreift. Mit klopfendem Herzen tastete er in der Finsternis danach. Ganz vorsichtig. Nicht dass es ein Fell hatte, einen langen Schwanz und Nagezähne. In seinem Vertrag stand nichts von echten Ratten. Die Ratten, die dem hauptamtlichen Rattenfänger sonntags auf der Rathausterrasse hinterher krabbelten, wurden kurz vorher von ihren Eltern in graue Kapuzenkostüme gesteckt und kicherten die Hälfte der Zeit albern. Kinder eben.

      Dickie stupste das Etwas in der Mitte der Tauschlingen vorsichtig an, doch nach und nach sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein, dass Plastiktüten in den seltensten Fällen bissen. Seine Finger wurden mutiger, seine Neugier erwachte. Es kribbelte ihn allerdings nicht nur in den Fingern, es kribbelte ihn vor allem hinter der Stirn. Heimlichkeiten weckten in Dickie Blume den unwiderstehlichen Drang, des Pudels Kern zu enthüllen. Ein Geheimnis zu lüften. Eingeweiht zu sein. Da versteckte irgend ein Jemand etwas, und Dickie wollte wissen was. Jetzt und hier. Ob es den echten Rattenfänger ebenfalls gekribbelt hatte, als er auf Hameln zumarschierte und die Silhouette der Stadt aus dem Frühnebel auftauchen sah? Und hatte es ihn unheilvoll gekribbelt?

      Dickie ließ sich wieder häuslich auf der Taurolle nieder und begann das unerwartete Geschenk auszupacken. Zwei Einweckgummis hielten Plastiktüte und Inhalt zusammen, und als er die Gummis abgestreift und in die Tüte gelangt hatte, hielt er einen dicken, braunen Briefumschlag in der Hand.

      Wow, dachte er aufgeregt, während seine Finger den Inhalt zu ertasten suchten. Geheimpläne? Drogengeld? Ein Packen Liebesbriefe? Er ließ sich ein kleines bisschen Zeit, zögerte den Höhepunkt der Spannung hinaus, doch dann riss Dickie den Umschlag beherzt auf, griff hinein und zog etwas heraus, was sich nach Fotos anfühlte. Sehen konnte er in der Finsternis so gut wie nichts.

      Plötzlich hielt er inne. Ihm war, als habe er für einen Moment das gedämpfte Stimmengewirr aus dem feiernden Salon gehört. Im war auch, als habe ein versteckter Teil seines Unterbewusstseins das Zuklappen einer Tür gehört, und zwar der Glastür, die auf sein Achterdeck führte. Dickie erstarrte, wandte dann ganz langsam den Kopf und versuchte Löcher in die Finsternis zu starren. Unter seinen Füßen dröhnten und vibrierten die Schiffsmaschinen. Als vom Ufer der Flügelschlag eines aufgeschreckten Vogels erklang – ein Reiher vielleicht – zuckte er erschrocken zusammen, und ihm war, als ob ganz in seiner Nähe ein anderer Jemand ebenfalls zusammengezuckt war. Als sich seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen begannen, kristallisierte sich vor dem Rettungsboot eine Gestalt aus dem Schwarz heraus. Das Gesicht seines Besuchers konnte er nicht erkennen, nur die Umrisse eines Menschen, der reglos in der Dunkelheit stand. Der Kopf sah seltsam eckig aus. Geradeso, als ob der Kerl einen flachen Hut oder eine Kappe trug.

      Betrunken und verlaufen, dachte Dickie verärgert. Hier ist nur Zutritt fürs Personal. Konnte der Kerl nicht, wie alle anderen auch, aufs Oberdeck gehen?

      Totstellen, dachte er gleich darauf und presste sich mit dem Rücken gegen das kalte Metall der Schiffsaufbauten. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Ein paar Sekunden passierte nichts, dann spürte Dickie mehr als er sah, wie sich der Mann in seine Richtung drehte und auf ihn zukam. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein durch und durch verpfuschter Abend. In Windeseile spielte er seine Optionen durch. Er konnte sich weiterhin tot stellen, dann stolperte der Banker über seine Schnabelschuhe. Im unglücklichsten Fall verlor er das Gleichgewicht, stürzte über die Reling und ertrank. Im zweitunglücklichsten Fall stolperte er über die Schnabelschuhe, ohne über die Reling zu stürzen. Doch dann beschwerte er sich bei seinem Chef darüber, das der Rattenfänger tatenlos

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