Mörderische Schifffahrt. Charlie Meyer
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Читать онлайн книгу Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer страница 8
Im nächsten Moment blinzelte Dickie Blume gegen den gebündelten Strahl einer starken Taschenlampe an, der direkt auf sein Gesicht gerichtet war.
»Hey«, protestierte er irritiert, »geht’s auch weniger grell? Ich bin’s nur, der Rattenfänger.« Keine Antwort. Dickies Frust wuchs, und seine Stimme klang plötzlich ausgesprochen scharf: »Sagen Sie mal, haben Sie Ihre Zunge verschluckt?« Er zog sich wütend an der Reling in die Höhe und registrierte, dass er nach wie vor den Packen Fotos aus dem Briefumschlag in der Hand hielt. Auf eben jene Hand aber konzentrierte sich kurz der Lichtstrahl, bevor er wieder hochzuckte und auf Dickies Gesicht zielte. Die Zeit reichte aus, Dickie das oberste Foto erkennen zu lassen, und sein Puls schoss in die Höhe.
Ein kleiner Junge, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, der nackt rücklings auf einem Schaffell lag und ein nackter Mann, der neben ihm kniete und ...
»Scheiße«, murmelte er erschlagen, während sein Herz zu rasen begann und ihm übel wurde. »Verdammte, verfluchte Scheiße.«
Der Schatten vor ihm kam näher, und Dickie wich instinktiv zurück. Nach einem Schritt setzte die Reling seinem Rückzug ein frühes Ende.
»Hören Sie«, krächzte Dickie und streckte die Hand mit dem Päckchen aus. »Das gehört mir nicht, ich bin nur der Finder.« Er wies vage in Richtung Taurolle. »Ich weiß, wonach es aussieht, wenn man so was Schweinisches in Händen hält, aber ich schwöre beim Grab meiner Mutter, das sind nicht meine Fotos. Damit habe ich nichts zu tun, das kann ich wirklich und wahrhaftig beschwören. Und wenn ich wüsste, welchem skrupellosen Kinderverführer die Ware gehört, dann würde ich das Arschloch beim Kragen packen und schnurstracks zu den Bullen schleifen, das können Sie mir ... Ach, du Scheiße!«
An dieser Stelle dämmerte ihm, dass es zurzeit vielleicht sein geringstes Problem war, selbst in Verdacht zu geraten. Was, wenn dem Typen vor ihm die Fotos gehörten? Welcher harmlose Banker trug auf einer Charterfahrt eine Taschenlampe in seiner Anzugjacke spazieren? Oder war es einer der Nautiker? Das Ding auf seinem Kopf hatte die Umrisse einer Uniformmütze. Und wieso redete er kein einziges Wort? Sein, Dickies, Hirn hatte in eine vollkommen falsche Richtung gedacht. Dabei war alles ganz einfach. Jemand hatte das Päckchen in der Taurolle hinterlegt, und der Kerl da vor ihm war gekommen, es abzuholen.
»Ach wissen Sie, Sie dürfen natürlich das, was ich sage, nicht allzu ernst nehmen. Ich bin nur der Aushilfsrattenfänger in seinem dämlichen Kostüm. Wissen Sie was? Nehmen Sie das Päckchen einfach und wir vergessen die Sache. Ich meine, ich weiß natürlich, dass es auf keinen Fall Ihnen gehören kann. Aber mir gehört es auch nicht, und einer muss es doch nehmen, damit es nicht in falsche Hände gerät. Ich jedenfalls will nichts damit zu tun haben, und ich wäre ausgesprochen dankbar, wenn sich irgendwo ein verantwortungsvoller Kerl fände, der ...« Seine Stimme erstarb mit einem Kicksen, und als er neu ansetzte, brachte er die Worte kaum über die Lippen. Sein ganzer Mund war urplötzlich staubtrocken. Außerdem wurde ihm vage bewusst, dass er Unsinn redete, nur aufhören konnte er nicht. Solange er redete und sich reden hörte, solange stürzte dieser schweigsame Kerl vielleicht nicht los, um Gott weiß was mit ihm anzustellen. Kopf einschlagen. Kehle durchschneiden. In Todesangst krächzte er weiter. »Sehen Sie, ich muss gleich wieder rein, ich bin nämlich der Rattenfänger von Hameln, und da drin auf dem Tresen, da liegt meine Klarinette. Ich meine, ich muss spielen, dafür werde ich schließlich bezahlt, und drinnen werden mich schon alle vermissen. Wenn Sie also so nett sein könnten, dieses blöde Päckchen zu nehmen und dann einen Schritt zur Seite zu treten, dann könnte ich vorbei und ...«
Seine Stimme erstarb ein zweites Mal, und beinahe hätte er sich schützend die Hände vors Gesicht gerissen, als ihm sanfte Finger den Packen Fotos aus der Hand nahmen. Dickies Gedärme krampften sich vor Furcht zusammen und er schmeckte die bittere Magensäure im Mund. O Gott, das war bestimmt einer von diesen verfluchten Ausländern. Einer von der Russenmafia oder so, weshalb sich der Kerl auch nicht traute, den Mund aufzumachen. Nur für den Fall, dass er, Dickie, das Kehle durchschneiden überlebte und seinen Mörder anhand des Akzents identifizierte.
Dickie erwartete keine Antwort mehr, aber er bekam eine. »Na, dann hopp. Da liegt übrigens noch etwas auf dem Boden, das mir haargenau wie die Narrenkappe des Rattenfängers aussieht.«
Dickie Blume wäre vor Erleichterung um ein Haar ohnmächtig geworden. Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Nie war es ihm schöner vorgekommen, eine bekannte Stimme zu hören. Kein Russe, kein Ausländer, noch nicht einmal ein Mafioso. »Mann o Mann, und ich dachte schon, die Russenmafia will mir die Kehle durchschneiden. Wie kann man jemanden dermaßen zu Tode erschrecken? Was, wenn mein Herz urplötzlich in Streik getreten wäre?« Er hätte immer so weiterplappern können, und eigentlich war er auch nicht wirklich böse. Im Gegenteil, am liebsten wäre er diesem Nichtrussen um den Hals gefallen, aus lauter Dankbarkeit, eben kein Russe zu sein. Der Kerl war jetzt so nah, dass Dickie die goldenen Knöpfe einer Uniformjacke schimmern sah.
»So wie’s sich anhört, schlägt das Herz ja noch. Und Tschüss! Ab durch die Mitte.«
Die Taschenlampe erlosch, und vor Dickies Augen schwirrten nichts als Sterne durch die Schwärze der Nacht. Noch immer gegen die Reling gelehnt, beugte er sich vor und tastete mit bebenden Fingern nach seiner Rattenfängerkappe mit den langen Pfauenfedern. Beschämt und glücklich zugleich. Herrjemine, was war er doch für ein Angsthase, aber gab es da nicht das Sprichwort: lieber ein lebender Feigling als ein toter Held? Und wer hätte sich nicht gefürchtet in dieser Situation? Superman vielleicht oder James Bond, okay, aber wie viele Supermänner oder James Bonds gab es denn auf der Welt? An dieser Stelle seiner Überlegungen bekam er eine der Pfauenfedern zu fassen.
Gleichzeitig hörte er die hastigen Schritte. Instinktiv schoss er hoch, die Hände abwehrend ausgestreckt. Doch da waren andere, kräftigere Hände als die seinen, und ehe er sich versah, wirbelten sie ihn herum. Während ihn der Körper des Mannes gegen die Reling presste, bog ihm eine Hand in seinem Nacken den Kopf weit über das Wasser.
Dickie trat und schlug nach hinten aus, doch als er das Gleichgewicht zu verlieren und ins Wasser zu fallen drohte, konnte er seine Finger nicht davon abhalten, sich Halt suchend an der Reling festzuklammern. Die fremden Hände drückten ihn tiefer und tiefer über die Reling. Die oberste Stange presste sein Zwerchfell zusammen und zwischen den Stangen hindurch starrte er keuchend auf sein eigenes Wams. Die linke Hälfte war rot mit einem grünen Ärmel, die rechte Hälfte lila und der Ärmel gelb. Es schüttelte ihn vor Ekel. Wie konnte er nur in so einem Aufzug herumlaufen?
Dann plötzlich ließ ihn die Hand los. Doch, noch bevor er den Kopf hochreißen und gegen den Krach der Schiffsmaschinen anbrüllen konnte, traf ihn ein harter Schlag genau dort, wo ihn die Finger eben noch gepackt hielten. Etwas drang durch Haut, Fleisch und Knorpel, und kam ihm vorn aus der Kehle wieder heraus. Als er danach griff, schnitt er sich an der kalten Schneide eines Messers.
Dickie gurgelte in Panik, während ihm das Blut in die Luftröhre floss. Mitten im Gurgeln aber, während seine Hände hektisch versuchten, die scharfe Messerspitze dorthin zurückzuschieben, woher sie gekommen war, fühlte er sich emporgehoben. Einen Moment lang hing er schwerelos in der Luft. Dann stürzte er über Bord, mit dem Kopf zuerst.