Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer
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Читать онлайн книгу Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer страница 11
Sie ließ ihn fallen wie eine heiße Kartoffel und schlug instinktiv die Hände vors Gesicht. Doch er griff kein zweites Mal an. Dafür sauste eine Fellrakete zur Bürotür hinaus. Sie hinterließ eine geschockte Mellie, die unter Tränen zwischen ihren Fingern hindurchblinzelte, und einen tiefen Kratzer in Mellies Unterarm, aus dem Blut auf das helle Parkett tropfte.
In diesem sensiblen Augenblick läutete die Türglocke.
Einen Moment lang setzte Mellies Herzschlag aus. Kundschaft? Sie hatte noch nie einen Kunden empfangen und schon gar nicht allein. Bisher hatte sie doch nur am Computer gesessen, Kundendaten eingegeben, Überwachungsprotokolle vom Diktafon getippt, Rechnungen geschrieben, an ihrer Statistik gearbeitet und Kaffee gekocht. Davon abgesehen brauchte niemand zu klingeln, man musste nur die Türklinke hinunterdrücken, schließlich war eine Detektei so etwas Ähnliches wie ein Ladengeschäft, in das man hineinspazierte, um sich irgendetwas zu kaufen. In diesem Fall die Dienste eines Detektiven.
Die Türglocke bimmelte ein zweites Mal. Mellie schniefte ausgiebig, wischte sich dann hastig die Tränen ab und stolperte, noch halb blind, zur Haustür.
Es gab Männer, vor denen sie sich fürchtete oder zumindest so großen Respekt hatte, dass sie ihnen kaum in die Augen zu sehen wagte. Große, gut aussehende Männer mit einem Ego, das ihre Körperlänge noch um einiges überragte. Wie Fred Roderich. Hatte sie zumindest anfangs geglaubt. Mittlerweile konnte sie Schein vom Sein trennen und von Freds Ego war bei Licht besehen nicht viel mehr als ein Fingerhut voll übrig geblieben. Ihr Besucher jedenfalls gehörte nicht zu diesen Ego- und Gestaltriesen. Klein, schmächtig, die blassen Augen hinter verschmierten Brillengläsern, vor Nervosität flatternde Hände – Mellie fühlte sich spontan von ihm angesprochen. Er weckte ihre Gluckeninstinkte, und kaum, dass sie ihm die Tür öffnete, breitete sie auch schon ihre Flügel aus. Von einer Sekunde zur anderen verwandelte sie sich von einem grauen Büromäuschen in die Chefin einer erfolgreichen Detektei. Sie presste ein Taschentuch auf den blutenden Kratzer und legte los.
»Willkommen in der Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden. Kommen Sie herein, setzten sie sich – da bitte, ja, da ist es perfekt.« Sie führte ihn zur Sitzecke im Glaserker. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Nein? Okay, dann erzählen Sie bitte, was wir für Sie tun können.«
Seine flatternden Hände falteten sich in seinem Schoß, und ein Nerv im linken Augenwinkel begann hektisch zu zucken. Während er nach Worten suchte, fand sie Zeit, ihn näher zu betrachten. Er trug Jeans mit ausgebeulten Knien und ausgefransten Säumen, Jeans, die schon vor zwei Wochen hätten gewaschen werden müssen. Das angegraute T-Shirt hatte einen Riss etwas unterhalb der linken Brustwarze, und das labberige schwarze Jackett, das er offen darüber trug, wies abgescheuerte Ärmel und blanke Ellenbogen auf. Seine Haare waren hellbraun und wirr, und vom Kinn hing ihm ein spitzer brauner Ziegenbart. Er roch, und das nicht nach Deo und Aftershave. Keine angenehme Erscheinung, alles in allem, doch Mellies Intuition meldete sich unverzüglich zu Wort: ein hilfloser kleiner Kerl, der deine Hilfe braucht, obgleich da etwas in seinem Blick war, das sie mit seiner Erscheinung und seinem Verhalten nicht recht in Einklang zu bringen vermochte. Etwas, das sie nicht benennen konnte.
»Verraten Sie mir doch erst einmal Ihren Namen. Ich heiße Melanie von Rhoden.«
»Hajo«, murmelte er kaum verständlich und räusperte sich zu einem Neuanfang. »Hajo Claus. Ich wohne hier in der Nähe und ... »
»Ja?«
»Sie werden denken, ich bin durchgeknallt.«
»Ach, um Himmels willen, ganz bestimmt nicht. Erzählen Sie einfach und überlassen Sie das Übrige uns. Sie sind in dieser Detektei in den allerbesten Händen, und solange ich hier arbeite, ist noch keiner unserer Kunden in einer Zwangsjacke abtransportiert worden.« In den vier Wochen, die sie in der Detektei arbeitete, hatte sie genau zwei Kunden kennengelernt. Aus sicherer Entfernung versteht sich. »Na kommen Sie, den ersten Schritt haben Sie bereits getan, in dem sie durch diese Tür spaziert sind. Der Rest ist doch ein Kinderspiel.«
Er hob den Kopf und starrte sie intensiv an mit seinen blassen Augen durch die verschmierten Brillengläser. Mellie wurde ein wenig unbehaglich zumute. Da war es wieder, dieses bestimmte Etwas in seinem Blick.
»Meine Nachbarn mögen mich nicht. Sie bestrahlen mich.«
Ach du Schande, dachte sie erschrocken. Durchgeknallt.
»Und sie hören mich ab«
»Was? Warten Sie mal ...«
»Sie belauschen mich. Wenn ich Selbstgespräche halte, und sogar, wenn ich aufs Klo muss.«
»Herr ...« O mein Gott, wie war noch der Name gewesen? »Hajo, ich darf doch Hajo zu Ihnen sagen, ja? Jetzt hören Sie …«
»Sie hören mein Telefon ab, verstehen Sie. Sie haben sich in die Hausleitung eingeklinkt und hören zu, wenn ich telefoniere.«
»Hajo, Sie ...«
»Sie verfolgen mich, wenn ich rausgehe. Auf dem Fahrrad und zu Fuß. Eben konnte ich sie abhängen, in dem ich kreuz und quer durch die Seitenstraßen gefahren bin und mein Fahrrad ganz woanders abgestellt habe, verstehen Sie. Sonst folgen Sie mir immer, egal wohin ich fahre. Und ist das nicht komisch? Selbst, wenn ich Ihnen gleich zu Anfang entwischen kann, mit dem Fahrrad, meine ich, finden sie mich wieder. Sogar wenn ich nach Rinteln oder Bodenwerder fahre.«
Erst jetzt entdeckte Mellie die Fahrradklammer an seinem rechten Hosenbein.
Er schniefte und kramte ein löchriges Papiertaschentuch aus der Hosentasche, das wohl schon die eine oder andere Woche in Gebrauch war.
Klapsmühle, dachte sie geschockt. So ein armes Kerlchen.
»Okay, Hajo, lassen Sie uns mal sehen ...«
»Wenn ich meine Schuhe anziehe und meine Jacke und mit den Schlüsseln klappere, ich meine, bei mir im Flur, dann öffnet sich in der Wohnung unter mir schon das Klofenster, und wenn ich aus dem Haus komme, dann hängt sie oben über der Fensterbank und guckt auf mich runter und dann ...«
Er stockte.
»Und dann?«, hakte Mellie sanft nach. »Was tut sie dann? Und wer ist diese sie überhaupt?«
»Sie ist seine Frau. Rosenbuschs Frau. Sie sagt ihm die Richtung, in die ich gehe. Und er kommt dann aus dem Haus und schleicht mir nach. Beinahe jeden Tag. Wenn nicht er, dann folgen mir die anderen. Den ganzen Tag über. Egal, wohin ich gehe. Sogar, wenn ich nachts das Haus verlasse. Wer die sind, weiß ich nicht, aber es sind mehrere.« Hajo Claus sackte auf seinem Stuhl noch weiter in sich zusammen. Ein Häufchen Unglück auf zwei Beinen, die ihn offenbar kaum noch trugen. Mit einem Kopf, in dem das Wort Chaos eine neue Bedeutung bekam.
»Wer, Hajo? Wer folgt Ihnen?« Webdesign, dachte sie. Alles andere ist besser als dieser Job. Computer leiden nicht unter Verfolgungswahn.
Ihr Kunde hob mit großer Anstrengung sein Kinn. Aber er sah nicht sie an, sondern starrte an ihrem linken Ohr vorbei in die Zimmerecke. Dorthin, wo der zwei Meter hohe Ficus benjamini von Tag zu Tag kahler wurde.
»Mein Nachbar aus dem Haus«, flüsterte er. »Sage ich doch. Der unter mir wohnt. Herr Rosenbusch. Und Frau Rosenbusch hängt aus dem Klofenster und zeigt ihm die Richtung, in die