Jenseits von Oberhessen. Carola van Daxx

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Jenseits von Oberhessen - Carola van Daxx Heiße Fleischwurst mit Kakao

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hat er gehabt. Jetzt hatte sie es auch begriffen.

      Ein Griff ins DVD-Regal und sie tauchte ab. Nach Kenia. Mehr als hundert Jahre zurück, genau ins Jahr 1913.

      Aber eigentlich begann alles Dänemark. Oh ja, Jenseits von Afrika ist einfach der beste Film aller Zeiten. Zumindest für Lina. Die konnte ihn fast schon auswendig mitsprechen. Alle Dialoge. Und zum Schluss fing sie immer an derselben Stelle an zu schniefen. „Das hätte Denis gefallen…“, als die Löwen auf seinem Grab eine Art Rastplatz gefunden hatten, von dem aus sie die Steppe und die Herden überblicken konnten… Es ging jedes Mal wie auf Knopfdruck – und musste wohl eine Art cineastische Konditionierung ihrer Tränendrüsen sein. Das rettete ihr wenigstens ein bisschen den so frustig begonnenen Abend. Doch an Jan musste sie die ganze Zeit denken. Unwillkürlich. Gerade, weil der Film ja im Grunde nicht nur ein Kolonial-Epos, sondern auch eine unbeschreiblich schön-dramatische Liebesgeschichte ist. Dagegen war ihr kleinbürgerliches Dasein geradezu farblos, von ihrer schalen Beziehungskiste ganz zu schweigen. Vonwegen zwei Männer, zwischen denen sie stehen könnte. Sie hatte nicht mal einen richtig an ihrer Seite. Und darüber war sie schon richtig sauer geworden.

      Aber ging es dieser Karen Christiansen Dinesen, also der Baronin von Blixen, vor hundert Jahren nicht ähnlich wie ihr heute? Sie wollte auch nur jemanden, der zu ihr hielt, jemanden ganz für sich alleine. Aber dieser „Jemand“ hatte damals auch schon andere Interessen. Großwildjagd! Um nur ein Beispiel zu nennen.

      Hatte sich etwa nicht viel geändert seit 1913?

      Liefen Frauen noch immer Männern hinterher, die ihrerseits nur zwei Dinge wollten? Erstens: Nähe, wann SIE es brauchten. Zweitens: Abstand, wenn SIE es brauchten.

      Hatten wir nichts dazu gelernt? Blieb alles so, wie es immer schon war? War das am Ende genetisch festgelegt und alle Müh‘ vergebens? Oder hatte sich die Natur all das nur ausgedacht, um die Art zu erhalten? Ein bisschen Liebe? Und kein bisschen Frieden zwischen den Geschlechtern? Zumindest nicht, solange noch kein Nachwuchs in Sicht war. Danach sah die Sache doch ganz anders aus. Die Frauen waren beschäftigt mit der Aufzucht der Brut, die Männer hatten ihr Soll vorerst erfüllt und konnten sich wieder anderen Dingen zuwenden (ein Objekt der Begierde suchen, um das nächste Soll zu erfüllen…).

      Man könnte es auch wieder mit der Großwildjagd vergleichen.

      Naja, wenigstens war diese Karen Blixen Baronin geworden und hatte einen ordentlichen Titel, wenn es schon mit der Liebe nicht so recht klappen wollte. Lina jedoch war nicht einmal „Frau Johannsen“ geworden. Und würde es vermutlich niemals werden. Dabei hatte sie in ihren kühnsten Träumen noch gedacht, heiße Fleischwurst mit Kakao wäre nicht das einzige, was Jan ihr zur Wiederversöhnung versprochen hätte. Aber Fehlanzeige. Das Einzige, was Jan ihr wirklich in Aussicht gestellt hatte, war heiße Luft in Formvollendung. Nichts als heiße Luft.

      Auch Papa und Mama Siebenborn waren nicht sonderlich begeistert gewesen, dass auf die Versöhnung (und insbesondere nachdem der „Fischkopp“ auf einmal zu Reichtum und Berühmtheit gelangt war) nicht schon bald der obligatorische Heiratsantrag gefolgt war. Und das, nachdem Lina diesen armen Maler jahrelang durchgefüttert hatte…

      Im mittelalterlichen Büdingen war niemand darüber „amused“. Dabei hatte Papa Siebenborn sogar noch öfter ausdrücklich „Jan“ zu seinem vermeintlichen Schwiegersohn in spe gesagt. Laut und deutlich, damit klar war, dass er ihn endlich als Beinahe-Familienmitglied akzeptiert hatte. Vorher war er nämlich nur der „Fischkopp“ für ihn gewesen, der Hamburger Künstler, der immer klamm war und sich von seinem Töchterchen aushalten ließ. Aber nachdem im ersten und auch im zweiten Frühjahr nach der besagten Versöhnung kein Antrag erfolgt war, kehrte auch Papa Siebenborn wieder zu seiner alten Gewohnheit zurück. Und hatte Jan Johannsen aus Hamburg-Eppendorf wieder zum Fischkopp werden lassen. Seitdem war das Fischbeil wieder ausgegraben…

      Mama Siebenborn hatte nichts dazu gesagt. Es vornehm ignoriert, dass ihr Mann wieder den alten Spitznamen ausgegraben hatte. Aber allein die Tatsache, dass sie nicht darüber meckerte, zeigte, dass auch sie enttäuscht war vom Lebensabschnittsgefährten ihrer einzigen Tochter. Anscheinend war der Traum von Enkelkindern für Margot Siebenborn somit endgültig ausgeträumt. Und sowas musste ja auch erst einmal verarbeitet werden…

       *

      In Schotten lag Jan tatsächlich gemütlich auf seinem neuen Sofa. Er hatte die arbeitsfreie Zeit zwischen den Jahren genossen. Herumgelümmelt, mit Asta geschmust, am Stausee spazieren gewesen. Eigentlich hatten sie den Silvesterabend zusammen verbringen wollen. Fast hätte er schon seine Sachen gepackt. Und Astas Sachen auch. Aber dann wurde nichts draus, der Wettervorhersage sei Dank. Ihm war sowieso mehr nach Schlaf in seinem neuen Zuhause. Naja, so ganz neu war es nun nicht mehr. Aber ziemlich neu. Er hatte es fast vollständig neu renoviert bezogen, rechtzeitig vor Weihnachten – das er mit Lina gebührend gefeiert hatte. Und irgendwie war das auch genug für seinen Bedarf an Zweisamkeit gewesen. Die letzten beiden Jahre hatten sie viel erlebt, waren fast ständig zusammen. Er hatte alles, was er sich immer gewünscht hatte: seine Herzdame Lina und die treue Hündin Asta, nicht zu vergessen Tonja, seine Freundin von gegenüber – und als Sahnehäubchen immer gut gefüllte Auftragsbücher.

      Die Wartezeiten für Gemälde gingen inzwischen ins kommende Jahr. Aber den Kunden war das egal. Wahrscheinlich erhofften sie sich immense Wertsteigerungen. Wenn auch nicht für sie, dann vielleicht für ihre Kinder, oder Kindes-Kinder. Oder deren Nachfahren. Egal, Hauptsache Rendite!

      Und sein Buch lief ebenso bombig. Zudem hatte er die attraktivsten Malschülerinnen aller Zeiten in seinen Kursen. Die Herzen der Pinselschwingerinnen flogen ihm nur so zu! Was konnte ein Mann mehr vom Leben erwarten? Ihm fiel nichts ein. Außer ein bisschen Freiheit. Aber die hatte ihm die Blitzeisankündigung vom Spätnachmittag heute beschert.

      Thanks, Petrus! Und diesmal meinte er nicht den berühmten Wein…

      Jan Johannsen fühlte sich sauwohl in Schotten. Das Städtchen am Fuße des Vulkans hatte es ihm von Anfang an angetan. Und auch das Abendessen mit Tonja wollte er nie mehr missen. Sie kochte noch immer seine Lieblingsgerichte: Vogelsberger Blutwurst, gebacken, mit Bratkartoffeln und Apfelbrei, gelben Bohnensalat mit Salzkartoffeln und Rührei, Frikadellen mit grünen Bohnen und Kartoffelbrei, Puffer mit Apfelbrei, knusprige Bratkartoffeln mit Spiegelei und samstags heiße Fleischwurst. Mit heißem Kakao dazu. Das war zum schönen Ritual geworden. Genau wie zu der Zeit, als er bei ihr im Dachjuchhee als Untermieter gewohnt hatte. Damals, als er bei Lina rausgeflogen war. Und zwar im hohen Bogen. Sie hatte ihm ein Verhältnis mit Tonja unterstellt. Nur weil er sie, die eigentlich seine Heilpraktikerin war – nicht mehr und nicht weniger - ein paar Mal nackt gemalt hatte. Und das auch nur aus seiner Phantasie heraus. Nichts war dran gewesen an ihren Beschuldigungen.

      Aber noch heute, wo er mit Lina wieder vereint war, wenn auch nicht räumlich, kam manchmal ein schales Gefühl in ihm auf, wenn er darüber nachdachte: Betrug, Fremdgehen, Lügen. Das hatte sie ihm vorgeworfen. Er fand noch immer, dass das eine Frechheit sondergleichen war. Er, der Sensible! Für ihn war Fremdgehen ein absolutes No-Go. Das hätte sie doch wissen müssen. So ganz war er noch immer nicht darüber hinweggekommen. Ein komisches Gefühl blieb – und ging nicht fort.

      Vielleicht war das der eigentliche Grund, weshalb er lieber mit Asta auf seinem neuen Sofa bleiben wollte?

      Sie war schon ein bisschen eingeschnappt gewesen, vorhin, als er ihr gesagt hatte, dass er lieber auf seinem Berg bleiben wollte. Aber es war ihm egal. Noch immer war er superhappy über all das, was ihm im letzten Jahr passiert war. Und sein Häuschen, dieses schnuckelige Fachwerkstück, das wollte er jeden Tag, jede Stunde, jede Minute genießen. Es war sein erstes Zuhause, was ihm und nur ihm gehörte. Und in Asta, der zutraulichen Mischlingshündin, die Opa Abbel ebenso hinterlassen hatte

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